He said, she said

Bettina Wilpert – nichts, was uns passiert

Man kann sich leichtere Themen für einen Debütroman aussuchen – Bettina Wilpert ist aber gleich ins Risiko gegangen. Und das hat sich gelohnt.

Bettina Wilpert - Nichts, was uns passiert (Cover)

Sie hat ein Thema zur Bearbeitung ausgewählt, das nur mit entsprechendem Feingefühl und Einfühlungsvermögen erzählt werden kann. Die Rede ist vom Topos der Vergewaltigung und der Frage, was das mit den Beteiligten macht. Wer ist Täter, wer ist Opfer, was ist zwischen den beiden Parteien passiert?

Dass diese Fragen alles andere als leicht zu beantworten sind, das arbeitet Bettina Wilpert in nichts, was uns passiert mustergültig heraus. Mehrere Perspektiven, eine Art Reportage-Ich-Erzähler, der Freunde und Bekannte befragt und die Frage, wie man das Erzählte einordnet. Mit dieser Frage muss sich jede Leser*in selbst beschäftigen und eine eigene Antwort finden.

Denn Bettina Wilpert macht es einem nicht leicht. Sie erzählt die Geschichte um Jonas und Anna aus beiden Perspektiven, schildert beiderlei Wahrnehmungen auf das, was in jener zugrundeliegenden Leipziger Nacht passiert ist. Und das, was die beiden als Wahrheit wahrnehmen.

Leipzig, eine Sommernacht 2014

Ausgangspunkt ist eine Nacht während der Fußballweltmeisterschaft 2014. Während in Brasilien die deutsche Mannschaft durchs Turnier marschiert, staut sich in den Straßen Leipzigs die Hitze. Auf einer Party nähern sich Anna und Jonas an. Sie kennen sich, verstehen sich, streiten über Themen wie die Schriftsteller*innen Katja Petrowskaja und Serji Zhadan oder die Frage, wie man im Ukraine-Konflikt Stellung beziehen sollte. Es knistert, man streitet sich, man findet sich anziehend. Ebenso fließt in dieser warmen Leipziger Nacht der Alkohol. Die Folge: Filmriss bei Anna, unklare Erinnerungen bei Jonas.

Zwei Monate später wird Anna Jonas anzeigen, sie spricht von Vergewaltigung, Jonas von betrunkenem, aber einvernehmlichen Sex. Was ist wirklich passiert? In der Folge beobachtet Bettina Wilpert die gesellschaftlichen Prozesse und Entwicklungen rund um Jonas und Anna, während wir als Leser*innen schwanken, unsere Sympathien verteilen und selbst ein Urteil über die beiden fällen.

Das ist gut gemacht und wieder einmal ein Lehrstück darüber, wie weit unsere Wahrnehmungen auseinander liegen können. Gibt es so etwas wie eine objektive Wahrheit über ein Geschehnis wie eine Vergewaltigung? Wer hat Recht – und was macht eine Falschbeschuldigung mit einem? Wie reagiert das Umfeld?

Bettina Wilpert erzählt in einem unterkühlten, sachlichen Ton und überlässt die Bewertung dann den Leser*innen. Manchmal chronistisch genau, dann auch wieder angemessen subjektiv – genauso, wie man diesem so schwierigen Thema nur gerecht werden kann. Die zahlreichen Preise, die Wilpert mit ihrem Debüt eingeheimst hat (Aspekte-Literaturpreis, Das Debüt 2018, Hotlist-Nominierung, etc.) sprechen ebenfalls für sich. Ein bemerkenswertes Debüt!

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[…] Gegensatz zu anderen Büchern, wie etwa Bettina Wilperts nichts, was uns passiert, blickt Karine Tuil allerdings über das Thema der Vergewaltigung und die Suche nach der Wahrheit […]