Rebecca Makkai – Die Optimisten

Manchmal bringt das Leseleben schon erstaunliche Überschneidungen mit der Realität zurande. Jüngstes Beispiel. Da lese ich den auf Blogs und Instagram omnipräsenten Roman Die Optimisten der Schriftstellering Rebecca Makkai. Und dann ist darin die Rede von einem unsichtbaren Virus, das eine ganze Gesellschaft verunsichert. Polizeigewalt bei Demonstrationen. Und einem Paris im Lockdown. Allerdings handelt es sich um keinen Schnellschuss dieser Tage, sondern einen im Original 2018 erschienenen Roman. Von Bettina Arbanell wurde dieser nun ins Deutsche übertragen und erschien im kleinen Eisele-Verlag.


Vom hoffnungsfrohen Titel des Buchs sollte man sich allerdings nicht in die Irre führen lassen. Denn Grund zum Optimismus gibt es in ihrem Buch wenig. Wir schreiben nämlich das Jahr 1985. Vor zwei Jahren wurde erstmals in Paris ein Virus beschrieben, das schon bald zu Unsicherheit, Sorge und einer hohen Sterblichkeitsrate führen sollte. Die Rede ist von HIV. Im Milieu, das Rebecca Makkai in ihrem Roman beschreibt, nimmt man dieses Virus noch nicht ernst. Die Schwulenszene Chicagos gibt sich dem hedonistischen Treiben hin. Sorglosigkeit und Promiskuivität prägen die Gesellschaft der Männer, die sich teils auf Bahnhofstoiletten und Saunaclubs mit anderen Männern zum Stelldichein verabreden. So etwas wie Aufklärung, Kondome oder Ähnliches ist in dieser Gesellschaftsschicht im Jahr 1985 noch gar nicht en vogue.

Rebecca Makkai - Die Optimisten (Cover)

Die rasante Ausbreitung im engsten Freundeskreis erlebt auch Yale Tishman am eigenen Leib mit. Er ist als junger Beschäftigter einer Gallerie auf der Spur einer Kunstsammlung einer alten Dame. Diese hat ihn kontaktiert, saß sie doch im Paris der 20er Jahre für Größen wie etwa Amadeo Modigliani Modell. Doch nicht nur Yale ist hinter der Sammlung her. Auch die Familie der Dame wittert den großen Reibach und möchte die Skizzen monetarisieren.

Während Yale also seine ganze Überzeugungskraft aufbieten muss, ist die Situation im privaten Umfeld höchst prekär. Seine Freunde infizieren sich mit dem Virus, erste Tests zeigen niederschmetterende Diagnosen. Es scheint, als könnte nichts die Ausbreitung des Virus eindämmen.

Zwischen Chicago und Paris

Sprung nach vorne. Im zweiten Handlungsstrang erzählt Rebecca Makkai derweil von Fiona. Diese ist im Paris 2015 unterwegs, um ihre Tochter Claire zu finden. Diese ist verschwunden. Sie hat geheiratet und ist in den Kreis einer Sekte geraten. Während Fiona die Stadt nach ihrer Tochter durchkämmt, kreuzt sie auch die Lebenswege von Freunden aus Chicago, die Erinnerungen an Erlebtes aus den 80er Jahren wecken.

Dieser erzählerische Bogen über 30 Jahre ist es, der das Grundgerüst der Optimisten bildet. Allerdings ist der Erzählstrang um Fiona und die Suche nach ihrer Tochter der deutlich schmälere. Er bildet höchstens einen Erzählanteil von 25 Prozent (und ist meinen Augen auch der schwächere). Wenngleich die Rückschau auf das Treiben in Chicago 30 Jahre zuvor eine nette Komponente ist, so hätte es diese in meinen Augen nicht unbedingt gebraucht, zieht sie das Buch mit ein paar erzählerischen Volten doch in die Länge.

Solche Längen gibt es auch im Chicago-Teil des Buchs. Hier fallen diese allerdings nicht so ins Gewicht. Vielmehr ist die ausschweifend erzählte Milieuschilderung der Chicagoer Schwulenszene sowie der Kunstszene wirklich gelungen. Wie sich das öffentliche Bewusstsein über AIDS ändert, wie die Krankheit Menschen grausam hinwegrafft, wie Beziehungen und Freundschaften abrupt ihr Ende finden – davon erzählt Rebecca Makkai wirklich gekonnt. Die Atmosphäre und das Tun und Treiben in den Clubs, Betten und Kultureinrichtungen, Die Optimisten vermittelt gekonnt, wie es einst gewesen sein muss, als händchenhaltende Männer zusammengeschlagen wurden und Pride-Paraden noch ein exotisches zirkusgleiches Event waren.

Die Optimisten das Buch des Jahres?

Nun aber zur großen Frage, die ander Blogger*innen schon für sich beantwortet haben. Ist Die Optimisten DAS Buch des Jahres? Nein, denn dazu ist mir der Qualitätsabfall zwischen den beiden Erzählsträngen zu groß. Und auch wenn Bettina Arbanell als Übersetzerin gute Arbeit leistet – sprachlich ist das Buch auch eher Durchschnittskost. Da hat man eine Würdigung der Kunst in diesem Jahr schon deutlich besser gelesen. Aber nichtsdestotrotz unterhält das Buch gut. Mit über 600 Seiten ist es ja ein wirklicher Schmöker mit nur wenigen Durchhängern. Fein übersetzt und mit einem Thema, nämlich der AIDS-Epidemie in den 80ern, das sonst im Literaturmainstream dieser Tage wenig Beachtung findet, wenngleich Viren dieser Tage ja wieder große Aufmerksamkeit beikommt. Von daher, durchaus eine Empfehlung, allerdings keine enthusiastische.

Andere Meinungen gibt es unter anderem hier: bei Buchrevier, bei Angelika liest und hier:

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Marc
3 Jahre zuvor

Hi Marius,

Mit deiner Kritik gehe ich fast zu 100% mit, sehe es genauso. Der Gegenwartsteil hat der Geschichte kaum etwas mitgegeben, außer zum Schluss. Dort konnte mich das Gesamtpaket dann doch mitreißen. Aber als Buch des Jahres sehe ich es ebenfalls nicht, jedoch als guten Schmöker, der sicher auch durch die Situation bedingt, länger im Gedächtnis bleibt.

Liebe Grüße
Marc