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Peter Papathanasiou – Steinigung

Gefährliche Kängurus, gesteinigte Lehrerinnen, Abschiebegefängnisse und mittendrin der griechischstämmige Ermittler Giorgios „George“ Manolis, der im Outback nach den Gründen für den grausamen Tod der Lehrerin sucht. In seinem Reihenstart macht Peter Papathanasiou gleich viel richtig und legt mit Steinigung einen Einstand nach Maß vor.


Australien ist reich an kriminalliterarischen Stimmen. Candice Fox, Chris Hammer, Loraine Peck, Jock Serong, Garry Disher, Jane Harper, Alan Carter, und und und. Nun präsentiert der Polar-Verlag eine weitere Stimme aus Down Under. Peter Papathanasiou wurde 1974 in Nordgriechenland geboren und als Baby von einer Familie in Australien adoptiert. Schon seine Großeltern mussten die Erfahrung von Flucht und Entwurzelung machen, als sie 1923 von der Türkei nach Griechenland übersiedeln mussten. Papathanasious Eltern selbst wanderten dann von Griechenland nach Australien aus und adoptierten ihn dort kurze Zeit später. Wenig überraschend schlagen sich viele dieser biografischen Facetten in Plot und Charakterzeichnung von Steinigung nieder.

Eine Steinigung im australischen Outback

So ist sein Detective Sergeant Giorgios „George“ Manolis ebenfalls griechischstämmig und bekommt es in seinem Fall gleich mit vielen Entwurzelten und Geflüchteten zu tun. Doch zunächst beginnt alles mit einem brutalen Mord im kleinen Städtchen Cobb im Outback von Australien.

Peter Papathanasiou - Steinigung (Cover)

Gefühlt mehr Kängurus als Menschen besiedeln diesen Ort, der langsam vor sich hin stirbt. Es gibt zwei Pubs im Ort, säuberlich getrennt nach Hautfarbe, aber verbunden im hemmungslosen Alkoholkonsum der Kundschaft. Auch Teile der Polizei sind dem Alkohol nicht abgeneigt, weshalb die Hinzuziehung von Manolis in einem besonders brutalen Mordfall Sinn ergibt.

So wurde die beliebte Lehrerin Molly Abbott tot aufgefunden. An einen Baum gebunden wurde sie gesteinigt. Eine ebenso brutale wie archaische Mordmethode, die die lokale Polizei vor Rätsel stellt. Schlecht ausgestattet und mit wenig fähigem Personal besetzt, ist die Hinzuziehung von DS Manolis ein mehr als logischer Schritt. Er soll vor Ort die Ermittlungen vor Ort betreuen und koordinieren. Dabei trifft er auf mal betrunken, mal abwesende Polizeimitarbeiter, alkoholisierte Zeuginnen und feindselige Stimmung.

Hoffnungslosigkeit vor und hinter den Gittern des Auffanglagers

Einziger Lichtblick ist der Constable Andrew Smith, den Manolis unter seine Fittiche nimmt. Als Aborigine und Homosexueller ist er in Cobb gleich zweifach stigmatisiert, kennt aber Land und Leute und hilft Manolis so bei seinen Ermittlungen. Dieser stößt auf Spuren, die ihn zum von der Bevölkerung despektierlich „Braunenhaus“ geheißenen Auffanglager für Geflüchtete in der Hitze des australischen Outbacks führen.

Hier gab Molly Abbott Unterricht und hier sitzen verzweifelte Menschen ein, die vielleicht etwas mit der archaischen Steinigung zu tun haben könnten. Manolis beginnt mit den Ermittlungen, die für ihn auch eine persönliche Note haben, schließlich stammt er selbst auch aus Cobb. Er erfährt die Hoffnungslosigkeit der Menschen vor und hinter den Gittern des Auffanglagers und ermittelt gegen viele Widerstände unbeirrt, um den Mörder Molly Abbotts zu überführen. Doch je tiefer er zum Geheimnis hinter dem Tod der Lehrerin vordringt, umso größer werden für ihn auch die Gefahren, die hier nicht nur von boxenden Kängurus ausgehen.

