Wie es war, als sich das rote Hamburg in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts langsam braun färbte? Aus Anja Kampmanns neuem Roman Die Wut ist ein heller Stern lässt es sich erfahren. In ihrem sprachlich herausragenden Werk schreibt sie eine Art Berlin Alexanderplatz für die Hansestadt Hamburg und erzählt von der Halbwelt, von Varietés, Walfängern und Kaimanen.
Liest man Anja Kampmanns neuen Roman, so tritt es einem wieder unweigerlich vor Augen: Literatur, das ist vor allem ja auch Sprache. Zugegeben ist diese Erkenntnis eine Binse, aber in Zeiten, in denen zu viele deutschsprachige Autor*innen ihr Schreiben in eine recht uniform klingende Sprache hüllen, die zu austauschbar klingt und die auf die Möglichkeit verzichtet, mit dem sprachlichen Fingerabdruck die eigene literarische Marke zu prägen, da macht Die Wut ist ein heller Stern staunen.
Eine solche sprachliche Gestaltungsmacht, ein solch impressionistischer Sprachrausch, sie ist einem hierzulande seit Mariam Kühsel-Hussainis Tschudi oder den ebenfalls sprachlich herausragenden Werken Emanuel Maeß´ nicht mehr untergekommen. Dass hier eine Lyrikerin schreibt, man sieht und fühlt es auf jeder Seite und lässt auch das immer wieder auftauchende Motiv der Puccini-Arie Nessun dorma zur Aufforderung an uns Leser werden, dass niemand schlafe, um diesem Erzählrausch angemessen begegnen zu können.
Eine literarische Vermessung Hamburgs zur Nazizeit
Statt sich mit einer einfachen Beschreibung des Lebens ihrer Erzählerin Hedda zu begnügen, mischt Kampmann Wahrnehmung, Dialogfetzen, Sprachspiele, Gedanken und Sinneseindrücke zu einem berauschenden Ereignis, das als Langedicht wie auch als Roman funktioniert. Zusammen mit Hedda durchmisst man ein Hamburg zwischen Klein-Flottbek, dem Gängeviertel, Altona oder den Wasserwegen, die für manche von Kampmanns Protagonisten zum letzten Ausweg werden, während die Nazis langsam die Macht über die Hansestadt übernehmen.
25. Mai, Tag der deutschen Seefahrt. Bootsrennen auf der Alster mit Ritter von Epp, Vorbeimarsch der Wüstenbraunen, die sich Marine nennen, vor dem Gebäude des HAPAG Seebäderdienstes.
Anja Kampmann – Die Wut ist ein heller Stern, S. 278
Ich höre die Durchsagen zum Festprogramm vor dem Radio des Grauen. Ein reicher Flaggenschmuck. Abends ist nicht so viel los im Alkazar, alle sind auf den Straßen, wir können früher gehen. Die Nacht ist weich und warm. In London ist Thronjubiläum: Die Straßen wie blühende Gärten.
Hedda arbeitet als Tänzerin im Varieté Alkazar, das von seinem Besitzer Arthur Wittkowski nach dem Ersten Weltkrieg gegründet wurde. Während unten in der Manege zwei Kaimane als Attraktion dienen, wirbelt Hedda in der Kuppel des Varietés am Seil und im Ring umher.
Das rote Hamburg wird braun
Doch von Leichtigkeit kann keine Rede sein, denn schon ganz zu Beginn des Buchs wird die vormals weite und glamouröse Welt Heddas immer kleiner. Im Jahr der „Machtergreifung“ durch die Nazis sind es die Kreise, in denen sich Hedda bewegt, die unter Beschuss geraten. Ihre Freunde aus dem Arbeiterturnverein, die kleinkriminellen Finken aus dem Dunstkreis Arthurs oder ihr Schwarm Kuddel, ein Boxer. Sie alle sind die Feinde der neuen Machthaber, die mit Brutalität für die neue Ordnung in Sachen Machtverhältnisse dort sorgen.
