Sommer, das ist auch immer Theater. Es zieht die Menschen nach draußen und auf den Freilichtbühnen des Landes werden Opern, Musicals und Theaterstücke gegeben. Auch in Erich Kästners Roman Der kleine Grenzverkehr ist das nicht anders. Hier verschlägt es einen jungen Schriftsteller nach Österreich, wo er zusammen mit einem Freund die legendären Salzburger Festspiele mitsamt ihrer nicht minder legendären Aufführung des Jedermann von Hugo von Hoffmannsthal als Höhepunkt besuchen will. Doch nicht nur auf der Bühne wird Theater gespielt – und dann ist da auch noch die lästige Problematik des Schlagbaums zwischen Österreich und Deutschland…
Es ist eine Grenzsituation noch vor Schengen, Freizügigkeit und dem Euro, die Erich Kästner in Der kleine Grenzverkehr wieder aufleben lässt. Sein in Form eines Tagebuchs erzählten Romans spielt im Jahr 1937 und erschien erstmalig ein Jahr darauf. Das ist insofern bemerkenswert, da 1938 der „Anschluss“ Österreichs an Deutschland unter den Nationalsozialisten vollzogen wurde.
Volten der Geschichte
Kästner formuliert diesen Umstand in seinem Vorwort an die Leser der 1948 in Zürich erschienen Ausgabe wie folgt:
Als ich dieses kleine Buch, während der Salzburger Festspiele Anno 1937, im Kopf vorbereitete, waren Österreich und Deutschland durch Grenzpfähle, Schlagbäume und unterschiedliche Briefmarken „auf ewig“ voneinander getrennt. Als das Büchlein im Jahr 1938 erschien, waren die beiden Länder gerade „auf ewig“ miteinander verbunden worden. Man hatte nun die gleichen Briefmarken und keinerlei Schranken mehr. Und das kleine Buch begab sich, um nicht beschlagnahmt zu werden, hastig außer Landes.
Habent sa fata libelli, wahrhaftig, Bücher haben auch ihre Schicksale. Jetzt, da das Buch in einer neuen Auflage herauskommen soll, sind Deutschland und Österreich wieder voneinander getrennt. Wie durch Grenzpfähle, Schlagbäume und unterschiedliche Briefmarken. Die neuere Geschichte steht, scheint mir, nicht aufseiten der Schriftsteller, sondern der Briefmarkensammler. Soweit das ein sanfter Vorwurf sein soll, gilt er beileibe nicht der Philatelie, sondern allenfalls der neueren Geschichte.
Erich Kästner – Der kleine Grenzverkehr, S. 7
Und während man sich nun, knapp neunzig Jahre seit dem ursprünglichen Erscheinen, wieder mehr oder minder frei von Kontrollen und Devisentausch zwischen den Nachbarländern bewegen kann, ist von der Durchlässigkeit der Grenze für Georg, den Helden von Kästners Roman, noch nichts zu spüren – im Gegenteil.
Über die Grenze nach Österreich
Mit einem schönen metafiktionalen Kniff gibt Kästner sein Werk dabei als Fundstück aus, das er ohne das Wissen seines Freundes publiziert habe. Einst habe es ihm sein Freund in die Hände gedrückt, und nun habe er sich entschieden, dieses Sommertagebuch zu veröffentlichen.
Und so beginnt die Geschichte Georg Rentmeister, der von seinem Freund Karl eingeladen wird, zusammen mit ihm die Salzburger Festspiele zu besuchen. Für Karl steht ein Engagement als Bühnenbildner in Aussicht – und so wollen die beiden Freunde sich im August in der Stadt an der Salzach umtun und den vielen hochkarätigen Aufführungen unter freiem Himmel beiwohnen, wie Georg in dem Tagebuch schreibt.
