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Francesca Maria Benvenuto – Dieses Meer, dieses unerbittliche Meer

Bekenntnisliteratur eines Nachwuchs-Killers. In ihrem Debüt Dieses Meer, dieses unerbittliche Meer lässt die italienische Autorin Francesca Maria Benvenuto einen jugendlichen Gefängnisinsassen zu Beginn der 90er-Jahre einen langen Brief schreiben. Er zeichnet darin das Bild von Gewalt, die immer wieder Gewalt gebiert.


Nisida ist eine kleine im Golf von Neapel gelegene Insel. Auf dieser Insel befindet sich ein Gefängnis für Fälle wie den Jugendlichen Zeno, der einen Brief für seine Lehrerin schreibt – und damit uns Einblicke in ein gewaltgesättigtes Milieu liefert, das keinen Raum für Entkommen lässt.

Benvenuto siedelt ihr Debüt zu Beginn der 90er Jahre an. Damit spielt Dieses Meer, dieses unerbittliche Meer in einer Phase, als wirtschaftlicher Aufschwung und Tourismus für Neapel noch in weiter Ferne lagen. Während der Norden bereits prosperierte und Anschluss an die EU fand, lag der Süden brach. Gewalt, Korruption und mafiöse Strukturen, allen voran die Camorra, dominierten die Stadt. Liest man Benvenutos Roman, dann steht dem Leser diese Zeit rasch sehr plastisch vor Augen.

Ein Brief aus dem Gefängnis

Denn um ihren Roman zu erzählen, wählt die Italienerin den Kniff eines schriftlichen Geständnisses, das der junge Zeno auch vor uns ablegt. Gerade einmal fünfzehn Jahre und vier Monate alt ist er, und doch sitzt er schon mit vielen anderen Jugendlichen im Gefängnis – die Strafe für einen Mord, den er begangen hat.

Francesca Maria Benvenuto - Dieses Meer, dieses unerbittliche Meer (Cover)

Um an Weihnachten wenigstens für zwei Tage Ausgang zu bekommen, schreibt er einen Brief, in dem er sein ganzes Leben darlegt. Seine Lehrerin im Gefängnis hat ihm dies als Bedingung abgerungen, damit sie beim Gefängnisdirektor ein gutes Wort für den Jungen einlegt, der über sich selbst sagt, dass er „geklaut, gedealt und sogar gemordet, aber nie gelogen habe“.

Und so berichtet er von seinem Werdegang, seinem Aufwachsen im Stadtteil Forcella in Neapel, wo die Hoffnungslosigkeit zuhause ist. Der Vater ebenfalls in einem Gefängnis einsitzend, die Mutter Prostituierte, die Schwester auch mit einer kurzen Zeit als Prostituierte, ein kärgliches Zuhause im beengten Souterrain eines Hauses. So sieht das Milieu aus, das dann auch Zenos Lebensweg bestimmt.

Ein jugendlicher Mörder

Zum Mord ist es in der Konsequenz des Lebens dort nur ein kleiner Schritt – und so sitzt er nun ein und hat Zeit, das Leben vor seiner Zeit im Gefängnis ebenso wie das Leben hinter Gittern zu schildern. Dies tut er in einem durchaus fehlerbehafteten und mündlichen Stil, da er eigentlich nur Neapolitanisch spricht und das Hochitalienisch seine Sache nicht ist. Übersetzerin Christine Ammann hat diesen besonderen Tonfall gut auch ins Deutsche hinübergerettet.

Jedenfalls heiß ich Zeno, was ein komischer Name ist.

Erstens, weil er mit Z anfängt, dem letzten Buchstaben im Alfabet.

Ich hätt mir nen andern gegeben, der einem Angst einjagt, wie Rambo oder was Amerikanisches.

Oder einen, der mit A anfängt, dem ersten Buchstaben, der sich im Alfabet für den allertollsten hält.

Aber ihr habt gesgt, Professoressa, Zena ist ein schöner Name.

So heißt ein berühmter Typ in einem Buch, habt ihr gesagat. Der ununterbrochen raucht, genau wie ich, und einfach nicht aufhörn kann, obwohl er eigentlich will.

Der arme Typ ist ja noch schlimmer dran als ich.

Ich versuchs nicht mal, weil mit ner Zigarette ist man wer, sonst wüsst ich gar nicht, wo ich die Hände hintun soll. Ich rauch, seit ich elf bin.

Francesca Maria Benvenuto – Dieses Meer, dieses unerbittliche Meer,. S. 11

Die Sprache

So entsteht durch dieses Geständnis das Bild eines verletzlichen Jungen zwischen großer Mackerpose, Gewaltneigung, Angst, Orientierungslosigkeit und der Sehnsucht nach einem anderen Leben.

Ein Bild der Hoffnungslosigkeit

Nicht einmal Bildung oder religiöse Zuwendung können aber an den Umständen und der Hoffnungslosigkeit der Jugendlichen in Neapel und hinter Gitter etwas ändern. Weder der Unterricht, der ihnen auf Nisida erteilt wird, noch der öffentlichkeitswirksame Besuch des Papstes bringen Besserung, im Gegenteil.

Dieses Meer, dieses unerbittliche Meer ist ein fast hoffnungsloser Roman, der insbesondere mit seinen letzten Seiten noch einmal eine ganz eigene Wucht entfaltet und die Hoffnungslosigkeit des kompletten Systems, in dem Zeno aufgewachsen ist, zeigt.

Dass es mit Neapel nach den im Roman beschriebenen Ereignissen wieder aufwärts ging, ist der Trost der Geschichte. Für Zeno kommt dieses Trost allerdings zu spät, wie Benvenuto mit dieser bitteren Geschichte eindrucksvoll zeigt.


  • Francesca Maria Benvenuto – Dieses Meer, dieses unerbittliche Meer
  • Aus dem Italienischen von Christine Ammann
  • ISBN 978-3-95614-601-5 (Kunstmann)
  • 176 Seiten. Preis: 22,00 €
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