Dorothee Elmiger – Die Holländerinnen

Ein Theatermacher auch den Spuren Werner Herzogs oder Christopher Schlingensiefs, verschwundene Holländerinnen im Dschungel Panamas, eine Autorin im Erzählrausch, dazu schwangere Ziegen, dressierte Pferde, fiktive Autorinnen und die große Frage, um was es hier eigentlich geht: willkommen im Textdschungel namens Die Holländerinnen, die die Schweizer Autorin Dorothee Elmiger ersonnen hat.


Es läuft bei Dorothee Elmiger. Auch wenn sie es mit ihrem neuen Roman Die Holländerinnen „nur“ auf die Shortlist für den Wilhelm Raabe-Literaturpreis geschafft hat und final ihrem Schweizer Landsmann Jonas Lüscher den Vortritt lassen musste, befindet sie sich in der Auswahl für den Bayerischen Buchpreis, den Schweizer Buchpreis und steht zudem auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Ein Umstand, der schon vor fünf Jahren zu beobachten war, als es Dorothee Elmiger mit ihrem Werk Aus der Zuckerfabrik ebenfalls das Triple schaffe und es in der Endauswahl für den Deutschen, Schweizer wie auch den Bayerischen Buchpreis geschafft hatte.

Verschwundene Holländerinnen in der Wildnis Panamas

Nun also Die Holländerinnen, die – um es gleich vorwegzunehmen – eine literarische Herausforderung darstellen. Das beginnt schon bei der Geschichte, die sich verkapselt im Zentrum des Romans befindet. Um diese erzählerische Kapsel herum ist die Geschichte einer namenlosen, gefeierten Schriftstellerin gebaut, die eigentlich eine Vorlesung zu ihrer Poetik und Schreiben vor einem Auditorium halten wollte. Doch die Worte zerfielen ihr wie weiland Lord Chandos als modrige Pilze im Mund. Es wollte sich nichts Vorzeigbares mehr ergeben und so wähnt sie sich die Autorin in der Tradition von Penelope, die immer wieder den gewebten Stoff auftrennen musste, wie es der Autorin mit ihrem Textgewebe nun ergeht.

Doch dann findet sich doch etwas, worüber es sich zu reden lohnt. Angesiedelt ist das Thema der Autorin in der Vergangenheit vor drei Jahren. Damals machte sie die Bekanntschaft mit einem experimentierfreudigen Theaterregisseur, der den Fall zweier im Dschungel verschwundener Holländerinnen theatral bearbeiten wollte. Mitsamt seinem Kreativteam und der Autorin ging es ebendort hin in den Dschungel Panamas, wo man den Fall erkunden, inszenieren oder vielleicht sogar aufklären wollte. Doch mit der Wahrheit und der Aufklärung ist das so ein Ding. Statt eine Lösung für das Verschwinden zu finden, produziert die Autorin in ihren geschilderten Erinnerungen immer wieder Abschweifungen und Arabesken.

Willkommen im Textdschungel

Dorothee Elmiger - Die Holländerinnen (Cover)

So geht es mal um Ziegen, die eine dem Team angehörige Schweizerin einst im St. Galler Rheintal hüten sollte. Aufgrund der Abwesenheit des Ziegenbauers musste diese selbst die unerwartete Niederkunft von Ziegen betreuen. Ein andermal kommt die Rede auf die fiktive Autorin Marilyn Trappenard und deren Werke; dann wiederum schiebt sich ein Ehepaar in den erzählerischen Vordergrund, das die Kostümbildner Liese einst kennenlernte und mit dem es ein mysteriöses Ende nahm. Immer wieder begibt sich der Text zu Nebenschauplätzen, während man sich an der Rekonstruktion des Falls der verschwundenen Holländerinnen versucht und die Erzählerin zu einem neuen Ansatz angebt.

In durchgehend indirekter Rede erzählt die Autorin von ihren Erlebnissen, Eindrücken und Erinnerungen, die mit dem Team und dem unerschrockenen Regisseur verknüpft sind.

Ein Bezug ist dabei nicht immer leicht auszumachen – und auch interpretatorische Schneisen muss man sich in diesem Textdschungel selbst schlagen. Die Holländerinnen wartet auf mit einer Fülle an Motiven und Anspielungen – von Joseph Conrads Herz der Finsternis bis hin zu Werner Herzogs Filmen, der als Zitat auch den Roman eröffnet. Mal luzide, mal verwirrend, dann wieder theatral und erzählerisch verschachtelt bietet sich das Elmiger’sche Lesewucherwerk dar.

Eine erzählerische Herausforderung

Das ist durchaus eine Herausforderung, etwas weniger gnädig gestimmt könnte man auch von einer Zumutung sprechen. Leicht macht es einem dieses Buch nicht, sodass sich folgendes Zitat aus dem Buch über das Leseerlebnis des Buchs selbst übertragen lässt.

Am frühen Nachmittag hätten sie zum ersten Mal eine kurze Rast eingelegt, aber es sei ungemütlich gewesen, sie alle hätten es vorgezogen, weiterzugehen, vorwärtszukommen, vor allem die Mädchen seien unruhig gewesen, zappelig, und also seien sie schon kurze Zeit später wieder aufgebrochen. Der Pfad, dem sie noch immer gefolgt seien, habe sich auch jetzt fortlaufend verzweigt, der Theatermacher habe sich auf gut Glück, aber ohne triftige Gründe jeweils für die eine oder andere Richtung entschieden, und es sei ihr spätestens in diesem Moment, als sie so ziellos durch den Wald geirrt seien, bewusst geworden, dass es hier keine Pointe geben, dass die ganze Geschichte auf keine Auflösung, kein Ende zulaufen würde.

Dorothee Elmiger – Die Holländerinnen

Ein konsistenter Text ist dieser zerklüftete Text- und Motivdschungel nicht. Eher sind es die Worte des Zappeligen und Verwirrenden, die den Charakter des Buchs Treffen. Elmigers Text verweigert sich einer klaren Lesart und eindeutigen Zuordnung – vielmehr ist die Stärke dieses Buchs tatsächlich das Offene, das Numinose und das Ausbleiben einer klaren Einordnung – wer Eindeutigkeit von einem Text erwartet, der wird hier freilich enttäuscht werden.

Fazit

Die Holländerinnen, das ist Literatur, die neue Formen ausprobiert und tastet, die andere Wege zu gehen versucht, was nicht immer zu einem leicht konsumierbaren Ergebnis führt – aber durchaus auch das eigene ästhetische Empfinden weiten kann, wenn man sich auf diese Art des sprunghaften und verrätselten Erzählens einlässt. Besonders Freunde der indirekten Rede dürften ihren Spaß mit diesem Buch haben, bei dem der Erzählerin trotz aller Zweifel an den eigenen Sätzen und dem eigenen Erzählen dann doch etwas Außergewöhnliches gelungen ist – ein ganz eigenständiges Kunstwerk.


  • Dorothee Elmiger – Die Holländerinnen
  • ISBN 978-3-446-28298-8 (Hanser)
  • 160 Seiten. Preis: 23,00 €
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