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Beatriz Serrano – Geht so

Dieser Roman dürfte erhebliches Identifikationspotenzial für viele Arbeitnehmer*innen bieten. In Geht so schildert Beatriz Serrano die Sinnlosigkeit eines Bürojobs, der ihre Heldin Marisa zunehmend ermattet. Zwischen Teambuildingseminar und sinnlosen Jour fixes laviert sich die junge Frau durchs Leben und gerät immer tiefer in die Sinnkrise.


Der Soziologe David Graeber hat sie bekannt gemacht, die sogenannten Bullshit-Jobs. Es sind Jobs, bei denen die Sinnfrage nicht wirklich befriedigend geklärt werden kann und die auf den ersten und auch den zweiten Blick nicht viel für das Vorankommen der Firma, geschweige denn das eigene, leisten.

In einer Gesellschaft, die sich durch Leistung und das eigene Vorankommen definiert, sind diese Bullshit-Jobs nicht unbedingt wohlgelitten, obschon sie auch eine Nische für Menschen sein können, die sich an ebenjenem Leistungsdruck und der dauernden Performanz des eigenen Tuns nicht beteiligen wollen.

Eine Tätigkeit im mittleren Management

Marisa ist einer dieser Menschen, die im Laufe von Beatriz Serranos Roman immer stärker das eigene Sein im Job hinterfragt. Stumpf schleppt sie sich jeden Tag zur Arbeit, die sie in einem Marketingunternehmen im mittleren Management fristet.

Von meiner Wohnung zum Büro brauche ich zwanzig Minuten zu Fuß, und manchmal werden diese zwanzig Minuten die besten des Tages. Ich gehe immer zu Fuß. Egal , ob es regnet, schneit oder der Asphalt unter meinen Sandalen schier verglüht. Auf dem Weg denke ich an verschiedene hypothetische Glücks- und Unglücksfälle. Es ist eine Frage von Wahrscheinlichkeiten.

Mir gefällt der Gedanke, dass ich im Lotto gewinnen könnte, aber ich weiß, dass ich sehr viel wahrscheinlicher von einem Bus erfasst werde. Vor kurzem habe ich erfahren, dass der Arbeitgeber nach einem Unfall auf dem Weg zur Arbeit, einem sogenannten Wegeunfall, für die Dauer der Krankschreibung das Gehalt ohne Abzüge weiterzahlen muss. Seitdem überquere ich die Ampeln ein bisschen weniger aufmerksam, manchmal sogar regelrecht tollkühn.

Beatriz Serrano – Geht so, S. 51

Es ist ein Job und ein Arbeitsumfeld, in dem die verschwundenen Kaffeekapseln in der Büroküche schon zum größten Aufreger taugen. Geschickt hat sich Marisa in diesem Umfeld eingerichtet und verlebt ihr unspektakuläres (Arbeits-)Leben, wobei sie sich ein effizientes System zur maximalen Abstinenz in Sachen Arbeitstätigkeit geschaffen hat.

Um sich stundenlang mit Youtube-Videos anstelle ihrer eigentlichen Arbeit zu beschäftigen, betreibt sie Aufgaben-Outsourcing, indem sie Student*innen ihre eigene Jobs als Studienaufgaben stellt. Steht doch einmal Arbeit an, so versucht sie mit hohen Erfolgsquoten eine mehr als auslastende Beschäftigung vorzuschützen. Unbedingt zu verteidigen ist das Privileg auf ein Einzelbüro, denn schließlich schützt das vor sozialer Interaktion und ist Rückzugsraum für das exzessive Schauen der obskuren Youtube-Videos.

Von Bullshit-Jobs und Teambuildingmaßnahmen

Beatriz Serrano - Geht so (Cover)

Und auch im Privaten ist Bequemlichkeit und Überschaubarkeit Trumpf. Eine lose Freundschaft Plus mit ihrem Nachbarn, regelmäßige Telefonate mit ihrer Mutter, damit hat es sich für sie. Doch dann steht ein Teambuilding-Seminar für Marisas ganze Abteilung an, bei dem alle erprobten Strategien zum Entzug jeglicher Mitarbeit plötzlich nicht mehr zu greifen drohen…

Geht so ist ein Roman, der die Sinnlosigkeit von Arbeit anschaulich beschreibt. Ähnlich wie die Romane von Fien Veldman oder Hanna Bervoets zeigt auch Beatriz Serrano die Sinnlosigkeit, die mit der Entwicklung neuer Arbeitsfelder in Firmen einhergeht, die mit der Anonymität des Arbeitsumfeldes und der Aufgaben in größeren Arbeitsstrukturen den Gegenentwurf zur handwerklicher Tätigkeit von früher darstellen.

Waren es in den Romanen der beiden Niederländerinnen die anonyme Arbeit in einem Start-Up beziehungsweise in als Content-Managerin in einer auf digitales Arbeiten spezialisierten Firma, so ist die Arbeitswelt von Marisa in der Werbeagentur doch noch etwas greifbarer. Ähnlich sinnentleert ist die Arbeit aber auch hier, womit Beatriz Serranos Heldin auch in die Nachfolge von Herman Melvilles Urvater aller Arbeitsverweigerer Bartleby tritt.

