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Angela Steidele – Ins Dunkel

Die Dietrich, die Garbo, die Mann. In ihrem neuen Roman Ins Dunkel entwirft die Historikerin und Schriftstellerin Angela Steidele einen Blick auf eine Leinwand, die uns die Dreißiger Jahre zeigt – und die Konkurrenz zweier Frauen, die am Umbruch von Stummfilm zu Tonfilm umd ihre Identität und ihr Glück ringen. Nur mit dem Schnitt in diesem Kino scheint etwas nicht zu stimmen.


Immer wieder erweist sich die in Köln lebende Historikerin Angela Steidele als lehrreiche Erzählerin, die in ihren Romanen die vorwiegend weiblichen Aspekte der Geschichte in ihren Geschichten betont. Historisch verbürgte Figuren wie etwa Anne Lister oder die unter ihrem Pseudonym Atanasius Rosenstengel tollkühne Abenteuer erlebende Catharina Linck entriss sie mit ihren Werken dem Vergessen, ehe sie sich zuletzt mit Aufklärung der weibliche Seite des Leipzigs der Aufklärungszeit widmete. Von Catharina Dorothea Bach bis hin zu Luise Gottsched reichte der Bogen, den sie in diesem großartigen historischen Roman spannte und der zurecht für den Preis der Leipziger Buchmesse im vergangenen Jahr nominiert war.

Für ihr neues Werk hat ihr der Suhrkamp-Verlag den Wechsel vom gefälligeren Insel-Programm hin ins literarische Spitzenprogramm des Suhrkamp-Verlags ermöglicht. Inhaltlich bleibt sich Angela Steidele dabei auch mit Ins Dunkel treu. Wieder blickt sie aus überwiegend weiblicher Perspektive auf das Geschehen, das diesmal zum großen Teil in den 30er Jahren zwischen Babelsberg und Hollywood angesiedelt ist.

Aus Klosters nach Hollywood

Angela Steidele - Ins Dunkel (Cover)

Zunächst jedoch sind wir im Schweizerischen Dorf Klosters zu Gast, nicht weit vom legendären Zauberberg entfernt. Hier logiert im Jahr 1969 Salka Viertel, die immer wieder Besuch bekommt. Es handelt sich um Besuch, der sie an die Zeit zwischen dem Berlin der 20er und dem Hollywood der 30er Jahre erinnert. Denn Slka Viertel war einst entscheidender Teil des Filmbetriebs, der besonders von den beiden Übergestalten Marlene Dietrich und Greta Garbo dominiert wurde.

Deren Karrieren zeichnet Ins Dunkel genauso nach, wie sich Angela Steidele auch insbesondere mit Erika Mann und deren Beziehung zu den Filmkreisen beschäftigte.

Immer wieder bedient sich Angela Steidele eines harten Schnitts, der von den Zeitebenen und Figur zu Figur springt. Es ist die Schnitttechnik, derer sich zuletzt Daniel Kehlmann in seinem zuvor erschienenen Buch Lichtspiel (über den in Steideles Buch ebenfalls Erwähnung findenden) Regisseur G. W. Pabst ebenfalls bediente. Immer wieder flackert die Leinwand, zeigt die erzählerische Kamera eine neue Einstellung oder findet eine neue Figur, mit der sie sich beschäftigt, ohne dass sich zwingend immer gleich ein Zusammenhang zeigt. Dennoch aber ergibt diese springende Erzählweise Stück für Stück einen Fluss, der unter Angela Steideles schriftstellerischer Behandlung wieder einmal zu einem rauschenden Strom des Wissens gerät.

