Frank Martinus Arion – Doppeltes Spiel

Nennen Sie einen Roman, der auf den Antillen spielt. Eine echte Herausforderung, auf die ich vor der Lektüre von Frank Martinus Arions Roman Doppeltes Spiel keine Antwort gehabt hätte. Aber da gibt es ja die Reihe Weltempfänger der Büchergilde Gutenberg, die in Zusammenarbeit mit der LitProm uns westlich orientierten Leser*innen die reichhaltige Literatur des Globalen Südens näherbringen möchte.

Und so gibt es nun mit Doppeltes Spiel Literatur von der Antilleninsel Curaçao zu entdecken, die hier in einer Neuübersetzung von Lisa Mensing vorliegt. Schade nur, dass sich das Buch bei allen guten Absichten und der verheißungsvollen Plotidee für mich als Flop herausgestellt hat.


Vier Männer treffen sich unter dem Schatten eines Tamarindenbaums zum Dominospiel. Das auf der ganzen Insel heißgeliebte Spiel dient den vier Männern zum Zeitvertreib und ist das, was man gemeinhin mit der Phrase „Mehr als ein Spiel“ umreißt. Alle vier Männer sind reichlich unterschiedlichen, stammen aus verschiedenen Schichten und Milieus.

Da ist der Taxifahrer Bubu Fiel, bei dessen Haus der Tamarindenbaum steht, unter dem die Männer zusammenkommen. Da ist Chamon Nicolas, der von der benachbarten Antilleninsel Saba nach Curaçao gekommen ist, um dort Arbeit zu finden. Manchi Sanantonio verfügt als Gerichtsschreiber über ein stattliches Eigenheim, das sein ganzer Stolz ist. Und Janchi Pau ist ein klassischer Taugenichts, der nach dem Tod seiner Mutter in einem Rohbau haust, dessen Fertigstellung irgendwann aus seinem Blick geraten ist.

Diese vier Männer verbindet die Leidenschaft zum sonntäglichen Dominospiel – und noch etwas, nämlich ihre Frauen, die auf pikante Art und Weise mit den vier Männern verbandelt sind. Solema, die Frau des Gerichtsschreibers Manchi Sanantonio, pflegt eine Affäre mit Janchi Pau. Manchi weiß zwar um die Promiskuität seiner Frau und lässt sie das regelmäßig durch demütigende Rituale spüren. Von der Affäre seines Dominopartners mit seiner eigenen Gattin ahnt er jedoch nichts. Ebenso wie Bubu Fiel, dessen Frau Nora sich regelmäßig prostituiert, um das von Fiel versoffene Geld für die eigenen Kinder wieder hereinzubekommen. Sie betrügt ihren Mann mit Chamon Nicolas, der wiederum ebenfalls versucht, die Affäre vor seinem Dominopartner geheim zu halten.

Ein Dominospiel auf Leben und Tod

Diese sechs pikant miteinander verbandelten Figuren treffen im Zuge des Dominospiels aufeinander, das sich zu einer echten Partie auf Leben und Tod entwickelt, die schlussendlich ganz Curaçao elektrisiert und in dem verschiedene Temperamente und Ansichten auf dem Spielbrett und vor allem daneben verhandelt werden.

Frank Martinus Arion - Doppeltes Spiel (Cover)

So hätte Doppeltes Spiel werden können (was ich mir von der Beschreibung des Plots auch tatsächlich erhoffte). Stattdessen habe ich ein Buch bekommen, das mich wechselweise gelangweilt, befremdet, dann wieder überrascht aber in seiner Gesamtheit nicht wirklich überzeugt hat.

Dabei ist die Erzählanordnung des Romans ja wirklich spannend. Vier Männer, zwei Frauen, alle sechs People of Color und miteinander in Beziehung stehend. Der Handlungsrahmen eines einzigen Tages, der mit dem Kapitel Der Morgen und der Vormittag beginnt, sich dann im umfangreichsten Teil der Beschreibung des Dominomatchs am Nachmittag und der Dämmerung fortsetzt und dann in der Dämmerung und in dem Nachspiel dann eine letzte Schlussvolte bereithält. So bleibt die Einheit von Zeit und Ort gewahrt, alle Figuren stehen für unterschiedliche Teile der curaçaonischen Gesellschaft, für unterschiedliche Ideen, Temperamente und Wünsche, wie es mit ihnen und ihrem Land weitergehen soll.

