Elena Ferrante – Frau im Dunkeln

Kein Lächeln, nirgends

Mit ihrem Neapolitanischen Quartett gelang Elena Ferrante auch in Deutschland der große Durchbruch. Die Kritiker jubelten, die Bücher verkauften sich wie geschnitten Brot und sogar eine Serienadaption steht in den Startlöchern.

Die erste Minute dieses Trailers fängt mein Lesegefühl der vier Bände sehr gut ein. Alles düster, dumpf, gewaltgesättigt. Der Rione in Neapel und seine Einwohner, von einer Sonnenseite zeigten sich diese beiden Parteien in den Büchern nie. Von dolce vita war das Neapolitanische Quartett so weit weg wie der italienische Staatshaushalt von einer Konsolidierung.

Zum Nachteil gereichte das den Bänden nicht – und damit auch dem Suhrkamp-Verlag, der jene vier Bände veröffentlichte. Vom Erfolg beflügelt, widmet man sich in Berlin nun in hoher Taktung der Backlist der Autorin. Im Oktober erschien der Roman Lästige Liebe, der sich um eine Mutter-Tochter-Beziehung drehte. Ebenfalls im Oktober brachte man (wie alle bisherigen Titel von Karin Krieger übersetzt) in der Inselbücherei Der Strand bei Nacht auf den Markt. Eine Schauergeschichte über eine Puppe, die am Strand zurückgelassen wird.

Nun veröffentlicht Suhrkamp – erstmals in der Übersetzung durch Anja Nattefort – den Roman Frau im Dunkeln, im Original erschienen 2006. Um den Plot zu erzählen, reicht es eigentlich, die beiden vorher erwähnten Bücher Lästige Liebe und Der Strand bei Nacht einmal kräftig zusammenzuschütteln – und schon erhält man Frau im Dunkeln. Denn die Motive der Erzählung, sie dürften Lesern der bisherigen Bücher bekannt vorkommen.

Ein Strand, zwei Mütter, eine Puppe

Ein heißer Sommer an der süditalienischen Küste, Leda – knapp fünfzig, allein lebend, Mutter zweier erwachsener Töchter – verbringt unbeschwerte Tage am Strand. Sie vertreibt sich die Zeit damit, eine junge Mutter und deren kleines Mädchen zu beobachten, die innig vor sich hin spielen. Doch plötzlich verdüstert sich das Idyll und die sonst so beherrschte Leda lässt sich zu einer unbegreiflichen Tat hinreißen …

So raunt es der Klappentext. Die neugierige Leser*in mag sich da natürlich fragen – welche Tat? Entführt sie das Kind? Wagt sie es, den Badeplatz der Mutter mit einem eigenen Handtuch zu belegen? Nein, es ist noch eine viel unbegreiflichere Tat: Leda nimmt die Puppe des Kindes an sich (so viel Spoilern muss erlaubt sein).

In der Folge beobachtet sie den neapolitanischen Familienclan mit Mutter, Kind und restlicher Sippschaft. Dabei steigen auch bei Leda Erinnerungen an die Oberfläche, die sie an ihre Töchter und ihr Familienleben erinnern.

So gelingt es Elena Ferrante, ein ambivalentes Bild der Mutterschaft zu zeichnen. Über Leda und die von ihr betrachtete Familie entwirft Ferrante ein Bild von Mutterschaft, das nichts verklärt, sondern eher dem Themenbereich Regretting Motherhood zuzuschlagen ist. Dies alles konzediere ich, dennoch ist Frau im Dunkeln eine Lektüre, die mich nicht zu überzeugen vermochte.

Dies hat auch einen Grund – das Personal von Ferrantes Roman ist das, was ich „hochgradig unsympathisch“ nennen würde. Die Frauen in Ferrantes Buch sind durch die Bank weg Furien. So zischt Rosaria, eine Frau aus der neapolitanischen Sippschaft, nachdem der Verlust der Puppe offenbar wird:

Derjenige, der sie geklaut hat, soll einen Gehirntumor kriegen.

Ferrante, Elena: Frau im Dunkeln, S. 83

Hier zeigt sich schon eine gewisse Überspanntheit und Hysterie, die alle Figuren in diesem Buch befallen zu haben scheint. Wir rufen uns noch einmal in Erinnerung, dass es hier um den Verlust einer Puppe geht.

