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Don Winslow – Vergeltung

Ein Mann sieht rot

Dave Collins hat alles verloren, das ihm je etwas bedeutet hat: Seine Frau und sein Sohn kamen bei einem Flugzeugunfall ums Leben. Doch plötzlich ändert sich alles, als er erfährt, dass der Tod seiner Familie durch einen Terroranschlag verursacht wurde.
Kurzerhand stellt Collins eine eigene Söldnertruppe zusammen um den Drahtziehern des Terroranschlags das Handwerk zu legen. Nun kommt sie – die Zeit der Vergeltung.

Vergeltung ist ein Rachethriller alter Schule. Ein Mann nimmt es mit den gefährlichsten Terroristen überhaupt auf und zieht solange gegen sie zu Felde, bis sie vernichtet sind. Das mag jetzt nicht sonderlich komplex oder tiefschürfend sein, in den bewährten Händen von Don Winslow wird aus diesem Thema dennoch ein weitestgehend packender Roman, der nicht lange fackelt.

Kaum wurde Dave Collins aus seiner Lethargie nach dem Tod seiner Familie gerissen, geht es gleich hochtourig zur Sache.
Zwar verliert sich Winslow manchmal in allzu akribischen Schilderungen des Waffenarsenals seiner Söldnertruppe, dennoch begeht er nie den Fehler wie beispielsweise Tom Clancy, seine Leser mit seitenlangen Exkursen über bestimmtes Equipment, das wie aus der Gebrauchsanleitung abgeschrieben klingt, zu langweilen. Er begleitet die Söldner auf Schritt und Tritt und zeigt, wie eine internationale Söldnertruppe jagt. Zugleich bekommt man eine Vorstellung davon, wie wohl die Ermordung Osama Bin Ladens im Jahr 2011 in Pakistan abgelaufen sein muss.

Winslow zeichnet zugleich ein ungeschöntes Bild vom Krieg des neuen Jahrtausends. Die Schlachten werden künftig an den Computern gewonnen und gelernt, nicht mehr das Können auf dem Schlachtfeld entscheidet über Sieg und Niederlage sondern die technische Ausrüstung.

All diese Reflexionen und die schriftstellerische Klasse heben „Vergeltung“ hoch über das Gros der modernen Techno- und Rachethriller und zeigen erneut die literarische Vielfalt, die Don Winslow beherrscht!

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Susanne Staun – Blutfrost

Die irre Rechtsmedizinerin

Sie ist wieder da – Maria Krause, die durchgeknallte und labile Psychiaterin aus Odense in Dänemark. Und diesmal besser als im Vorgängerbuch „Totenzimmer“, in dem die Rechtsmedizinerin debütierte.

Auch dieses Mal wird es wieder persönlich für die Gerichtsmedizinerin. Nachdem sie bereits ihr Kind verloren hat knüpft sie sich diesmal ihren Bruder vor. Sie übertritt sämtlich Grenzen, um die Schuld ihres Bruders am Tod seines eigenen Säuglings nachzuweisen. Auch vor Selbstversuchen schreckt sie nicht zurück und beweist so die Eigenwilligkeit des Charakters, den Susanne Staun erschaffen hat.
Die dänische Autorin verwebt die Ermittlungen von Marie Krause mit dem Fall einer anonymen Briefeschreiberin, die die Rechtsmedizinerin an einer anderen Front fordert. Das Ganze liest sich sehr schnell, was auch in der Kürze des Buchs begründet liegt. Auch mit großzügigem Satz kommt das Buch gerade einmal auf 290 Seiten.

Das macht aber gar nichts, da die Autorin in ihrer gedrängten Darstellung einige interessante Punkte aufwirft und diese näher beleuchtet. So erfährt der Leser einiges über Gewalt in Familien, gegenüber Kindern und das Phänomen Münchenhausen by proxy.
Mit „Blutfrost“ ist Susanne Staun ein spannendes, informatives Buch gelungen, dessen Reiz auch in seiner Protagonistin Maria Krause begründet liegt. Wer sich mit diesem schwierigen und ungewöhnlichen Charakter arrangieren kann, bekommt einen packenden Roman serviert!