Fazit

Marisa möchte lieber nicht, wir als Leser aber schon. Denn ihr geschickter Kampf gegen Arbeitsbelastung und die kleinen Mikrosabotagen des Büroalltags, sie lesen sich so unterhaltsam wie die Bildwelten Hieronymus Boschs, die sich Marisa (passenderweise mit Ausnahme der Hölle) im Prado regelmäßig zu Gemüte führt. Besonders das Finale mit einem Teambuilding-Seminar, wie es klischeehafter nicht sein könnte und dann auf grandiose Weise entgleist, macht dieser Roman doch sehr viel Spaß. Geht so unterhält formidabel, erkundet ausgiebig die Seelenlandschaft seiner Heldin und bietet jede Menge Identifikationspotential für alle Arbeitnehmer, die sich auch ab und an die Sinnfrage bezüglich ihres eigenen beruflichen Tuns stellen.


  • Beatriz Serrano – Geht so
  • Aus dem Spanischen von Christiane Quandt
  • ISBN 978-3-8479-0212-6 (Eichborn)
  • 240 Seiten. Preis: 22,00 €
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Ein Abend wie im Seniorenstift

Man stelle sich das einmal vor. Da fällt die Leipziger Buchmesse aus, Buchhandlungen müssen für Wochen zusperren, Verlage kämpfen ums Überleben. Eine Situation, wie sie Literatur-Deutschland wohl noch nicht erlebt hat. Am Freitag Abend steht dann die erste Sendung des Literarischen Quartetts nach diesen Ereignissen an. Und worüber wird diskutiert?

Über Hundert Jahre Einsamkeit von Gabriel Garcia Marquez und den Simplicissimus von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen. Bücher, die 1668 beziehungsweise 1967 erschienen. Bücher, die längst schon kanonisiert, in Lesebüchern abgedruckt und in jedem Volkshochschulkurs durchdiskutiert wurden. Bücher, deren Qualität außer Frage steht, deren Notwendigkeit zur Diskussion in einem Frühjahr, in dem so gut wie jede Neuerscheinung auf dem Buchmarkt deutlich mehr Aufmerksamkeit bräuchte, alles andere als schlüssig erscheint.

Natürlich waren die Titel einst für den Magischen Realismus bzw. die Epoche des Barock stilprägend. Aber muss man so etwas zum hundertsten Male durchkauen, wenn andere Bücher wie etwa Ann Petrys The Street oder Benjamin Quaderers Für immer die Alpen völlig in puncto Aufmerksamkeit untergehen? Da überzeugt auch das erklärte Konzept, man wolle Bücher für Krisenzeiten präsentieren, wenig. Aber was will man erwarten von einer Thea Dorn, die schon in der letzten Ausgabe wenig kreativ zu Albert CamusDie Pest riet?

Verschnarchte Titelauswahl, verschnarchte Diskussion

Ebenso verschnarcht wie die Auswahl der Bücher entpuppte sich dann leider auch einmal mehr die Diskussion im Foyer des Berliner Ensembles. Während Thea Dorn mit dem Charisma einer besserwisserischen Deutschlehrerin den Gästen das Wort erteilte und stets um die Deutungshoheit rang, stammelte und stotterte man sich so durchs Programm. Die Synopsen der Bücher gerieten einmal mehr erratisch. Dynamiken in der Diskussion ergaben sich überhaupt nicht, auch wirkten die Argumente schwach bis hanebüchen. Brandts Verteidigung, als Schauspieler überlese er eh Phrasen und schlechte Dialoge, weshalb sein Buchvorschlag dann doch wieder gut sei, wenn man da drüber hinwegläse, überzeugte nicht im Ansatz. Auch die Vergleiche mit chemischen Elementen durch Eva Menasse steigerte die Anschaulichkeit der eigenen Argumente kaum.

Literarisches Quartett: Teilnehmer Dorn, Ruge, Menasse und Brand
Verloren im weiten Rund: Thea Dorn, Eugen Ruge, Eva Menasse, Matthias Brandt
(Bildrechte: ZDF/ Svea Pietschmann)

Mitsamt dem fehlenden Publikum besaß dieses literarische Geisterspiel eher den Charme eines Literaturkreises im Seniorenstift. Wobei man dem wohl unrecht tut. Selbst im Seniorenstift erlebte ich persönlich schon deutlich engagierte Runden als das, was da Freitag Nacht über den Bildschirm flimmerte.

Wo bleibt die Werbung fürs Lesen?

Ich verstehe es nicht. Jetzt wäre die Zeit, um für das Lesen und die Literatur zu werben. Für kreative Bücher, für junge Stimmen, die Aufmerksamkeit verdienten. Für Bücher aus kleinen Verlagen, die gerade ums Überleben kämpfen. Stattdessen entscheidet man sich im (immer noch) prestigeträchtigsten Literaturformat im deutschen Fernsehen für eine Auswahl die wirkt, als hätte man in der verstaubten Bibliothek eines Studienrats gestöbert.

Dabei könnte man doch eingedenk der vorherlaufenden reichweitenstarken Heute-Show (in letzter Zeit stets über 5 Millionen Zuschauer*innen) hier auch ideal jüngere Lesergruppen erreichen und ihnen Lust auf Literatur machen. Mit dem Simplicissimus lockt man in dieser Darreichungsform aber tendentiell niemanden hinter dem Ofen hervor. Und das ärgert mich. Es wäre doch nicht so schwer.

Sprechen wir über Literatur. Tauschen wir uns aus, egal ob im Netz, in Buchhandlungen oder in Lesekreisen. Aber um Himmels Willen bitte doch nicht so!

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