Wenn man in die Printlandschaft und die Bloggospäre rund um den Deutschen Buchpreis 2018 schaut, dann scheinen sich fast alle einig: Maxim Billers Sechs Koffer ist ein Meisterwerk, ein preiswürdiger Kandidat für die Shortlist und sogar für höhere Weihen. Nach der Lektüre frage ich mich – haben all die Rezensent*innen ein anderes Buch als ich gelesen?
Die Ausgangslage zu Billers Miniaturdrama (nicht einmal 200 Seiten weist die Erzählung auf) ist sehr vielversprechend. Die Mitglieder der Familie Biller leben alle mit einer Ungewissheit. Ihr Vater bzw. Großvater, tschechisch der Tate, wurde nach einem Verrat hingerichtet. Er schmuggelte Uhren und Dollars in den Westen – bis ihn ein Tipp auffliegen ließ. Doch wer ist der Verräter, wer hat den Taten auf dem Gewissen? Niemand weiß es, und so beginnt der Enkel des Taten mit seinen Nachforschungen.
Wer spricht die Wahrheit? Wer ist der Verräter? Und welche Blicke eröffnen uns sechs unterschiedliche Perspektiven? Eigentlich ein hochspannender Ansatz, aus dem Biller allerdings leider überhaupt nichts erzeugen kann. Weder schafft er es, die unterschiedlichen Charaktere sauber herauszuarbeiten und klar zu machen, wer gerade erzählt, noch gelingt ihm, eine saubere Exposition zu kreieren, die in die Erzählung hineinträgt.
Mehrmals musste ich ansetzen, um in Sechs Koffer hineinzufinden. Wer ist nun wer, welcher Konflikt liegt dem Ganzen zugrunde, wer erzählt hier gerade? All das erschloss sich mir erst nach mehrmaligem Loslesen von Billers Geschichte. Neben einer sauberen Ausarbeitung und einem erzählerischen Plan fehlt diesem Buch Rhythmus und ein innerer logischer Fluß, der den Leser durch die Geschichte geleitet.
Zu kurz und skizzenhaft
Meist vertrete ich ja die Auffassung, dass viele Bücher stärker werden, wenn man sie kürzt, reduziert, eher auf ihren Kern fokussiert. Dass manchmal auch das Gegenteil der Fall ist, sieht man an Sechs Koffer. Billers Prosa ist gehetzt, vollgestopft wie ein muffiges und zu kleines Zimmer voller Nippes. Mit 50 oder 100 mehr Seiten hätte er in meinen Augen ruhiger ausarbeiten können, worum es ihm geht und seinen Charakteren mehr Spielzeit gönnen können. So bleibt keine Figur im Gedächtnis, alles verharrt angerissen und skizziert.
Dass man am Ende der Geschichte genauso schlau wie vorher ist, das ist da schon geschenkt.
Dafür, dass Maxim Biller in die Richtung anderer Autor*innen immer hart austeilt, ihnen Duckmäusertum, Bräsigkeit und „Schwanzlosigkeit“ vorwirft, da sie noch nichts erlebt hätten – dafür liefert er selber sehr schwach ab. Auch seine Sprache weiß leider nicht zu begeistern. Eine besondere Kreativität ist hier nicht erkennbar, störend für mich hingegen war so manches Mal ein Zuviel an (widersprüchlichen und) ungenauen Adjektiven. Ein Beispiel sei hier auf Seite 12 genannt:
Sollte Dima über seine fünf Jahre in Pankrác lachen? Sollten sie beide über den Tod ihres armen Vaters lachen, ihres geliebten, strengen und meistens viel zu großzügigen Taten?
(Biller, Maxim: Sechs Koffer, S. 12)
Für mich leider im Gegensatz zum Gros der Kritiker durch die Bank weg enttäuschend. Eine Zuerkennung des Deutschen Buchpreises 2018 für Sechs Koffer könnte ich leider nicht nachvollziehen.
Eine ebenfalls kritische Analyse und Einschätzung hat abseits von allen lobenden Bewertungen noch Marina Büttner von Literaturleuchtet geschrieben.
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Hallo Marius,
schön, dass wir wohl die gleiche Geschichte gelesen haben, denn ich komme zum gleichen Schluss wie du und frage mich, wie es dieses Buch auf die Nominierungsliste des Deutschen Buchpreises 2018 geschafft hat?
Falls du Lust auf meine Meinung hast, kommt doch gerne HIER vorbei.
GlG, monerl
Na da schau an. Da hab ich mich ja richtig entschieden, nicht zu lesen. Wieder mal eine sehr fundierte Besprechung. Dank dafür. LG
Bitte, immer gerne. Wollte nur diesem ganzen Konzert der Lobeshymne mal einen Kontrapunkt hinzufügen …
das ist ja auch richtig so, wie du das machst 😉