Überspannte Figuren, Furor furioso

Doch auch die Ich-Erzählerin Leda legt kein entspannteres Verhältnis an den Tag, wenn es um den Umgang mit einer Spielzeugpuppe geht. Vielleicht liegt es auch an mir als Mann, dass ich eine derartige Bindung nur unzureichend nachvollziehen kann. Aber in einer Szene mit ihren eigenen Kindern finde ich auch die Handlungsmotivation einmal mehr reichlich übertrieben. So hat eine von Ledas Töchtern ihre geliebte Puppe im Spiel verletzt,

(…)sie hatte sie von oben bis unten mit einem Kugelschreiber vollgekritzelt. Ein Schaden, der sich beheben ließ, aber mir schien sie hoffnungslos verloren. Alles in jenen Jahren schien mir hoffnungslos, ich selbst war hoffnungslos. Ich warf die Puppe über das Eisengeländer des Balkons.

Als ich sie auf den Asphalt zufliegen sag, empfand ich grausame Genugtuung. Ich sah sie fallen, und sie erschien mir wie ein unflätiges Wesen. Ich weiß nicht, wie lange ich an das Geländer gelehnt hinunterblickte und zusah, wie die Autos darüberfuhren. Dann bemerkte ich, dass auch Bianca zuschaute, auf Knien, die Stirn an die Streben des Geländers gedrückt. Ich nahm sie auf den Arm, sie ließ es ergeben geschehen. Ich küsste sie lange, drückte sie fest an mich, als wollte ich sie mir wieder einverleiben.“

Ferrante, Elena: Frau im Dunkeln, S. 62

Hier zeigen sich die Affekte, zwischen denen Leda beständig oszilliert. Sympathisch macht sie das für mich leider in keinster Weise – was auch meine Lektüre stark hemmte.

Ständig wird entweder „leicht hysterisch gekreischt“ (S. 170) oder den Partner angekeift und geschrieen (S. 100). So etwas wie Liebe oder zwischenmenschliche Wärme findet sich auch in diesem Buch wieder nur im Promillebereich. Kein Lächeln, nirgends. Eher ist es ein Furor furioso, der sich aller bemächtigt hat.

Regretting Motherhood in Romanform

Zur Illustration meiner Probleme mit dem Buch hier nur noch ein letztes Beispiel für den Erzählton, der mir das Buch verleidete.

Doch dann kam Marta. Sie war es, die meinen Körper attackierte, ihn unkontrollierbar aufbegehren ließ. Sie war von Anfang an nicht Marta, sondern ein lebendiger Eisenklumpen in meinem Bauch. Mein Leib war nichts als blutiger Schleim, mit einem breiigen Bodensatz, in dem sich ein aggressiver Polyp ausbreitete, der so fern war von jeder menschlichen Natur, dass er mich, obwohl er sich von mir nährte und aus mir wuchs, auf eine faulende Substanz ohne Leben reduzierte. In meiner zweiten Schwangerschaft ähnelte ich der schwarzen Moder speienden Nani (die andere Mutter am Strand).

Ferrante, Elena: Frau im Dunkeln, S. 162

Lebendiger Eisenklumpen, Polyp, schwarzer Moder – eine Nummer kleiner geht es bei Leda selten. Dass sie da ihre Familie einmal verlassen hat und nun fern von ihren Töchtern lebt, das überrascht nun wirklich nicht.

Mit einem Blick als Frau oder Mutter mag man diesen Roman vielleicht anders lesen – für mich bleibt leider nur der Eindruck überspannter Figuren, die unlogische Handlungen begehen, zurück. Natürlich dürfen Charaktere in einem Roman auch mal unsympathisch sein – doch wenn man keinerlei Identifkationspotential in solch einem Roman findet, wird es schwierig.

Von Strand, la dolce vita und Entspannung ist bei Elena Ferrante nicht viel übrig. Auf ihre Welten muss man sich einlassen – mir ist das hier leider überhaupt nicht gelungen. Die Faszination für die Frau im Dunkeln liegt für mich im Dunkeln.

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