Mitten hinein ins Milieu der japanischstämmigen Amerikaner*innen in Chicago zur Zeit des Zweiten Weltkriegs führt der Roman Clark & Division der Krimiautorin Naomi Hirahara, die man hier zum ersten Mal auf Deutsch entdecken kann. Darin erzählt sie von gesellschaftlicher Spannung, Ausgrenzung und bedrohten Frauen in der amerikanisch-japanischen Community.
George Takei kennen Star Trek-Fans als Darsteller des Hikaru Sulu. Weniger bekannt ist die Herkunft und Kindheit des Schauspielers, die er im 2019 erschienenen Graphic Novel They called us enemies aufarbeitete. Darin erzählt er, wie er als Vierjähriger mitsamt seiner Familie auf Geheiß des damaligen amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt im Jahr 1942 in einer Art Internierungslager auf amerikanischen Boden festgesetzt wurde.
Nachdem Japan den hawaiianischen Militärstützpunkt Pearl Harbor bombardiert hatte, wurden aus japanischstämmigen Amerikaner*innen plötzlich Feinde, die man in solchen Camps unter Kontrolle haben wollte, wie George Takei in seinen Erinnerungen schildert.
Aus Los Angeles ins Internierungslager
Auch die Ich-Erzählerin Aki muss in Clark & Division die gleiche Erfahrung machen. So berichtet sie von dem, was ihr als in Los Angeles geborene Tochter japanischer Einwanderer nach dem Kriegseintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg widerfährt:
Einen Tag später erklärte Präsident Franklin D. Roosevelt Japan offiziell den Krieg. Unsere Welt wurde erschüttert, und unsere Freunde begannen zu verschwinden. Roys Vater wurde abgeholt und zusammen mit buddhistischen Issei-Priestern, Japanischlehrern und Judotrainern in ein Gefängnis in Tuna Canyon gesteckt. Wenige Tage später ließ die Regierung ihn und die anderen mit dem Zug an einen unbekannten Ort bringen. Da Pop nicht im Vorstand irgendeiner Sprachschule oder anderer japanischer Institution saß, wurde er nicht abgeholt, was er fast als Beleidigung auffasste. Als wäre er nicht wichtig genug, um wie die anderen als Bedrohung für die nationale Sicherheit zu gelten.
Naomi Hirahara – Clark & Division, S. 21
Vom Stadtteil Tropico in Los Angeles geht es für die Familie von Aki ein Lager namens Manzanar, das dem aus den Erinnerungen George Takeis ähnelt. Nach langer Zeit dort darf sich die Familie Ito dann allerdings in Chicago im japanischen Viertel ansiedeln, wohin ihnen die ältere Tochter Rose schon vorgereist ist. Doch als die drei Itos dann endlich in Chicago angekommen sind, erwartet sie vor Ort schon die nächste Hiobsbotschaft: Rose ist tot. Sie soll sich am Bahnhof an der Kreuzung der Clark- und Divisionstreet vor einen Zug geworfen haben.
Diese Nachricht erschüttert die Familie, die gerade erst dem Lager entkommen einen Neustart ihres Lebens versuchen wollten. Vor allem Aki kann die Nachricht vom Suizid ihrer bewunderten Schwester nicht glauben, ebenso wenig wie die Info, dass Rose erst kürzliche eine Abtreibung gehabt haben soll. Auf eigene Faust beginnt sie nachzuforschen und hört sich zwischen nisei (japanischstämmigen) und hakujin (amerikanischen) Bewohnern rund um die Ecke der Clark- und Division-Street um, wo sie – wir befinden uns immer noch in einem Krimi- auf einige unangenehme Einsichten und Wahrheiten stößt.
Das Leben der nisei in Chicago
Division & Clark ist ein Krimi, der vor allem durch seine Milieuschilderungen und Einblicke in ein hierzulande wenig bekanntes Kapitel amerikanisch-japanischer Geschichte besticht und das außerhalb der Romane Schnee, der auf Zedern fällt von David Guterson oder The buddha in the attic von Julie Otsuka (oder eben George Takeis Erinnerungen) kaum thematisiert wurde
Der Kriminalfall, der von den Milieuschilderungen umhüllt wird, ist dabei zwar solide, aber eben auch nicht mehr.
Aki ermittelt, indem sie Personen aus dem Umfeld ihrer Schwester befragt, Spuren im Tagebuch nachgeht und die Rolle übernimmt, die eigentlich ihren Eltern gebührte. Sie organisiert die Beerdigung, nimmt Kontakt mit der lokalen Polizeibehörde auf und hört sich auf den Straßen Chicagos um. Damit erfindet Naomi Hirahara das Rad zwar nicht neu, liefert aber solide Krimikost ab.
Besonders wird dieses Buch aber eben durch den genauen Blick auf das Leben der Nisei in Chicago. Ihre Community und die Erfahrungen, die sie in der amerikanischen Gesellschaft machen mussten, vermittelt die Autorin eindrucksvoll und versetzt uns direkt in die Enge der Internierungslager und der brummenden Straßen Chicagos, die ein Spiegelbild des Inneren der Ich-Erzählerin Aki sind. Die eigene bewunderte Schwester tot, die Eltern hilfsbedürftig in der neuen Stadt, die Liebe und das Datin in der japanischen Community, das alles fordert die junge Frau wirklich heraus.
Auch arbeitet Hirahara das schizophrene Verhältnis Amerikas gegenüber den jungen japanischen Männern heraus, die zunächst inhaftiert und feindselig beäugt wurden, ehe sie dann als Soldaten im Zweiten Weltkrieg gebraucht wurden, um in Japan, auf pazifischen Inseln oder beim D-Day in Europa zu kämpfen.
Davon erzählt Hirahara und liefert Einblicke in die japanische Gesellschaft, die mit der amerikanischen nicht immer deckungsgleich war oder ist – und zeigt die Stellen, an denen das besonders schmerzhaft zutage trat. Das macht aus Clark & Division ein lesenswertes Buch, das im Gewand eines Kriminalromans ein verdrängtes Kapitel des 20. Jahrhunderts noch einmal in Erinnerung ruft.
- Naomi Hirahara – Clark & Division
- Aus dem Englischen von Karen Witthuhn
- ISBN 978-3-7472-0422-1 (Ars Vivendi)
- 272 Seiten. Preis: 24,00 €