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Elena Ferrante und ich – eine Kapitulation

Das lügenhafte Leben der Erwachsenen

Schon ein Jahr lang schaute mich das Leseexemplar von Elena Ferrantes neuestem Roman Das lügenhafte Leben der Erwachsenen vorwurfsvoll aus dem Regal heraus an. Irgendwie gab es immer etwas anderes zu lesen, neue Bücher , beruflich zu Lesendes, scheinbar Interessanteres – kurz, ich schob die Lektüre des Romans wieder und wieder vor mir her. Doch genug damit. Nun im Juli griff ich zu Ferrantes Buch. Italien beziehungsweise Sizilien als Schauplatz des Buchs schien mir als Sehnsuchtsort für diesen alles andere als sommerlichen Sommer die richtige Wahl. Doch leider musste ich dann schon nach gut der Hälfte des Romans kapitulieren. Das mit Elena Ferrante und mir wurde nichts. Aber warum?


Elena Ferrante - Das lügenhafte Leben der Erwachsenen (Cover)

Mit dem Erscheinen von Ferrantes Neapolitanischem Quartett war ich in Neugier versetzt. Jedes große Feuilleton schrieb über die vierbändige Saga um Lila und Lenu, angeheizt durch eine kluge Marketingkampagne setzt das #ferrantefieber in Deutschland ein. Sogar als Serie wurde das Quartett in der Folge adaptiert.

Auch ich las die Werke mit Interesse und fand mich wieder in einem Neapel, das wenig mit Pizza und Funiculì Funiculà-Folklore gemein hatte. Stattdessen dominierten Gewalt, unzufriedene und fluchende Figuren und wenig Aufstiegschancen die Welt der Freundinnen. Kinder, später Frauen, die mit ihrem Schicksal haderten, in großer Armut, enttäuscht von den Männern lebten, sich auch gerne einmal beschimpften und hinter dem Rücken schlecht redeten. Wenig Glück, dafür umso mehr Düsternis, Dumpfheit und Elend. Das war das Neapel, das ich in Elena Ferrantes Büchern vorfand.

Frauen im Dunkeln, wenig Hoffnung und Freude

In der Folge machte sich der Suhrkamp daran, die Backlist der Autorin zu erschließen. Zumeist in der Übersetzung von Karin Krieger erschienen nach und nach ältere und vergriffene Werke der Autorin, darunter auch der Roman Frau im Dunkeln. Auch hier stand wieder eine Frau Mittelpunkt, deren Leben wirklich im Dunkeln stattfand. Sie stiehlt am Strand die Puppe eines kleinen Mädchens und beobachtet, was diese Tat mit dem Kind und seiner Mutter macht.

Damals schrieb ich in meiner Besprechung von überspannten Frauenfiguren, wahren Furien, deren Handlungsmotivation unklar bleibt. Ein Einfühlen in den geschilderten Kosmos wollte mir so gar nicht gelingen, sodass ich konstatierte:

Von Strand, la dolce vita und Entspannung ist bei Elena Ferrante nicht viel übrig. Auf ihre Welten muss man sich einlassen – mir ist das hier leider überhaupt nicht gelungen. Die Faszination für die Frau im Dunkeln liegt für mich im Dunkeln.

Meine Rezension vom 11. Februar 2019

Zurück in Neapel

Seit jener Besprechung waren zwei Jahre ins Land gegangen, Zeit also für einen abermaligen Versuch mit Elena Ferrante und mir. Und schon nach wenigen Seiten fühlt man sich wieder heimisch in dieser Welt. Abermals ist die Erzählung in Neapel angesiedelt, diesmal erzählt die junge Giovanna, die sich am Beginn der Pubertät befindet. Ein Schlüsselsatz prägt sich bei ihr ein, der ihre Welt erschüttern soll.

Zwei Jahre, bevor mein Vater von zu Hause wegging, sagte er zu meiner Mutter, ich sei sehr hässlich. Der Satz wurde leise gesprochen, in der Wohnung, die sich meine Eltern, frisch verheiratet, im Rione Alto, oben in San Giacomo dei Capri, gekauft hatten. Alles – Neapels Orte, das blaue Licht des eisigen Februars, jene Worte – ist geblieben.