Ein gelungener Krimi mit dem Auge für soziale Probleme

Steinigung ist ein Roman, der sehr viel richtig macht. Gelungen schafft es Peter Papathanasiou , die von Alkoholismus und Hoffnungslosigkeit geprägte Stimmung dort im australischen Outback einzufangen. Der recht offen zutage tretende Rassismus gegenüber den Geflüchteten oder den Aborigines thematisiert er en passant, ohne dass das Buch zu moralinsauer würde.

Ebenso gelungen ist auch seine Perspektive auf das Einwanderungsdilemma und menschenunwürdigen Umgang mit Geflüchteten dort im Outback. Exemplarisch erzählt er über die Verdächtigen dort im Internierungslager von Gewalt, Hoffnungslosigkeit und den menschlichen Dramen, die sich dort hinter den Gittern abspielen. Damit beweist Peter Papathanasiou sein Auge für soziale Probleme, über die er aber auch den Krimi nicht vergisst.

Er entwickelt seinen Plot mit dem richtigen Tempo und findet neben den Ermittlungen auch noch Platz, um die vielfältige Tierwelt Australiens mit in seinen Krimi einzubinden. Wer vor der Lektüre von Steinigung Kängurus für niedliche und possierliche Tierchen hielt, der sieht sich nach dem Ende des Buchs eines Besseren belehrt.

Fazit

In Steinigung schafft Peter Papathanasiou die richtige Balance aus Plot und Atmosphäre, Spannung und aufrüttelndem Blick auf unseren Umgang mit Geflüchteten. Mit George Manolis schickt er einen melancholischen Ermittler in den Busch Australiens, der sich auch von durchgeschnittener Bremsleitungen und Verbindungen aus der Vergangenheit in seinen Ermittlungen nicht beirren lässt. Ein gelungener Krimi, mit dem sich Peter Papathanasiou auf der kriminalliterarischen Landkarte Down Unders einschreibt und dem gerne noch weitere Bücher folgen dürfen!


  • Peter Papathanasiou – Steinigung
  • Aus dem Englischen von Sven Koch
  • ISBN 978-3-948392-70-3 (Polar-Verlag)
  • 368 Seiten. Preis: 17,00 €
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Naomi Hirahara – Clark & Division

Mitten hinein ins Milieu der japanischstämmigen Amerikaner*innen in Chicago zur Zeit des Zweiten Weltkriegs führt der Roman Clark & Division der Krimiautorin Naomi Hirahara, die man hier zum ersten Mal auf Deutsch entdecken kann. Darin erzählt sie von gesellschaftlicher Spannung, Ausgrenzung und bedrohten Frauen in der amerikanisch-japanischen Community.


George Takei - They called us enemy (Cover)

George Takei kennen Star Trek-Fans als Darsteller des Hikaru Sulu. Weniger bekannt ist die Herkunft und Kindheit des Schauspielers, die er im 2019 erschienenen Graphic Novel They called us enemies aufarbeitete. Darin erzählt er, wie er als Vierjähriger mitsamt seiner Familie auf Geheiß des damaligen amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt im Jahr 1942 in einer Art Internierungslager auf amerikanischen Boden festgesetzt wurde.

Nachdem Japan den hawaiianischen Militärstützpunkt Pearl Harbor bombardiert hatte, wurden aus japanischstämmigen Amerikaner*innen plötzlich Feinde, die man in solchen Camps unter Kontrolle haben wollte, wie George Takei in seinen Erinnerungen schildert.

Aus Los Angeles ins Internierungslager

Auch die Ich-Erzählerin Aki muss in Clark & Division die gleiche Erfahrung machen. So berichtet sie von dem, was ihr als in Los Angeles geborene Tochter japanischer Einwanderer nach dem Kriegseintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg widerfährt:

Einen Tag später erklärte Präsident Franklin D. Roosevelt Japan offiziell den Krieg. Unsere Welt wurde erschüttert, und unsere Freunde begannen zu verschwinden. Roys Vater wurde abgeholt und zusammen mit buddhistischen Issei-Priestern, Japanischlehrern und Judotrainern in ein Gefängnis in Tuna Canyon gesteckt. Wenige Tage später ließ die Regierung ihn und die anderen mit dem Zug an einen unbekannten Ort bringen. Da Pop nicht im Vorstand irgendeiner Sprachschule oder anderer japanischer Institution saß, wurde er nicht abgeholt, was er fast als Beleidigung auffasste. Als wäre er nicht wichtig genug, um wie die anderen als Bedrohung für die nationale Sicherheit zu gelten.