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Rafael Chirbes – Am Ufer

Spanischer Stream of Consciousness


Nach dem Roman „Krematorium“ kehrt Rafael Chirbes erneut zurück nach Spanien, dem Land der Krise, in dem jeder dritte Jugendliche keinen Job hat. Dramatische Zustände, die Chirbes dem Leser in „Am Ufer“ auf meisterhafte Weise vor Augen führt.
Für seinen Roman wählt der den Stream of Consciousness, der seit Dos Passos‘  „Manhattan Transfer“ und Joyce‘  „Ulysses“ als Stilmittel manch großen Romanen zur Vollendung verholfen hat. Rein äußerlich passiert eigentlich nichts, der Roman spielt an einem Tag und die Charaktere meistens Karten.
Der siebzigjährige Esteban sinniert über sich, seine Welt, seinen alten Vater und Spanien – und die Gedanken wandern ohne Ende. Leicht zu lesen ist das keineswegs – wörtliche Rede wird nicht immer als solche gekennzeichnet, Tagebucheinschübe unterbrechen die Handlung und auf einer Seite wechseln Estebans Monologe gerne auch dreimal die Richtung.
Man muss höchst konzentriert lesen um wenigstens halbwegs einen Überblick über das Treiben und die Charaktere zu behalten. Man liest und wird immer mehr in die Weltsicht Estebans gezogen und staunt ob des ästhetischen Sensorium Rafael Chirbes.
Er wechselt die Tonarten genauso geschmeidig wie glaubhaft und erschafft mit Esteban eine der tiefgründigsten Figuren, die mir in der letzten Zeit begegnet sind. Er zeigt den Kunsttischler als symptomatisch für eine Generation, nicht richtig versöhnt mit der Vergangenheit und auch nicht so richtig bereit für eine wie immer geartete Zukunft. So wird aus „Am Ufer“ ein Sittenbild eines Landes in der Krise. Ein spanischer Stream of Consciousness, der sich gewaschen hat.
Wer eine leichte Lektüre sucht oder von einem Roman in erster Linie Unterhaltung erwartet, dem sei nachdrücklich von „Am Ufer“ abgeraten. Alle Freunde anspruchsvoller literarischer Feinkost sei der Roman aber wärmstens ans Herz gelegt!
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Elisabeth Herrmann – Versunkene Gräber

Schlesischer Wein

Ich durfte im März 2013 einer Lesung der Autorin Elisabeth Herrmann beiwohnen, in der sie ihren Roman „Das Dorf der Möder“ vorstellte und auf der sie auch ankündigte, ihr Anwalt Joachim Vernau würde wieder zurückkehren. Nach einer etwas längeren Pause (zuletzt erschien 2009 „Die letzte Instanz“, in dem Vernau ermittelte) darf der Berliner Anwalt nun in „Versunkene Gräber“ ermitteln – und tut dies nun sogar bilateral:
Seine Anwaltsfreundin Marie-Louise ist verschwunden und wird von einer polnischen Kollegin gesucht. Zeitgleich wird in Polen Vernaus Kumpel, der Automechaniker Jazek, unter Mordverdacht verhaftet. Marie-Louise scheint in dieses Verbrechen verwickelt zu sein und nun liegt es an Joachim Vernau, die Hintergründe der Geschehnisse, die in Polen geschehen sind, aufzuklären.
Selten hat das Wort der Hintergrundermittlung so gut zu einem Roman gepasst, wie hier: Vernau muss die Hintergründe des Verbrechens aufklären, das Jazek und Marie-Louise zur Last gelegt wird – und muss noch tiefer graben. Denn die Ereignisse, die im fiktiven Städtchen Janekpolana passiert sind, scheinen ihren Ausgang in den Kriegswirren in Polen und der Repatriierung der damaligen Bevölkerung genommen zu haben. Eine alles andere als durchschaubare Gemengelage, durch die sich Vernau nun kämpfen muss, um die Wahrheit herauszufinden und Jazek und Marie-Louise aus ihrer misslichen Lage zu befreien.
Ich mag Elisabeth Herrmann und ihren Schreibstil einfach – und auch diesmal liefert sie mit „Versunkene Gräber“ erneut Qualitätsware ab. Geschickt schafft sie es, in ihrem Krimi die Subthemen der Vertreibung, des schlesischen Weinanbaus und der Beschreibung Polens generell einzubinden, ohne dass der Krimi darunter ächzen würde. Zwar ist der erzählerische Kniff, dass Geheimnis aus dem Zweiten Weltkrieg bis ins Heute nachwirken, nicht gerade neu, doch die Autorin schafft es, ihr Buch mit Leben zu füllen. Weder kommen der Humor noch die Spannung zu kurz und insgesamt ist „Versunkene Gräber“ wieder ein rundes Ganzes geworden.
Wollen wir hoffen, dass Joachim Vernau schon bald wieder neue Aufträge ins Haus flattern und Elisbath Herrmann nicht so lange wartet, ehe sie ihren Anwalt wieder mit neuen Aufgaben betraut!          
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Meike Winnemuth – Das große Los

Einmal um die ganze Welt …

… und die Taschen voller Geld. Selten hat dieses Lied von Karel Gott besser gepasst als auf Meike Winnemuths Reise, die sie in „Das große Los“ nachzeichnet.

Nachdem sie mithilfe eines Jokers bei „Wer wird Millionär“ beantworten konnte, wo man sich früher verfranzt hatte (Antwort „Im Flugzeug“) beschloss sie, von ihrer gewonnenen halben Million einfach ein Jahr loszufliegen, sich jeweils einen Monat in einer Stadt einzuleben und so die Welt zu erkunden.
Entstanden ist ein Bericht, eine Autobiographie, eine Städtedokumentation – und noch viel mehr. In zwölf Briefen erzählt Winnemuth, die unter anderem für das SZ-Magazin und den Stern schreibt, wie es ihr in den Städten ergeht. Sie berichtet aus ihrem Leben, schildert Schönes genauso wie Schlechtes sehr offen und garniert diese Reflektionen mit jeder Menge Fotos und ganzen Fotostrecken zu den Ländern Indien und Äthiopien.
Nach der Lektüre hat man den Eindruck, einer Frau begegnet zu sein, die bei sich angekommen ist und glücklich ist. Ein Buch, das den Geruch der weiten Welt ein Stück weit ins eigene Bücherregal trägt und das genauso kurzweilig wie informativ ist!          
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