Egal ob das Swinging Berlin mit den Schriftstellertöchtern Pamela Wedekind und Erika Mann nebst Bruder Klaus oder das später von den Emigranten wie Carl Laemmle oder Louis B. Mayer geprägte Hollywood: Ins Dunkel ist randvoll mit Wissen und historischen Gestalten. Neben der Dietrich, der Garbo und der Mann sind es weitere bekannten Künstlernamen wie die von Friedrich Murnau, Josef von Sternberg oder Anita Berber, die für die Schwelle des Stummfilms zum Tonfilm stehen, die aber auch mit ihren Viten den Umschwung des Zeitgeists und den Aufbruch der intellektuellen Künstlerschicht ins Exil nach Hollywood symbolisieren.

Marlene Dietrich, Greta Garbo und Erika Mann

Angela Steidele fördert neben der Schau großer Namen aber auch viele heute so gut wie vergessener Figuren wieder ans Licht der Öffentlichkeit. Die von Salka und ihrem Mann Berthold Viertel zählen dazu, Förderer der Künstlerinnen wie Mauritz Stiller oder Mercedes de Acosta, die mit Marlene Dietrich sicher und möglicherweise mit Greta Garbo eine Liebesaffäre verband, sie alle finden in Ins Dunkel Erwähnung. Ganz Steidele-typisch ist neben Zitaten, Spekulativem und Verweisen auf die Gegenwart auch der queere Aspekt ihrer Figuren und der Filmindustrie wieder ein zentraler Aspekt ihres Buchs.

Dabei ist nicht alles vollumfänglich gelungen. Die manchmal doch reichlich didaktisch wirkenden Erklärmonologe, die angesichts der Fülle von Personen und Kontexten immer wieder Hintergründe oder Beziehungen erläutern müssen, dazu der manchmal allzu wilde Schnitt, der keinen wirklichen Fokus auf eine der Figuren aufkommen lassen will, zählen in meinen Augen zu den Schwächen von Ins Dunkel. Der in die Mitte des Buchs gesetzte Erzähleinfall der plötzlich selbst als Figur auftretenden Angela Steidele will nicht recht aufgehen und erschließt sich dramatisch nicht zwingend.

Auch ist der Hereinnahme von Erika Mann zwar eingedenk des Schauplatzes der Rahmenhandlung und des diesjährigen großen medialen Fokus auf Thomas Mann und damit auch seiner Familie verständlich. Literarisch allzu gut ausgeleuchtet aber scheint dieses Kapitel im Vergleich zur Freundschaft und Rivalität zwischen Marlene Dietrich und Greta Garbo, sodass dieser Aspekt am ehesten verzichtbar ist, obschon die Geschichte der kessen Erika und die Geschichte ihres Kabaretts Die Pfeffermühle zusammen mit Therese Giehse für sich genommen hochspannend ist. Im Kontext der restlichen Erzähleinlage fügt sich das alles aber nicht immer ganz organisch ein.

Nicht ins Dunkel, sondern ins Licht der Erkenntnis

Diese stellenweise Überfrachtung an Themen und Figuren verzeiht man Angela Steidele aber gerne, ist dieses Buch doch eines, das die Zeit vor knapp hundert Jahren erkenntnisreich aufschließt und der ein ganzes Breitwandpanorama zwischen Klosters und Hollywood, Leinwandgrößen und vergessenen Gestalten gelingt. Das ist ein Buch, das klüger macht und das vielerlei Einsichten liefert und dabei Fakt und Fiktion, Kunst und Leben miteinander vermengt. Dieser Roman führt keineswegs Ins Dunkel, sondern liefert erhellende Erkenntnis über die Zeit und diejenigen, die in ihr die großen Rollen spielten. Steideles Roman erleuchtet das Leben seiner Figuren und stellt damit eine ganze Ära ins gleißend helle Scheinwerferlicht.

Oder um mit den Worten Ernst Lubitschs aus dem Roman selbst zu sprechen: „Mehrdeutig, anspielungsreich, prägnant, kurzum: große Kunst! (S. 74).


  • Angela Steidele – Ins Dunkel
  • ISBN 978-3-518-43247-1 (Suhrkamp)
  • 357 Seiten. Preis: 26,00 €