Clara Arnaud – Im Tal der Bärin

Auf dem Berg, da wohnt der Bär – oder besser gesagt die Bärin. Clara Arnaud nimmt uns in ihrem ersten auf Deutsch erschienen Roman Im Tal der Bärin mit auf die Berghöhen der Pyrenäen. Dort kreuzen sich die Lebenswege eines Schäfers und einer Ethologin mit der Bärin. Kraftvolle Prosa, die die Schönheit und das Leben in den Bergen gelungen einfängt.


Arpiet ist ein kleines Dorf, das am Fuße der Pyrenäen liegt. In unmittelbarer Nähe zur spanischen Grenze gelegenen ziehen sich die Bergrücken hin, die von den Schäfern und Schäferinnen beweidet werden. Auch Gaspard ist ein solcher Schäfer, der sich nach dem Studium in Paris nach seiner Kindheit in Arpiet zurückgesehnt hat und mittlerweile dort mit seiner Frau und den Töchtern wohnt. Die eigentliche Liebe und Sehnsucht aber gehört der Landschaft in den Bergen, wo er sich nun als Schäfer verdingt und eine mehrere hundert Schafe umfassende Herde betreut. Die Sommer verbringt er alleine dort oben auf den Berghängen. Gesellschaft leisten ihm nur seine Hündin, die Herde und die Erinnerungen.

Zweite Hauptfigur des Romans ist die Ethologin Alma, die ebenfalls nach Arpiet gezogen ist. Dort versieht sie an einem Zentrum für Biodiversität ihren Dienst. Das eigentliche Arbeitsfeld sind aber auch für sie die Berge. Denn dort oben lebt nach Wiederansiedlungsversuchen nun eine Bärin, la negra genannt. Diese beobachtet sie für ihre Feldforschung, nachdem sie dem Leben der Bären bereits ihre akademische Facharbeit gewidmet hat.

Eine Bärin in den Pyrenäen

Clara Arnaud - Im Tal der Bärin (Cover)

Von den Bewohnern von Arpiet wird Alma misstrauisch beäugt. Denn ein sonderlich großes Verständnis für die Bärin hegt dort kaum jemand. Man solle die Bärin und ihre Jungen besser gleich töten, schließlich stellt das Tier nur eine Bedrohung für die Schafe dort oben auf den Bergen dar, so die landläufige Meinung. Doch Alma lässt sich von solchen Meinungen nicht aufhalten und spürt in den Wäldern und entlang der Steilgrate der Bärin und ihrem Leben nach.

Und auch Gaspard spürt die Existenz der Bärin am eigenen Leib. Immer wieder schweben die von ihm betreuten Schafe im Laufe des Sommers, den Im Tal der Bärin schildert, in Lebensgefahr, wenn sich die Bärin auf Futtersuche an die Schafe heranwagt. Nicht zuletzt sind es aber auch Erinnerungen, die ihn immer wieder heimsuchen. Denn im vergangenen Jahr kam eine junge Schäferin dort oben in seiner Gesellschaft ums Leben. Hat die Bärin auch damit zu tun?

Der menschliche Umgang mit bedrohten Spezies

Im Tal der Bärin ist ein Buch, das vom Umgang der Menschen mit der bedrohten Spezies der Bären erzählt. Totale Auslöschung oder Schutz? Im dritten, immer wieder eingestreuten Erzählstrang bietet Clara Arnaud auch eine historische Sichtweise auf diesen Komplex, indem sie vom Leben des Bärenführers Jules erzählt, der Ende des 19. Jahrhundert aus Arpiet in Richtung Amerika aufbricht, mit im Gepäck ein von ihm gefangener und dressierter Bär.

Mit ungemein viel Wissen um das Leben dort oben an den Berghängen der Pyrenäen und des Lebens der Bären nimmt Clara Arnaud mit in diese wilde Welt. In Arnauds urwüchsiger, von Sophie Beese ins Deutsche übertragenen Sprache und der Kraft der Naturbeschreibungen erinnert das Ganze etwas an die Werke Maria Borrélys. Vom Aufstieg Gaspards im Frühling über den Sommer auf den Almen dort oben bis zum Abtrieb der Tiere in den Herbsttagen erstreckt sich der erzählerische Bogen, den dieses Buch bildet.

Nicht zuletzt ruft ihr ökologisch geprägter Roman im Spannungsfeld zwischen Mensch und Tier auch Erinnerungen wach an die Romane der Australierin Charlotte McConaghy, darunter insbesondere an ihr in Schottland spielendes Werk Wo die Wölfe sind, das von der Wiederansiedlung von Wölfen in den Highlands und dem Widerstand dagegen erzählt. Aber auch Paolo Cognettis Romane um die Anziehungskraft der Berge und Sara Gruens Prosa ließe sich als Bezugsgröße von Clara Arnauds Roman nennen, mit dem ihr trotzdem etwas ganz Eigenständiges gelingt.

Ein überzeugendes Buch mit irreführendem Titel

Gefahr und Idylle, Arbeit und Entspannung, Freiheit und Verantwortung, das sind die Spannungsfelder dieses Romans, der der Natur in den Pyrenäen ein Denkmal setzt und die Komplexität in unserem Verhältnis zu Raubtieren – wie im vorliegenden Fall eben den Bären – ausleuchtet.

Angesichts einer solch überzeugenden Gesamtleistung stellt sich nur die Frage nach der Sinnhaftigkeit des deutschen Titels. Das titelgebende Tal spielt im Roman nur eine untergeordnete Rolle. Natürlich liegt das Dorf Arpiet dort unten im Tal, ist aber sowohl für Gaspard als auch für Alma aber nur jener problembehaftete Ort, an dem Unverständnis und Bärenfeindlichkeit grassieren. Vielmehr lösen sich beide Figuren ja schon rasch von diesem Nebenschauplatz. Und tatsächlich sind es ja die Berge, auf denen die Bärin lebt und die fast die gesamte naturgesättigte Handlung des Romans um die drei Figuren bestimmen.

Erinnert der französische Originaltitel Et vous passerez comme des vents vous im Deutschen etwas an die berühmten windigen Zeilen aus dem Gedicht Vom armen B. B. des Dramatikers Bertolt Brecht, in dem er von den Städten schrieb, von denen nur der Wind bleiben würde, der durch sie hindurchging, so bleibt von derartiger Poesie in der nun gewählten deutschen Titelvariante überhaupt nichts übrig. Mit Tälern begnügt sich Clara Arnaud nicht, vielmehr steigt ihr Roman in mitreißende Höhen empor, was die deutsche Titelwahl ruhig hätte auch so abbilden dürfen.

Fazit

Davon abgesehen ist Im Tal der Bärin ein kraftvoller Roman, der die Natur und das ökologische Gleichgewicht dort nahe der Gipfel der Pyrenäen besieht und neben der Bärin zwei angenehm komplexe Figuren in den Mittelpunkt rückt. Es ist eine wirkliche Entdeckung, die der Kunstmann-Verlag mit Clara Arnaud da aufgetan hat!


  • Clara Arnaud – Im Tal der Bärin
  • Aus dem Französischen von Sophie Beese
  • ISBN 978-3-95614-622-0 (Kunstmann)
  • 352 Seiten. Preis: 26,00 €
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