Ein Roman in der Sprache der Kolonisatoren

Und auch die Geschichte hinter dem Roman und seinem Schöpfer Frank Martinus Arion ist ja durchaus interessant. So schrieb der 1936 auf Curaçao geborene Schriftsteller den Roman auf Niederländisch, der Sprache der Kolonisatoren, die die Antillen seit der Zeit der Niederländischen Westindien-Kompanie als Überseegebiet für sich reklamierten (ein Status, aus dem Curaçao erst im Jahr 2005 als autonomes Land innerhalb des niederländischen Königreichs entbunden wurde).

Arion ging 1955 für ein Studium in die Niederlande, wo er in Leiden studierte. Doch trotz seines Wegzugs aus seiner Heimat blieb Curaçao stets seine eigentliche Heimat, wie die Übersetzerin Lisa Mensing in ihrem Nachwort erklärt. So verfasste er die Kurzgeschichte Das Dominospiel bei Bubu Fiel, das nach Umarbeitungen und einer Aufwertung der Frauenfiguren dann 1973 als Roman in den Niederlanden erschien und der erste Roman eines schwarzen Autors aus Curaçao war, bei dem nur People of Color eine Rolle spielen.

Dabei blieb der 2015 verstorbene Arion stets ein Sprachwanderer, der in Doppeltes Spiel mit dem Niederländischen und den einheimischen Sprachen spielt, was die Übersetzung zu einer Herausforderung werden ließ.

Wenig überzeugend bis ärgerlich

All das ist wirklich spannend und lässt die Entscheidung für eine Veröffentlichung und Neuübersetzung des Werks folgerichtig erscheinen. Aber leider ist der Roman von Frank Martinus Arion für mich wirklich literarisch wenig befriedigend und hat mich mit seinem Inhalt alles andere als überzeugt. Das hat mehrere Gründe.

So hatte ich mich nach der Beschreibung des Romans auf einen packenden Roman gefreut, der sein Raum- und Zeitminimum für eine spannende Studie Curaçaos und der Gesellschaft zu nutzen weiß. Dass der Roman schon fast fünfzig Jahre alt ist und damit zu einer Zeit spielt, als Richard Nixon noch US-Präsident war – geschenkt. Könnte der Roman doch auch über seinen Zeitrahmen hinausweisende Bezüge von Kolonialismuskritik und Beobachtung der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen auf Curaçao herausarbeiten, die das Buch auch heute noch lesenswert machen. Tja, könnte.

Stattdessen dominiert eine äußerst umständliche Exposition der Handlungsfiguren, bei der über hundert Seiten vergehen, bis es dann wirklich zum entscheidenden Dominomatch kommt. Immer wieder werden verheißungsvolle Ansätze der gesellschaftlichen Innensicht von zähen Schilderungen des Dominomatches unterbrochen, wird jedes Anlegen eines Steins lang und breit kommentiert, statt die Handlung voranzutreiben.

Befremdliches Geschlechterbild

Beständig gibt es solche sich ziehenden Schilderungen und Debatten, etwa wenn die vier Männer ausführlichst (und mit verwinkelten Anspielungsebenen) diskutieren, wie mit dem Fall eines fiktiven Richters umzugehen ist, der seine Frau in flagranti mit einem anderen Mann ertappt hat. Bei diesem Richter handelt es sich wiederum einfach nur um das verklausulierte Alter Ego von Manchi und dessen Frau Solema, der seine Freunde in diese Debatte lockt.

