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Anselm Oelze – Die da oben

Das junge Paar unten, die alteingesessenen Mieter darüber. In seinem Roman Die da oben blickt der Autor Anselm Oelze in das Leben zwei unterschiedliche Paare in einem Mietshaus in Leipzig – leider mit zu wenig Erkenntnisgewinn, als dass das Buch überzeugen könnte.


Mit seinem Debüt Wallace ließ der junge Schriftsteller Anselm Oelze aufhorchen. Damals erzählte er mithilfe von schrulligen Figuren von Alfred Russel Wallace, dem Mitentdecker der Evolutionstheorie, der heute dem Vergessen anheimgefallen ist. Sein Debüt weckte zumindest bei mir Assoziation zu Christian Krachts Imperium und Daniel Kehlmanns Die Vermessung der Welt — nicht die schlechtesten Assoziation für ein literarisches Debüt.

Auf das Debüt folgte der Krisenroman Pandora sowie die Reportage Die Grenzen des Glücks über das Flüchtlingselend auf Lesbos und unsere Implikationen mit der himmelsschreienden Situation vor Ort. Mit Die da oben legt Anselm Oelze nun wieder Roman vor, mit dem er im Göttinger Wallstein-Verlag eine neue literarische Heimat gefunden hat.

Leider muss man nach der Lektüre des Romans konstatieren, dass Oelze auf dem Weg des Verlagswechsels leider auch irgendwo sein erzählerisches Gespür für Krisen und Konflikte und deren politische Dimension abhandengekommen sein muss. Denn Die da oben ist auf erschreckende Weise literarisch harmlos und schwach.

Zwei Paare im Leipziger Mietshaus

Die erzählerische Grundanlage ist dabei eine durchaus spannende. Ein Jahr bildet den erzählerischen Rahmen des Romans, der mit dem Einzug des jungen, queeren Paares Tess und Moyra in ein Mietshaus in der Leipziger Lisztstraße seinen Lauf nimmt. Nun endlich der Zusammenzug in eine gemeinsame Wohnung im hippen Leipzig, dazu die Verheißung der Räumlichkeiten im Erdgeschoss, die früher einen Getränkeladen beherbergten und in dem Tess nun als Schneiderin durchstarten möchte. Der Frühling hält viele Verheißungen bereit, bei denen sogar das Touchieren des blauen Twingos mit dem Umzugswagen das junge Glück nicht sonderlich trüben kann.

Im Leben der Twingobesitzer selbst ist jenes Glück allerdings schon lange nicht mehr in diesem Maße zuhause, wie es noch für das junge Paar den Anschein hat. Bei den Autobesitzern handelt es sich um Rolf und Heike, die die Wohnung über Tess und Moyra bewohnen, und das schon seit Zeiten vor der Wende.

Mit der eigenen Tochter ist es schwierig, obwohl Heike gerne mehr Kontakt mit ihr und den Kindern hätte. Rolf musste sich mit der Geschäftsaufgabe seiner Getränkeoase abfinden, die durch die neue Konkurrenz von Discountern und Lieferdiensten bedingt ist – nur um jeden Tag direkt vor der eigenen Nase Tess nun als Schneiderin in den Räumlichkeiten werkeln zu sehen, die für ihn so lange sein Leben bedeuteten.

Während der Roman nun im Jahreszeitenlauf voranschreitet, wohnt man dem Leben im Mietshaus bei, sieht Affären, Annäherungen und Enttäuschungen, verfolgt den Wunsch nach Kindern ebenso wie die Folgen der Verknappung des Wohnraums.

Alles bleibt hinter den Erwartungen zurück

Anselm Oelze - Die da oben (Cover)

Was sich dabei in der Theorie durchaus verheißungsvoll liest, bleibt in der Realität leider hinter allen Erwartungen zurück. Das Nebeneinander der zwei Paare, in dem so viel Potential geruht hätte, findet leider über das Niveau einer buchgewordenen Episode Lindenstraße nicht hinaus.

Unterschiedliche Generationen im Boomtown Leipzig, das parallele Leben von Alteingesessenen und Neuhinzugezogenen, die jungen Frauen und die schon Dagewesenen, der begehrte Wohnraum als Raum der Entfaltung und Spiegel des Selbst, die Verdrängungsbewegungen, all das hätte alles so viel Möglichkeiten geboten, diese Aspekte in ihrer Vielschichtigkeit herauszuarbeiten, auf die soziologischen bis historischen Dimensionen dieses Miteinanders zu blicken, womöglich sogar das Politische im Privaten und umgekehrt herauszuarbeiten: aber nichts da.

Das Buch bleibt die literarische Bearbeitung der gesellschaftlichen „Spaltung“, die der Klappentext verspricht, völlig schuldig. Zwar ist die Schwarze Identität von Moyra ein kleines Thema im Buch und in einer Szene vor Gericht kommt es zu einem Dirk Oschmann-haften Wutausbruch Rolf vor Gericht, ansonsten nutzt Oelze das innewohnende Konfliktpotential zwischen den beiden Generationen, den Lebensentwürfen zwischen Heteronormativität und Queerness, Ost und West, den Erfahrungen zwischen DDR und neuer Lebens- und Arbeitswelt, in keiner Weise aus.

Kein Gefühl von Vielschichtigkeit

Stattdessen bleibt der Schauplatz ebenso wie die Sprache austauschbar, schreitet das Buch ohne rechte Höhepunkte voran und beschränkt sich auf die Beschreibung von abgeschnittenen Koniferen, Dellen im Lack und der Tradition der Kurrende-Sängern des Thomanerchors. In interessante Tiefen stößt dieser Text leider zu keinem Zeitpunkt vor und verpasst es leider so auch, wenigstens das Gefühl von Vielschichtigkeit zu vermitteln.

Das ist besonders schade, da Anselm Oelze sein Gespür für Krisen und deren Kulminationspunkte ja mit seinen früheren Werken unter Beweis gestellt hat. Die da oben bleibt leider zahnlos und hinter anderen, schon erschienen Werken zurück.

Von den (vermeintlichen) Spaltungen der Gesellschaft mögen die Soziologen besser zu erzählen, die Brüche zwischen DDR und der Nachwendewelt haben andere Autor*innen wie Annett Gröschner oder Christoph Hein in diesem Jahr schon überzeugender herausgearbeitet. Blickt man statt der thematischen Ebene auf die literarische Ebene des Buchs, wird es auch nicht besser, denn sprachlich kann Anselm Oelzes Buch sich vom Gros der deutschsprachigen Literatur ebenfalls nicht abheben.
Obschon die Konstruktion des Buchs ein wenig vom Erwartbaren abweicht, zeigen sich im Ganzen dann auch Unklarheiten, was die Personenführung und -entwicklung anbelangt.

Fazit

So ist das alles deutlich zu wenig, als dass Die da oben irgendwelche neuen oder besonders gut herausgearbeiteten Themen überzeugen könnte. Vielleicht hat die Kurzbeschreibung des Buchs bei mir auch nur falsche Erwartungen geweckt, so oder so kann ich nur sagen: Schade um das nicht genutzte Potential dieser Geschichte.


  • Anselm Oelze – Die da oben
  • ISBN 978-3-8353-5977-2 (Wallstein)
  • 275 Seiten. Preis: 24,00 €