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Carlos Franz – Das Quartett der Liebenden

Was sind die anstrengendsten Malerreisen in den Dschungel schon gegen die Liebewirren, in denen sich der Augsburger Landschaftsmaler Johann Moritz Rugendas verfängt? Nichts, wie der chilenische Autor Carlos Franz in seinem Roman Das Quartett der Liebenden zeigt. Darin lässt er Charles Darwin und Rugendas um die Liebe einer Frau im Dschungel Chiles wetteifern. Gelungene Prosa mit hohem Potenz-Anteil.


Rugendas – Landschaftsmaler. So verkündet es die Karte, mit der sich Johann Moritz Rugendas ausweist – und die er nach seiner ersten Begegnung Carmen Gutiérrez überreicht, die er im Hafen von Valparaiso auf den ersten Seiten von Carlos Franz‘ Roman kennenlernt.

Schon bei seiner ersten Begegnung hat die selbstbewusste Frau im Hafen von Chile mächtig Eindruck auf den aus Augsburg stammenden Maler gemacht.

So nimmt es die bildschöne Frau mit dem Kapitän von Rugendas Schiff auf, das den Maler in den Hafen der chilenischen Stadt gebracht hat. Energisch setzt sie sich gegen die grobschlächtigen Männer durch, um eine Schiffsladung zu sichern, die sie sehnsüchtig erwartet. Ihr Intervenieren nutzt auch Rugendas, der sich für ihren Einsatz mit einem von schneller Hand hingeworfenen Porträt der schönen Frau bedanken möchte. Doch dieses Porträt zerreißt sie brüsk und weist Rugendas Avancen kühn zurück. Damit weckt sie aber im Maler aber erst recht den Wunsch, diese Frau näher kennenzulernen.

Eine Begegnung in Valparaíso

Carlos Franz - Das Quartett der Liebenden (Cover)

Tatsächlich kommt es nach einigen Anfangsschwierigkeiten der beiden gegensätzlichen Charaktere zu einer Annäherung, die in einer Affäre zwischen dem Maler und der temperamentvollen Chilenin gipfelt, dem sie Porträt sitzt. Doch nicht nur Carmens Gatte bedroht die Affäre – auch ein anderer Naturforscher namens Charles Darwin weckt das Interesse von Carmen Gutiérrez – was auf Gegenseitigkeit beruht.

So entspinnt sich die Dynamik der Handlung, die sich aus den Anziehungen und Abstoßungen zwischen den drei Männern und Carmen im Zentrum speist, die Carlos Franz mit Sinn für die erotische Aufladung der Konstellation schildert.

Kapitelüberschriften wie „Der beste Liebhaber der Welt“, „Die Musen entkleiden“, „Ich bin doch kein Deckhengst“ oder „Der längste Penis der Welt“ verschweigen die Potenz von Franz‘ Prosa nicht. Liebe in Form sexueller Eskapaden und gehäufter Kopulation nimmt in Das Quartett der Liebenden einen durchaus prominenten Raum ein. Aber die Tonsetzung offenbart sich nicht erst hier. Sie wird schon mit dem ersten Absatz von Franz‘ Roman klar:

Der leuchtende Junimorgen, an dem du Carmen kennenlerntest, strahlte nach einer Woche voller Gewitter über dem Pazifik. Dein Schiff wäre vor der chilenischen Küste beinahe untergegangen, mehrere Male hattest du dich schon mit dem Tod abgefunden. Doch nun lief der Schoner mit zerfetzten Segeln, ziemlich zerlumpt, in die helle Bucht von Valparaíso ein. Das tat er mit dem zärtlichen Verlangen eines Mannes, der in die geliebte Frau eindringt.

Carlos Franz – Das Quartett der Liebenden, S. 9

Viel amouröses und künstlerisches Potential

Den Roman allerdings nur auf sein amouröses Potenzial zu reduzieren, täte dem Quartett der Liebenden allerdings unrecht. Denn der Roman atmet die Farben und Kulissen in Chile, versetzt mit einer Rahmenhandlung, die Darwin und Rugendas als gealterte Liebhaber Carmens zwanzig Jahre später nach den eigentlich Ereignissen 1854 in Großbritannien noch einmal zusammenführt. Zudem ragt der Roman mit seiner ungewöhnlichen Erzählperspektive in Form der Zweiten Person Singular heraus. Immer wieder wird der von Carmen liebevoll „Moro“ geheißene Rugendas in Du-Form adressiert.