Dererlei Passagen hemmen den Lesefluss ungemein – und noch deutlich negativer in meinen Augen – zeigen ein heutzutage doch reichlich befremdliches Geschlechter- und Rollenbild. Die Frauen prostituieren sich häufig, betrügen ihre Männer. Diese wiederum suchen Prostituierte auf oder fahren wie im Falle von Bubu Fiel häufig Ausländer in die Bordelle, wo er in jenen Etablissements auch selbst ein guter Kunde ist. Und wenn speziell ein weiblicher Fahrgast einmal nicht zahlen kann, dann tauscht Bubu Sex gegen Fahrkosten.

Derb, oftmals auch sehr vulgär sind die Äußerungen die sich gerade vor dem Hintergrund unserer Gegenwart sehr vorgestrig und sexistisch bis misogyn lesen, etwa wenn die vier Männer darüber fachsimpeln, ob das Antanzen und Anfassen fremder Frauen legitim ist oder mit ihren letzten sexuellen Abenteuer und Eskapaden prahlen.

Dass die Frauen die eigentlichen Heldinnen dieser Geschichte sind, wie es der Klappentext des Buchs verkündet, auch das hat sich mir nicht wirklich erschlossen. Natürlich bieten die Frauen ihren Männern Paroli, betrügen sie und sind im Auftreiben von ausstehenden Geldern erfindungsreich. Aber reicht das, um aus Frauen Heldinnen zu machen?

Zumindest in Sachen Sympathie sind auch sie nicht weiter vorne bei mir. Ich konnte weder auf der männlichen noch auf der weiblichen Seite dieses Doppelten Spiels Held*innen ausmachen. Da helfen auch alle Analogien zwischen den Dominosteinen und den Charakteren mit ihren zwei Gesichtern nicht. Selbst das blutige Finale des Buchs kann da den antiquierten Gesamteindruck meiner Lektüre nicht wirklich retten.

Fazit

So bleibt von Doppeltes Spiel bei mir der Eindruck von einer hochspannenden Theorie rund um das Buch und den Autoren Frank Martinus Arion, dass ein Erscheinen in der Reihe Weltempfänger plausibel erscheinen lässt. Liest man das Buch selbst, erschließt sich die Entscheidung für die Übersetzung genau jenes Titels aus der literarischen Welt des Globalen Südens für mich allerdings nicht wirklich, hat man es doch mit einem recht überkommenen und in vielen Punkten heutzutage fragwürdigen Buch zu tun. So toll die Reihe Weltempfänger sonst auch ist – hier hätte man in meinen Augen durchaus ein aktuellere und auch relevantere – gerne auch weibliche – Stimme aus der literarischen Welt der Karibik finden können.

Wollte man zeigen, wie Sexismus in den niederländischen Seegebieten in weiten Teilen der Bevölkerung gängig war und welches Geschlechterbild dort dominiert(e), dann ist die Wahl von Doppeltes Spiel eine vortreffliche. Auch demonstriert das Buch vorzüglich, wie sich unsere Gesellschaft in Sachen Machtmissbrauch, #metoo und überkommener Rollenbilder sensibilisiert und weiterentwickelt hat, in diesem Sinne ist liefert Frank Martinus Arions Buch viel Anschauungsmaterial.

Für mich war die Lektüre von Doppeltes Spiel allerdings kein Genuss, vielmehr hat mich die Welt, die ich hier vorgefunden habe, in weiten Teilen befremdet. Auch das starke Finale konnte mich mit den Längen und überkommenen Geschlechterbildern leider nicht überzeugen, und so brauchte es viel Selbstdisziplin für die ganze Lektüre, für die ich leider keine gesteigerte Empfehlung aussprechen kann.

Ganz anders sieht das meine Büchergilde-Botschafterkollegin Kathrin alias la_chienne, die Doppeltes Spiel auf ihrem Instagram-Kanal sehr preist. Ihre Kritik findet sich unter folgendem Link:


  • Frank Martinus Arion – Doppeltes Spiel
  • Aus dem Niederländischen von Lisa Mensing
  • Büchergilde Gutenberg, Reihe Weltempfänger
  • 400 Seiten. Preis: 24,00 €

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