Naomi Hirahara – Clark & Division, S. 21

Vom Stadtteil Tropico in Los Angeles geht es für die Familie von Aki ein Lager namens Manzanar, das dem aus den Erinnerungen George Takeis ähnelt. Nach langer Zeit dort darf sich die Familie Ito dann allerdings in Chicago im japanischen Viertel ansiedeln, wohin ihnen die ältere Tochter Rose schon vorgereist ist. Doch als die drei Itos dann endlich in Chicago angekommen sind, erwartet sie vor Ort schon die nächste Hiobsbotschaft: Rose ist tot. Sie soll sich am Bahnhof an der Kreuzung der Clark- und Divisionstreet vor einen Zug geworfen haben.

Diese Nachricht erschüttert die Familie, die gerade erst dem Lager entkommen einen Neustart ihres Lebens versuchen wollten. Vor allem Aki kann die Nachricht vom Suizid ihrer bewunderten Schwester nicht glauben, ebenso wenig wie die Info, dass Rose erst kürzliche eine Abtreibung gehabt haben soll. Auf eigene Faust beginnt sie nachzuforschen und hört sich zwischen nisei (japanischstämmigen) und hakujin (amerikanischen) Bewohnern rund um die Ecke der Clark- und Division-Street um, wo sie – wir befinden uns immer noch in einem Krimi- auf einige unangenehme Einsichten und Wahrheiten stößt.

Das Leben der nisei in Chicago

Division & Clark ist ein Krimi, der vor allem durch seine Milieuschilderungen und Einblicke in ein hierzulande wenig bekanntes Kapitel amerikanisch-japanischer Geschichte besticht und das außerhalb der Romane Schnee, der auf Zedern fällt von David Guterson oder The buddha in the attic von Julie Otsuka (oder eben George Takeis Erinnerungen) kaum thematisiert wurde

Naomi Hirahara - Clark & Division (Cover)

Der Kriminalfall, der von den Milieuschilderungen umhüllt wird, ist dabei zwar solide, aber eben auch nicht mehr.

Aki ermittelt, indem sie Personen aus dem Umfeld ihrer Schwester befragt, Spuren im Tagebuch nachgeht und die Rolle übernimmt, die eigentlich ihren Eltern gebührte. Sie organisiert die Beerdigung, nimmt Kontakt mit der lokalen Polizeibehörde auf und hört sich auf den Straßen Chicagos um. Damit erfindet Naomi Hirahara das Rad zwar nicht neu, liefert aber solide Krimikost ab.

Besonders wird dieses Buch aber eben durch den genauen Blick auf das Leben der Nisei in Chicago. Ihre Community und die Erfahrungen, die sie in der amerikanischen Gesellschaft machen mussten, vermittelt die Autorin eindrucksvoll und versetzt uns direkt in die Enge der Internierungslager und der brummenden Straßen Chicagos, die ein Spiegelbild des Inneren der Ich-Erzählerin Aki sind. Die eigene bewunderte Schwester tot, die Eltern hilfsbedürftig in der neuen Stadt, die Liebe und das Datin in der japanischen Community, das alles fordert die junge Frau wirklich heraus.

Auch arbeitet Hirahara das schizophrene Verhältnis Amerikas gegenüber den jungen japanischen Männern heraus, die zunächst inhaftiert und feindselig beäugt wurden, ehe sie dann als Soldaten im Zweiten Weltkrieg gebraucht wurden, um in Japan, auf pazifischen Inseln oder beim D-Day in Europa zu kämpfen.

Davon erzählt Hirahara und liefert Einblicke in die japanische Gesellschaft, die mit der amerikanischen nicht immer deckungsgleich war oder ist – und zeigt die Stellen, an denen das besonders schmerzhaft zutage trat. Das macht aus Clark & Division ein lesenswertes Buch, das im Gewand eines Kriminalromans ein verdrängtes Kapitel des 20. Jahrhunderts noch einmal in Erinnerung ruft.


  • Naomi Hirahara – Clark & Division
  • Aus dem Englischen von Karen Witthuhn
  • ISBN 978-3-7472-0422-1 (Ars Vivendi)
  • 272 Seiten. Preis: 24,00 €
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