Und auch die Kunst spielt in Carlos Franz‘ Roman eine große Rolle. Da weisen Überschriften wie „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ auch auf den im wahrsten Wortsinn malerischen Hintergrund des Romans hin. Immer wieder gelingen Franz beeindruckend geschilderte Momente, die sich auch an die Kunst wichtiger Maler der Zeit anlehnen.

Immer wieder findet sich Rugendas in Szenen wieder, die wie in diesem Fall von Caspar David Friedrich stammen könnten. Aber auch Albrecht Dürer oder Hans Holbein sind wichtige Einflussfaktoren sowohl für das Erzählen Franz‘ als auch für den Künstler Rugendas, wie Carlos Franz in diesem „Werk der reinen Fantasie“ zeigt, so der Autor in seinem Nachwort.

Malen mit Worten

Das Malen mit Worten, Carlos Franz beherrscht die Kunst hervorragend. Dort ein Showdown auf einer Hängebrücke im Nebel, während der Fluss unter Rugendas tobt, an anderer Stelle der massive Felssturz und Vulkanausbruch auf dem Berg Aconcagua, der in einem Überlebenskampf in einer Höhle mündet, die in Darwin und Rugendas nicht nur ungeahnte Kräfte freisetzt, sondern auch zu einem archaischen Schöpferakt führt, wenn die beiden Naturerkunder schließlich sogar die Höhlenwände bemalen und damit wieder zum künstlerischen Urtext des Buchs zurückkehren.

Hier kommt dem Buch zupass, dass das Werk mit Carlos Franz nicht nur einen Autor hat, der mit Worten fast ebenso gut malen kann wie Rugendas mit seinen Pinseln. Auch der Übersetzer Lutz Kliche erweist sich als gewandter Sprachmeister, der das registerreiche Spanisch Franz‘ voller historisierender Begriffe in ein fließendes und sprachmächtiges Deutsch überträgt.

Ein riesiges Stück des Gletschers, der die linke Schulter des Aconcagua bedeckte, begann die Südwand des Bergs hinunterzurutschen und wurde jetzt unter der Nebeldecke sichtbar. Ein langsames, phantastisches Schiff ganz aus Eis, stahlblau, majestätisch, unwiderstehlich. Sein Bug, durch hunderte Vergletscherungen gehärtet, bahnte den Weg für einen riesigen Kiel, der den Hang aufschlitzte- Sprachlos schautest du hinauf, Moro, und fühltest dabei, dass das Erhabene – dem du so sehr nachgejagt warst – jetzt dir nachjagte. Das losgelöste Gletscherstück von mindestens einem halben Kilometer Länge zerschnitt mit seinem Sporn die Metalladern, die den Hang kreuzten, zerteilte die Sehnen aus Stein, die ihn zusammenhielten. Der Aconcagua brüllte und kreischte vor Schmerz, während das Eis seine Flanke aufschlitzte. Auf eurem Felsvorsprung mussten Darwin und du sich die Ohren zuhalten.

Carlos Franz – Das Quartett der Liebenden, S. 280

Fazit

Erotik, Anziehung, Natur und Kunst finden in Das Quartett der Liebenden zu einem stimmigen Leseerlebnis zusammen, das von Ilja Trojanow im Rahmen der Edition Weltlese entdeckte und das im Programm der Büchergilde Gutenberg zugänglich gemacht wurde. Carlos Franz‘ Buch erzählt vom heute fast unbekannten Künstler Rugendas und zeigt, wie spannend auch Literatur aus Landstrichen wie in diesem Falle Chile sein kann, die hierzulande eher ein unbeachtetes Dasein fristet.

Bildquelle Titelbild: Flickr/Canal C


  • Carlos Franz – Das Quartett der Liebenden
  • Aus dem Spanischen von Lutz Kliche
  • Art. Nummer 171376 (Edition Weltlese, Büchergilde Gutenberg)
  • 479 Seiten. Preis: 26,00 €
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