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Abgesoffen in Venedig

Wolfgang Schorlau/Claudio Caiolo – Der freie Hund

„Was siehst du, Morello?“

„Eine Sanduhr, Signor Vice Questore.“

„Du siehst Venedig, Morello. Die Touristen rieseln morgens in die Stadt hinein und abends wieder hinaus. Manchmal bleiben sie eine Nacht, manchmal zwei, selten drei, kaum jemals vier. 30 Millionen Touristen rieseln in die Stadt. Jahr für Jahr. Und sie lassen Geld bei uns. Viel Geld. Geld, von dem letztlich auch dein Gehalt bezahlt wird.“

„Ich verstehe, Signor Vice Questore“

Schorlau Wolfgang/Caiolo, Claudio: Der freie Hund, S. 37

Es scheint ein Gesetz zu geben, was das Schreiben von Regionalkrimis anbelangt. Die Ermittler oder respektive die Ermittlerinnen, die in einer touristisch attraktiven Region (Camargue, Venedig, Provence, etc.) ermitteln, werden immer gegen ihren Willen dorthin strafversetzt. Immer. Sie stoßen vor Ort auf Widerstände im Team, bekommen es mit einem Mord zu tun, lösen diesen dann restlos auf und bleiben dann doch in der Region hängen, da sie sich in Land und Leute verliebt haben. Der Grundstein ist gelegt für mindestens fünf Fortsetzungsromane, ehe der Boom dann irgendwann versandet.

Wolfgang Schorlau/Claudio Caiolo - Der freie Hund (Cover)

Diesem güldenen Regelwerk für Regionalkrimis folgen auch Wolfgang Schorlau und Claudio Caiolo bei ihrer Zusammenarbeit namens Der freie Hund. Ihr Komissar heißt Antonio Morello, stammt aus Sizilien und ermittelte dort gegen die Mafia. Diese Ermittlungen brachten ihn in Gefahrt, sodass er nach Venedig strafversetzt wurde. Dort fremdelt er nun gewaltig, bekommt es mit Widerständen und neuen Kolleg*innen zu tun und hat auch bald einen ersten Mordfall, in dem er ermitteln muss. Ein junger Mann wurde mit mehreren Messerstichen ermordet. Er stand einer Bewegung vor, die sich gegen Kreuzfahrtschiffe in Venedig einsetzte. So muss der freie Hund nun ran und sich durch die Palazzos und Kanäle Venedigs ermitteln. Und das was das güldene Regelwerk des Regionalkrimis angeht, so verrät man wohl nicht zu viel, wenn man künftig mit weiteren Einsätzen für Morello rechnet.

In meinem Falle könnte ich darauf gut verzichten. Denn Der freie Hund kommt kaum über das Niveau der lieblos gemachten ARD-Länderkrimis hinaus. Da ist schon die mehr als fragwürdige Entstehungsgeschichte dieses Buchs, die mich stutzen ließ. Wenn dann das Produkt des italienisch-deutschen Duos wirklich überzeugen könnte. Aber das kann es zu keiner Minute.

Kein Klischee wird ausgelassen

Da sind zum Einen schon einmal die Figuren, die sich größtenteils lesen, wie sich ein Deutscher halt so die Italiener*innen respektive die Venezianer*innen vorstellt. Die Haute-Volee hat natürlich einen Dogen im Stammbaum und residiert in einem Palazzo, Kammerzofe inklusive. Der Kommissar ist ein eigensinner Sturkopf aus dem Süden, der bei seinem ersten Arbeitstag bei der Verfolgung eines Taschendiebs (wir sind ja in Venedig, nicht wahr) ins Wasser plumpst. Statt zum Vice Questore (den man natürlich immer mit Dienstrang anspricht) geht es dann aber erst mal zu Espresso und Gebäck ins Caffé. Frauen werden gerne über ihr Aussehen eingeführt, die eigenständig denkende Kollegin ist dann natürlich eine „Amazone“.

Wer so etwas lesen will, bitte. Ich glaube aber, dass wir 2020 schon etwas über diese Klischees hinaus sind, die selbst Donna Leon für ihre Krimis zu abgegriffen wären.

Passagen, die sich lesen, als hätten die Autoren einen halben Wikipedia-Artikel abgetippt, nachdem eine Figur das entsprechende Schlagwort im Dialog in den Raum stellt. Offensichtliches, dass dann aber extra noch einmal ausbuchstabiert wird, als hielte man seine Leser*innen für dumm.

„Eigentlich wollte er über Nacht bleiben. Dann hat er es sich aber anders überlegt.“ Ihre Stimme klingt plötzlich gepresster und schneller. Sie blickt einen winzigen Augenblick zur Seite.

Sie lügt.

Schorlau Wolfgang/Caiolo, Claudio: Der freie Hund, S. 37

Das findet sich neben hölzernen Dialogen und Szenen wie aus einer Aperol Spritz-Werbung en masse im Buch.

Zudem ist auch die Ausgestaltung der Figuren alles andere als stimmig (wenn sie denn überhaupt mal so etwas wie etwas Ausgestaltung und Tiefe erhalten). Bestes Beispiel ist Morello, der zuvor dem organisierten Verbrechen auf der Spur war und dementsprechend mit der modernen Verbrechenswelt und modernen Polizeiarbeit vertraut sein sollte.

Allerdings ist er bass erstaunt, als ihm in der Rechtsmedizin eine Frau gegenübersteht. Man stelle sich das einmal vor! Eine Frau, die Rechtsmedizin studiert hat. Und das im 21. Jahrhundert. Das lässt den freien Hund staunen. Genauso wie der Taschendieb, mit dem Morello zuvor noch etwas Fangen in den Gassen Venedigs gespielt hat. Dieser bittet den Kommissar dann um eine Büroklammer. Als er dem Hund dann offenbart, dass er damit gerne die Handschellen aufnesteln möchte, ist Morello wieder einmal erstaunt. Sapperlott! So ein kleptomanischer Tausendsassa.

Hier muss man sich wirklich fragen, ob einen die Autoren dieses klischeesatten Machwerks für dumm halten wollen. Anzunehmen ist es leider. Und da ich Bücher nicht mag, die mich für dumm verkaufen wollen, bin ich beim nächsten Einsatz des freien Hundes nicht mehr dabei. Ein überflüssiges und liebloses Buch, das man sich hätte sparen können. Und die Lektüre dessen sowieso.

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