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Bret Anthony Johnston – We burn daylight

Waterloo in Waco. Aus zwei jugendlichen Perspektiven wirft Bret Anthony Johnston in seinem Roman We burn daylight einen Blick auf die Geschehnisse rund um die waffenstarrende Sekte unter deren Führer Perry alias „Lamb“, die sich auf einer Ranch in Texas niedergelassen hatte. Johnston erzählt vom Frühjahr 1993, als man dort eigentlich nur den Sektenführer festnehmen wollte und sich in einem blutigen Desaster wiederfand.


Wenn die Waffenbegeisterung der US-Amerikaner*innen so etwas wie einen lokalen Schwerpunkt hat, dann wohl in Texas. Als einer der Staaten mit den laxesten Waffengesetzen ist es Menschen ab 21 JAhren dort seit vier Jahren wieder erlaubt, Waffen verdeckt oder offen am Körper zu tragen. Sind die USA mit der Begeisterung der Bürger für Schusswaffen eh schon weltweit führend, was den Waffenbesitz angeht (Monat für Monat werden über eine Million Schusswaffen verkauft und in dem fast in jedem zweiten Haushalt ist eine Feuerwaffe vorhanden), so konzentriert sich diese Waffenbegeisterung in Texas noch einmal besonders.

Dass dieses Phänomen keineswegs neu ist, das zeigt die Lektüre von Bret Anthony Johnstons Roman. Denn er erzählt in vier Teile aufgeteilt von den Geschehnissen, die im Januar 1993 in Texas ihren Ausgang nahmen und im März des Jahres dann ihren blutigen Höhepunkt erleben sollten. Aber der Reihe nach.

Welcome to Waco

We burn daylight erzählt aus Sicht des jungen Roy und Evie, die mit ihrer Mutter aus Kalifornien nach Texas gezogen ist, um dort in der Gemeinschaft von Perry alias „Lamb“ zu leben, einem aus Israel zurückgekehrten Prediger. Er hat sich zusammen mit seinen zahlreichen Anhängern auf einer Ranch in Waco eingerichtet, wo er Sonntags Bibelarbeit und Training auf dem farmeigenen Schießstand anbietet. Rhetorisch ähnlich erratisch agierend wie der amtierende US-Präsident bringt er seine kruden Visionen und Predigten unters Volk, das ihm ergeben folgt.

„In alten Zeiten“, sagte er, „bedeutete der Ausdruck, jemand ist nach Texas gegangen, dass er nicht mehr ganz klar im Kopf ist, aber jetzt kommen die Leute hierher, weil sie endlich klar sehen. Unsere Verfassung gibt jedem Bürger Amerikas das Recht, sich gegen die Regierung zu stellen. Seht ihr, in Texas hat man im Gegensatz zum Rest des Landes etwas begriffen. Waffen? Klar, die besorgen wir uns. Klar benutzen wir auch Toilettenpapier. Ihr seid alle eingeladen mitzumachen. Entweder gehört ihr dazu oder ihr gehört nicht dazu. Kann schon sein, dass wir ein bisschen verrückt sind.“

Bret Anthony Johnston – We burn daylight, S. 55 f.

Roy ist der Sohn des lokalen Sheriffs und trifft durch Zufall auf Jaye – und das, wie könnte es in Texas anders sein, auf einer Waffenmesse. Antike Duellpistolen, Gasmasken, Handfeuerwaffen, dazu Pekannüsse, die als Snack gereicht werden. So sieht das Entertainment aus, das dort die Massen anzieht.

Auch Roy ist angezogen. Das allerdings von Jaye, dem Mädchen mit dem roten Haar, das mit Eigensinn Roy für sich einnimmt. Doch für Dates und Knutschen im Wasserturm bleibt nicht allzu viel Zeit, da die Behörden von der Zusammenrottung von Personen draußen auf der Farm in Waco beunruhigt sind. Sie haben Lamb im Verdacht, nicht nur Bibelarbeit und Schießtraining auf dem Gelände seiner „Kirche“ anzubieten, sondern mithilfe von Fräsen auch illegale Langwaffen und Verbotenes wie Handgranaten herzustellen.

Desaster mit Ansage

Bret Anthony Johnston - We burn daylight (Cover)

Unaufhaltsam laufen die Ereignisse auf die Erstürmung des Geländes am 17. Februar 1943 zu, die in einem absoluten Desaster enden sollten, wie Bret Anthony Johnston zeigt. Hierfür setzt er nicht nur auf die beiden Perspektiven von Roy als Außenstehenden und Jaye als Mitglied von Perrys Sekte, auch finden sich zwischen die einzelnen Kapitel immer wieder kurze Interviewschnipsel montiert, die fast den Charakter von Verhören haben. Ein Podcaster interviewt hier an den damaligen Geschehnissen Beteiligte und zeigt so noch einmal verstärkt das Waterloo, das die Behörden bei der Erstürmung der Ranch erlebten.