Elena Ferrante – Das lügenhafte Leben der Erwachsenen, S. 9

Ihr Vater, ein bewunderter Intellektueller, vergleicht in jenem Gespräch das Aussehen Giovannas mit dem seiner Schwester, die in der Familie totgeschwiegen wird. Das weckt das Interesse des Mädchens, die sich nun für die familiären Wurzeln zu interessieren beginnt. Sie lernt ihre Tante kennen, eine ausgesprochen vulgäre Erscheinung, die Giovanna fasziniert. Immer mehr pflegt sie den Kontakt mit ihrer Tante und muss erkennen, dass auch ihre eigenen Eltern Lügen leben und obschon besserer Umgangsformen und Manieren durchaus auch schlechte Seiten haben.

Davon erzählt Elena Ferrante ausführlich, indem sie durch Giovanna auf diese lügenreiche Welt der Erwachsenen blickt, die voller Widersprüche und Heuchelei steckt. Die vulgäre Tante wird damit zum Gegenpol, da sie all das in ihrem derben Dialekt thematisiert und Giovanna damit auch ein Stück weit die Augen öffnet.

Monothematisch und voller überspannter Figuren

Alleine, mir war das irgendwann zu viele. Diese Monothematik von fluchenden und bigotten Figuren, einem Neapel, in dem scheinbar nie die Sonne scheint, die völlige Abwesenheit von Hoffnung und Freude, all das war mir nun im sechsten Buch der Autorin zu viel. Was im vierbändigen Freundinnen-Quartett schon manchmal kaum erträglich war, hat mir hier endgültig die Freude an der Lektüre vermiest, sodass ich dieses Buch wider meinen eigentlichen Gewohnheiten abbrach.

Nun muss es natürlich nicht die oben angesprochene Neapel-Pizza-Romantik mit jodelnden Pizzaoilo, stundenlangem Bad im Meer und Schlendern durch die engen Gassen im Abendlicht sein. Aber ein klein wenig mehr mediterranen Charme, eine nuancen- und kontrastreichere Welt und wenigstens ein bisschen Zufriedenheit oder ausgeglichenere Figuren anstelle von Überspanntheit, Schimpfen und Betrügen, das hätte mir gefallen, besonders in diesem so trostlosen Sommer, in dem ich zum Buch griff.

So muss ich leider konstatieren, dass das mit Elena Ferrante und mir wohl nichts mehr wird, habe ich doch das Gefühl, stets das gleiche Buch in leicht variiertem Setting zu lesen. Elena Ferrante seien die vielen euphorischen Leserinnen und Leser gegönnt, ich zähle mich nun nach diesem Lektüreabbruch nicht mehr dazu.


  • Elena Ferrante – Das lügenhafte Leben der Erwachsenen
  • Aus dem Italienischen von Karin Krieger
  • ISBN: 978-3-518-42952-5 (Suhrkamp)
  • 414 Seiten. Preis: 24,00 €
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Elena Ferrante – Die Geschichte des verlorenen Kindes

Der Schlussstein

Nun ist auch das Neapolitanische Quartett von Elena Ferrante beendet. Abermals bravourös von Karin Krieger übersetzt liegt jetzt der vierte und abschließende Band der Freundschaftssaga von Lila und Lenu vor. Mit über 600 Seiten ist das Buch zugleich der dickste und handlungsintensivste Band der Reihe, ein würdiger Schlussstein.