Da ist nun nur das Problem der Devisen. Denn obschon er die Reise nach Österreich per Bahn angetreten hat, steht eine Auskunft der Devisenstelle noch aus. Genau (um)gerechnet bleiben ihm von seinen zehn Reichsmark täglich nur 33,3 Pfennige für den Aufenthalt in Salzburg – „Was zu wenig ist, ist zu wenig!“, wie Georg selbst in seinem Tagebuch notiert. Und so entscheidet er sich zu einem zweigeteilten Aufenthalt. Das Hotel bezieht er auf der deutschen Seite in Reichenhall, um dann täglich mit dem Autobus eine halbe Stunde und zwei Passkontrollen später in Salzburg einzutreffen, wo er mit seinem Freund die von ihren Kunstschätzen und Bauten geprägte Stadt durchstreift und dem sommerlichen Kulturgenuss huldigen möchte.
Doch da ist auch noch eine weibliche Bekanntschaft, die der permanent in Geldnöten steckende Georg macht. Der Genehmigungsvertrags seiner Devisen zieht sich weiterhin und so ist es ein Stubenmädchen namens Konstanze, das ihm unverhofft begegnet und das ihn aus der finanziellen Bredouille befreit.
Sommerliche Scharaden in Salzburg
Auf einem nahegelegenen Schloss würde sie arbeiten, so offenbart sie sich Georg, der nicht nur von ihrem Sparkassenbuch begeistert zeigt, sondern deren Äußeres den jungen Mann auch zum Schwärmen bringt. Rasant beginnt das Tête-a-tête der beiden, bei dem sich dann herausstellt, dass Konstanze Georg etwas vorspielt. Doch auch er spielt wenig später schon bei der sommerlichen Scharade, die Konstanze aufzieht, begeistert mit. So gibt es nicht nur auf den Bühnen der Stadt Irrungen und Wirrungen zu beobachten, sondern auch im Schloss spielt sich schon bald Heiter-Romantisches ab…
Der kleine Grenzverkehr ist ein Buch, bei dem nur wenig auf das hindeutet, was schon ein Jahr später über die beiden Länder und bald den ganzen Kontinent hereinbrechen sollte.
Während Karl in Berlin noch der Erlaubnis des Wehrkreiskommandos und der Passstelle bedarf, um überhaupt die vierwöchige Reise nach Österreich antreten zu dürfen, wird die Welt mit jedem Kilometer, den er der deutsch-österreichische Grenzregion näher kommt, leichter. Postkartenmotive von Heu erntenden Bauern auf den Bergen oder den Gassen Salzburgs versprühen Nostalgie und Idylle.
Zudem nimmt sich dieser im August spielende Roman auch nicht ernster, als er muss. Das Spiel mit dem fiktiven Tagebuch, die Scharaden um Georg und Konstanze, die Irrungen und Wirrungen – Kästners Sommerroman ist leicht und heiter – was insbesondere angesichts der Umstände, unter denen er entstanden ist, umso bemerkenswerter ist. Dass Kästner fünf Jahre vor dem Entstehen dieses Buchs mit ansehen musste, wie seine eigenen Bücher von den Nationalsozialisten verbrannt wurden, und in Folge dieses Ereignisse mit einem partiellen Schreibverbot belegt wurde, diese Erfahrungen zeichnen den Roman nicht, im Gegenteil.
Fazit
Der kleine Grenzverkehr feiert das Theater, die Scharade und die Liebe hingebungsvoll. Ebenso ist der Roman eine Hommage an Salzburg und seine Festspiele und die Welt der Berge. Auch fast neunzig Jahre nach dem erstmaligen Erscheinen lässt dieser kurze und doch reichhaltige Romane auch angesichts der Umstände seiner Entstehung staunen. Eine wirkliche Empfehlung, und das nicht nur an Augusttagen!
- Erich Kästner – Der kleine Grenzverkehr
- ISBN 978-3-03882-015-4 (Atrium)
- 146 Seiten. Preis: 12,00 €