Hedda erlebt das aus nächster Nähe mit, wenn die Braunen zur Jagd auf die Roten blasen und Gewalt und Tod Einzug halten in den Straßen Hamburgs.
Auf einmal gibt es einen lauten Knall. Hart, wie ein Schuss. Etwas fällt zu Boden. Schsch. Da ist der Graue, beruhig dich, Mädchen.
Anja Kampmann – Die Wut ist ein heller Stern, S. 404
Es ist nur ein Stab in der Ecke, der umgefallen ist – ein Schlag, aber alles hat mit dem Handbeil zu tun. Sie schlagen den Kommunisten den Kopf ab wie dem Geflügel, den Kopf, Henker! Der Keiler ist wach, schsch, denk nicht dran.
Der Graue, er nimmt einen tiefen Zug aus der Pfeife und bläst mir den Rauch ins Gesicht wie einem scheuen Tier, er nimmt meine Hand, ruhig, sagt er, hier: Und da ist der Rauch wie eine Himmelsleiter, au der alles aufwärtsstrebt, die große Fahrt, die See, da ist die See, schimmernd und weit.
Doch nicht einmal die See bietet die Möglichkeit zu entkommen. Denn Hedda kann nicht einfach gehen oder eine Schiffspassage ins Exil antreten. Während ihr Bruder Jaan auf einem Walfänger anheuert, mit dem die Nazis Ressourcen für ihr angestrebtes Weltreich gewinnen wollen, muss Hedda ihren kleinen Bruder Pauli verstecken, so gut es geht. Denn dieser ist aufgrund seiner verwachsenen Beine geheingeschränkt und somit ein Ziel für die Eugenik-Pläne der Nazis, die immer unverhohlener auftreten und sich auch von den 1936 in Deutschland stattfindenden Olympischen Spielen in ihrem Rassewahn und Machtstreben einbremsen lassen, im Gegenteil.
Die Verfügungsgewalt der neuen Machthaber
Im Lauf des Romans wird auch Hedda am eigenen Leib die Verfügungsgewalt der neuen Machthaber spüren, während sich die Schlinge um „moralisch verkommener Subjekte“ wie Hedda immer weiter zuzieht und bald nicht nur Arthur oder der Trompeter aus dem Alkazar untertauchen muss, sondern auch sie in große Gefahr gerät.
Das schildert Anja Kampmann durch diese Bewusstseinsstromtechnik ihres Buchs unglaublich packend und nachfühlbar. Das zunehmende Versteckspiel und die steigende Angst um ihre Brüder und Freunde, die Grausamkeit der Nazis und die Ruchlosigkeit der Profiteure, die sich im Kielwasser der neuen Machthaber bequem gemacht haben, Die Wut ist ein heller Stern erzählt davon ebenso anschaulich wie gelungen.
Kampmanns Buch beleuchtet zudem sträfliche vernachlässigte Kapitel der Geschichte wie die unglaubliche Geschichte des Walfangs, der von Hamburg ausgehend den Tod für hunderte der Tiere bedeutete, wie sie auch vom erschütternden Umgang mit Menschen erzählt, die nicht zu den Wahnvorstellungen der Machthaber passten – und dem nicht minder empörenden Umgang mit den damals Verantwortlichen in der Nachkriegszeit.
Fazit
So ist dieses Buch ein sprachliches Ereignis und ein eindringliches Dokument, das die Zeit der „Machtergreifung“ in Hamburg ganz unmittelbar erfahrbar werden lässt. Ein beeindruckendes Stück deutscher Literatur, das Anja Kampmann hier vorlegt und das nicht nur sprachlich zu dem Herausragendsten zählt, was dieses Jahr auf Deutsch geschrieben wurde.
- Anja Kampmann – Die Wut ist ein heller Stern
- ISBN 978-3-446-28120-2 (Hanser)
- 496 Seiten. Preis: 28,00 €