Durfte man in den vorherigen drei Bänden (Meine geniale Freundin, Die Geschichte eines neuen Namens, Die Geschichte der getrennten Wege) den beiden neapolitanischen Mädchen beim Aufwachsen zusehen und mit ihnen Pubertät, Ehen, Schwangerschaften durchleben, so widmet sich Elena Ferrante nun den Mühen der Ebenen. Das treffendste Zitat für den Inhalt dieses Buchs findet sich auf Seite 561: „Kurz, alles war kompliziert“. Nach den turbulenten Geschehnissen in Band 3 zeigt Band 4 Elena nun im Gefühlschaos, hin- und hergerissen zwischen den Männern. Ebenso verfahren und zerrüttet ist auch ihr Verhältnis zu Lila, ihrer Freundin, die im Gegensatz zu Lenu den Weg aus dem Rione heraus nicht gegangen ist. Während Lila im dumpf brodelnden Neapel ihrer Kindheit verharrt, ist Lila mitsamt ihrer Kinder ständig unterwegs zwischen ihren Männern und Mailand, Turin, Neapel und Florenz. Konstanz und Ruhe findet sie dabei allerdings nicht – was auch ihr Schaffen als Schriftstellerin nicht gerade begünstigt, dabei warten Verlag und Öffentlichkeit beständig auf neue Werke der Autorin.

Band 4 des Quartetts = Bester Band

Von allen vier Bänden ist nun Die Geschichte des verlorenen Kindes der komplexeste und in meinen Augen auch der beste Roman. Alles, was in den Vorderbänden teilweise enervierend zäh und stockend war, gerät in diesem Band nun deutlich besser. Mit ihrer Reifung werden Elena und Lila noch einmal nuanciertere, komplexere und widersprüchlichere Figuren, erhält die Handlung viel Zeitkolorit und Tempo. So geschickt wie in keinem Band zuvor arbeitet Elena Ferrante in diesem Buch mit Cliffhangern, lässt die Ich-Erzählerin Lenu zwischen den Städten und Männern pendeln und bringt damit Drive und Esprit in die Handlung. Auch wenn sich zum Ende der Erzählung hin einige kleinere Längen in die Erzählung einschleichen – so bündig und fesselnd war für mich keines der drei vorhergehenden Bücher.

Einer der spannendsten Aspekte der Bücher ist für mich sowieso die Ausgestaltung des Begriffs Freundschaft. Schon bei den anderen Romanen, aber besonders hier dachte ich mir, dass der Begriff der Freundschaft für die Beziehung der beiden Frauen nur unzureichend greift. Diese tiefe, widersprüchliche und sprunghafte – und damit so glaubwürdige Ausgestaltung dieser Beziehung, das ist die große Qualität, die für mich durch das Neapolitanische Quartett zutage tritt. Elena und Lila – das ist mal Ablehnung, mal Hass, mal Inspirationsquelle, mal Notwendigkeit. Auch wenn sich beim Lesen der Handlung über alle 2000 Seiten so manches Mal etwas Langweile oder Frustration ob der Überfülle an Details einstellte – romanübergreifend betrachtet, ist das Bild der Freundschaft und vielfältigen Beziehungen dann doch auf alle Fälle gelungen.

Auch bietet das Quartett damit viel Reflektionspotential, was ich immer dann feststellte, wenn die Beziehung der beiden Frauen behandelt wird. Ist das wirklich die Geschichte einer Freundschaft – und was ist Freundschaft eigentlich genau? Greifen vielleicht nur meine eigene Erfahrungen und Definitionen zu kurz? Immer wieder verändern sich auch die Sympathien und Verständnis für die Figuren – was sich nicht auch zuletzt in der Frage zeigt, die bisweilen im Netz diskutiert wird: Team Lila oder Team Lenu – wo verortet man sich selbst? Auch wenn ich solche Lagerbildung und Sympathienaufrechnung nicht teile – dennoch ist es beachtenswert, wie Elena Ferrante es schafft, diese Figuren und ihre Verhaltensweisen darzustellen. Das Neapolitanische Quartett bietet hier auf alle Fälle nachdenkenswerte Impulse, genauso wie die vier Bücher eine genaue und detaillierte Chronik Neapels im 20. Jahrhundert darstellen.

