Kein Land für junge Frauen

Elizabeth Wetmore – Wir sind dieser Staub

Hier hat man es als Frau nicht leicht: in Odessa, einem kleinen Städtchen in West-Texas regiert 1976 das schwarze Gold und das Patriarchat. Elizabeth Wetmore erzählt in ihrem Debüt von Frauen, die den Widerspruch wagen und sich den Gepflogenheiten entgegenstellen. Wir sind dieser Staub.


Es ist der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. In der Wüste wird die junge Mexikanerin Gloria Ramírez von einem lokalen Taugenichts brutal vergewaltigt. Das minderjährige Mädchen schleppt sich durch die von Sand und Bohrtürmen dominierte Landschaft, bis sie auf die Farm von Mary Rose stößt. Diese ruft dem Mädchen einen Krankenwagen und erstattet Anzeige gegen den Vergewaltiger, nachdem sie dieser in ihrem eigenen Zuhause bedroht hat, um die Herausgabe des Mädchens zu erzwingen. Mary Rose beschließt, dass es reicht. Sie erstattet Anzeige gegen den Mann und läutet damit so etwas wie eine Zeitenwende ein.

Elizabeth Wetmore - Wir sind dieser Staub (Cover)

Bislang waren es die Männer, die entschieden und denen die Macht oblag. Egal ob Farmer, Öhlbohrarbeiter oder Richter – die Männer brachten das Geld nach Hause und führten das Wort. So etwas wie Gleichberechtigung ist 1976 im ländlichen Texas noch nicht in Sicht – und doch bricht sich nun auch hier die Veränderung Bahn.

Elizabeth Wetmore erzählt davon, indem sie verschiedene Frauen in den Fokus nimmt. Da ist die junge Gloria Ramírez, die sich nach der Vergewaltigung zu einer Metamorphose entschließt und künftig nur noch Glory genannt werden will. Die Ich-Erzählerin Mary Rose, die mit ihrer Rolle als Mutter und Ehefrau kämpft. Corrine, die ehemalige Lehrerin, die den krankheitsbedingten Suizid ihres Mannes nicht verwinden kann. Oder die kleine Debra Ann, die die Bekanntschaft mit einem in einem Rohr hausenden Veteranen macht. Sie alle stehen bilden stellvertretend die weibliche Gesellschaft in Odessa ab.

Wetmore zeigt dabei ein ungeschöntes Bild dieser Gesellschaft, die von Hoffnungslosigkeit, Gewalt und Flucht geprägt ist. Wer schlau genug ist, sucht möglichst schnell das Weite. Alle anderen Frauen werden schon vor ihrem 18. Geburtstag wieder Mütter und bereiten so einer weiteren Generation den Boden, die von Perspektivlosigkeit und starren Rollenmustern geprägt werden. Genau hier allerdings verheißt Mary Roses Mut, den Vergewaltiger anzuzeigen, einen möglichen Weg aus den ewigen Kreisläufen der sozialen Determination, die Odessa bislang bedeutete.

Täter-Opfer-Umkehr

Neben dem Bild der weiblichen Gesellschaft dort im amerikanischen Süden ist es auch die soziale Bewertung der Vergewaltigung, die im Mittelpunkt von Wir sind dieser Staub steht. Während die Fakten eine unmissverständliche Sprache sprechen (die Vergewaltigung hat bei Gloria sogar einen Milzriss hervorgerufen), sehen die Männer in Odessa die Lage alles andere als klar an und betreiben munter eine Täter-Opfer-Umkehr:

Das ist doch völlig klar, sagte einer [der] Männer, wir haben es hier mit zwei widersprüchlichen Darstellungen zu tun. Ein typischer Fall von Aussagen gegen Aussage. Sein Sitznachbar nippte am Bier und knallte das Glas auf den Tresen. Ich habe das Bild von der Kleinen in der Zeitung gesehen, sagte er, die war nicht vierzehn. (…)

So sind die Mexikanerinnen eben, sagte ein dritter Mann, die sind frühreif. Die Männer lachten. Oha ja, Sir! Sehr frühreif, rief einer.

Elizabeth Wetmore – Wir sind dieser Staub, S. 49 f.

Auch der Prozess selbst zeigt die Macht des Patriarchats deutlich, etwa wenn der Vorsitzende Richter die Zeugin Mary Rose bei ihrer Aussage drangsaliert und ihr seine Regeln aufzwingt.

Frauenschicksale und männliche Gewalt

Immer wieder wechselt Elizabeth Wetmore die Perspektive, erzählt von jungen und alten Frauen, von Trauer, Mutterschaft oder Freundschaft. Den einzigen kleinen Kritikpunkt, den ich hierbei anbringen möchte, ist die gleichzeitige die Uniformität und Unverbundenheit, die Wir sind dieser Staub in meinen Augen innewohnt. So klingen alle Frauen recht gleich und ihre Eindrücke und Erlebnisse sind teilweise recht unverbunden und stehen für sich. Eindrücklicher und literarisch überzeugender hat das die von mir zuletzt gelesene Ivy Pochoda in Diese Frauen geschafft, ein großes Tableau weiblichen Leidens und männlicher Gewalt zu zeichnen, das sowohl durch unterschiedliche Sprachstile als auch zugleich durch große Verbundenheit im Erleben und Schicksal überzeugt.

Auch ist die Schilderung des Prozesses nach der Vergewaltigung etwas arg plakativ und einfach geraten, sodass ich unweigerlich an den diesjährigen Gewinnertitel des Deutschen Buchpreises denken musste – ist das Sujet bei Antje Ravík Strubel und Elizabeth Wetmore doch das gleiche. Im Vergleich zu Wetmores Buch ist in Blaue Frau das Thema der Vergewaltigung doch nuancierter und feiner ausgearbeitet

Aber von solchen direkten Vergleichen abgesehen ist Wir sind dieser Staub ein zugleich historisches aber auch aktuelles Bild von männlicher und weiblicher Gesellschaft, vom Aufbrechen verkrusteter Strukturen und ein Blick ins ländliche Texas zwischen Ölboom und gewalttätiger Männlichkeit. Ein Debüt, dem man nur mit dem reichlich kitschig wirkenden Cover keinen Gefallen getan hat. Denn der Inhalt entscheidet sich hier doch deutlich von der Verpackung.

Weitere Meinungen zum Buch gibts bei Zeichen&Zeiten und Deutschlandfunk Kultur.


  • Elizabeth Wetmore – Wir sind dieser Staub
  • Aus dem Englischen von Eva Bonné
  • ISBN 978-3-8479-0092-4 (Eichborn)
  • 319 Seiten. Preis: 24,00 €
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