Denn statt einer zielgenauen Verhaftung Perrys nach Missbrauchsvorwürfen entschieden sich die Einsatzkräfte, die Ranch ohne allzu viel Vorbereitung zu stürmen, ohne zu ahnen, in welchem Desaster das Ganze enden würde. Auffällig unauffällige Zugriffskommandos versteckt hinter Planen auf Transportern (die erst recht die Aufmerksamkeit der lokalen Bevölkerung weckten), keine wirkliche Zugriffsstrategie geschweige einer genauen Kenntnis der Lage vor Ort, so liefen die Einsatzkräfte schon fast mit Ansage ins Verderben.

Empfangen von einem Kugelhagel der Waffenfanatiker wurden die Einsatzkräfte völlig überrascht und gerieten in die Defensive, obschon sie personenmäßig in der Überzahl waren. Polizisten, die er- oder angeschossen wurden und sich zurückziehen mussten, zu wenig Munition, was dazu führte, das – man erinnere sich des Schauplatzes Texas – Polizisten erst einmal Munition bei Walmart nachkaufen mussten und ein völlig surreales Ereignis, das Jaye innerhalb der Ranch und Roy ungläubig am Fernseher mitverfolgt.

Im Fernsehen waren parkende Busse mit laufenden Motoren zu sehen. Ihre Warnlichter pulsierten rot im Dunst der Abgase. Lamb sprach gerade über einen großen Drachen, Lichtblitze und Donner. Ich konnte nicht entscheiden, ob er aus der Bibel zitierte oder gerade aus dem Fenster starrte.

Bret Anthony Johnston – We burn daylight, S. 356

Eine der größten Stümpereien der Polizeigeschichte

Johnstons Roman ist eine vielschichtiger Blick auf die damaligen Ereignisse in Texas, die sich in Sachen Polizeitaktik als eine der größten Stümpereien der US-Geschichte herausstellen sollten. Denn nicht nur, das die Erstürmung scheiterte, auch folgte der versuchten Einnahme der Ranch ein wochenlanger Patt zwischen Sekte und hilfloser Polizei, der die Aufmerksamkeit des ganzes Landes auf sich zog.

Auch wenn er durch die gewählte Perspektive der zwei Jugendlichen nur bedingt die Bindungskraft des Predigers Lamb auf seine erwachsenen Anhänger nachvollziehen kann, beeindruckt sein Roman doch durch den gegenläufigen Blick von Roy und Jaye – und den moralischen Dilemmata, denen sich die beiden Heranwachsenden gegenübersehen. Wem gegenüber sieht man sich verpflichtet – Eltern, zu denen keine Verbindung besteht oder doch eher dem Gleichaltrigen gegenüber, vor allem, wenn noch Gefühle im Spiel sind?

Mit solchen Fragestellungen versehen ist We burn daylight ein Roman, der trotz der anfänglichen Statik rund um die gescheiterte Erstürmung Wacos immer mehr Fahrt aufnimmt – und der in die Gegenwart verweist. Denn in Zeiten der Aufrüstung und Isolation von Reichsbürgern hierzulande und präsidial begnadigten Kapitolstürmern in den USA zeigt Johnstons Roman auch eindrücklich, wozu es führen kann, wenn man solche Bewegungen unterschätzt und damit sehenden Auges ins Verderben taumelt.

Fazit

Das macht aus Bret Anthony Johnstons We burn daylight einen ebenso spannenden wie hochaktuellen Roman, der die damaligen Ereignisse in Texas genau nachvollzieht und der sich auch als engagierte Widerspruch gegen Waffenfanatiker und deren Slogan von mehr Sicherheit durch mehr Waffen in Privathand lesen lässt. Sein Roman ist vielschichtig, vereint Liebesgeschichte, Coming of Age und Gesellschaftskritik sowie historische Studie zu einem gelungenen literarischen Ereignis, dem man einen aussagekräftigeren deutschen Titel gewünscht hätte, der vor allem aber breite Rezeption verdient!


  • Bret Anthony Johnston – We burn daylight
  • Aus dem Englischen von Sylvia Spatz
  • ISBN 978-3-406-83692-3 (C. H. Beck)
  • 492 Seiten. Preis: 28,00 €
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