Das Ende eines literarischen Großprojekts

Das starke Ende des Buchs rundet sowohl den Einzelband als auch das gesamte Quartett ab – somit ein würdiger Schlussstein eines respektablen literarischen Großprojekts, das nicht die überlebensgroße Bedeutung hat, die ihm einige übetrieben jubelnde Kultur-SchreiberInnen zubilligen wollen, dennoch aber ein sehr beachtenswertes und vielschichtiges Romanprojekt der letzten Jahre ist!

Hier noch einmal die Übersicht der vier Bücher – Besprechungen zu allen vier Teilen finden sich ebenfalls auf dem Blog:

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Elena Ferrante – Die Geschichte eines neuen Namens

Die Neapolitanische Saga um die Freundinnen Elena und Lila geht weiter. Der zweite Band behandelt die Jugendjahre der Freundinnen und ihren schweren Kampf um Anerkennung und Selbstbestimmung und ist zugleich wieder ein Panorama Italiens in den 60er Jahren.

Nach dem Cliffhanger am Ende von Meine geniale Freundin wollte man natürlich wissen, wie sich die junge Ehe von Lila und Stefano entwickeln würde und welchen Weg Elena, genannt Lenù, beschreiten würde. Der nächste Band des Quartetts gibt nun eine ausführliche Antwort. Der Konflikt, der sich im ersten Band mit den Solaras bereits andeutete, steigert sich nun. Während Stefano in Abhängigkeit zu den Brüdern steht, die die Camorra repräsentieren, rebelliert Lila weiterhin und bringt ihr störrisches Wesen immer wieder zum Ausdruck. Dies sorgt für häusliche Konflikte und bleibt auch im Rione, dem Stadtviertel Neapels in dem die beiden Freundinnen aufwuchsen, nicht unbemerkt. Klatsch, Neid und subtile Gewalt sind in diesem dumpfen Milieu an der Tagesordnung und engen die beiden jungen Frauen ein.

Während Lila in ihrer Beziehung rebelliert, versucht Lenù dem Druckkessel Rione durch Bildung zu entgehen. Im Gegensatz zu ihrer genialen Freundin verfolgt sie nämlich weiterhin ein Schulkarriere, die sie bis in ein Kolleg in Pisa führen wird. Doch trotz allem Drang nach Bildung und Fortkommen verläuft auch Lenùs Weg alles andere als gerade. Ein Sommer in Ischia wird zum Wendepunkt im Leben der beiden Frauen und stellt alle Dinge auf den Kopf …

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Elena Ferrante – Meine geniale Freundin

Wohl kaum ein Titel wurde schon vor Erscheinen so gehypt wie der vorliegende Titel Meine geniale Freundin der Italienerin Elena Ferrante (übertragen ins Deutsche von Karin Krieger). Der Suhrkamp-Verlag legte es seinen Mitarbeitern ans Herz, hunderte Rezensionsexemplare wurden unters Volk gebracht und zuletzt widmete sich Das literarische Quartett ebenfalls dem Titel. Was ist dran am #FerranteFever und dem Wind, der um das Buch gemacht wird?

Ferrante

Meine geniale Freundin ist der Auftaktband einer Tetralogie, in deren Mittelpunkt die Ich-Erzählerin Lenù und Lila stehen, beste Freundinnen seit Kindesbeinen an. Das Buch behandelt den Ursprung der Freundschaft zwischen den beiden italienischen Kindern, die in einem dampfigen und gewaltgeschwängerten Neapel der 50er Jahre ihren Anfang nimmt. Die beiden Mädchen wachsen miteinander auf und schweben permanent zwischen Freundschaft und Rivalität, die vor allem zunächst in der Schule zutage tritt. Lila erweist sich als blitzgescheit, hat sich selber Lesen und Rechnen beigebracht und avanciert zum unangefochtenen Klassenprimus. Dies ficht natürlich auch die junge Lenù an, die mit ihrer Freundin konkurriert und so auch zu schulischen Ehren gelangt. Da Bildung im ländlichen Süden in den 50er nicht den Stellenwert von klassischer Handwerksarbeit und Hausarbeit hat, müssen Lila und Lenù kämpfen, um weiter eine schulische Laufbahn verfolgen zu dürfen.

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