Tan Twan Eng – Das Haus der Türen

Hierzulande ist William Somerset Maugham nicht mehr so recht bekannt. Der vor genau sechzig Jahren verstorbene Schriftsteller zählt in England zur Garde des sogenannten middle-brow, also Autor*innen, die mit ihren Werken zwischen Unterhaltung und Anspruch balancieren. Mit seinen Theaterstücken und Romanen feierte er in Großbritannien von Beginn der Jahrhundertwende an große Erfolge. In Deutschland ist das vom Schweizer Diogenes-Verlag gepflegte Werk des weitgereisten Romanciers etwas in Vergessenheit geraten. Tan Twan Engs Roman Das Haus der Türen holt William Somerset Maugham nun aus dieser Vergessenheit und macht ihn selbst Protagonisten. In Engs Erzählung bekommt er eine Geschichte zu hören , die aus seiner Feder stammen könnte…


Mit Werken wie dem 2006 zuletzt verfilmten Der bunte Schleier erschrieb sich William Somerset Maugham eine große Fangemeinde. Insbesondere Romane wie jener, aber auch seine Erzählungen zeigen einen weitgereisten Mann, dessen Geschichten in Hongkong, in der Karibik oder in Hawaii spielen.

Es sind Schauplätze und Thematiken, die Maugham aus eigenem Erleben heraus kannte. Denn nach der Trennung von seiner Frau reiste der homosexuelle Somerset Maugham zusammen mit seinem Sekretär Gerald Haxton um die halbe Welt und lebte an verschiedenen Stationen und britischen Kolonien.

Ein berühmter Schriftsteller zu Gast in Malaysia

Tan Twan Eng - Das Haus der Türen (Cover)

Eine solche Station bildet auch den erzählerischen Rahmen des 1970 in Malaysia geborenen Autors Tan Twan Eng. Denn hier ist es das Ehepaar Robert und Lesley Hamlyn, das Somerset Maugham und sein Sekretär im Jahr 1921 auf der malaiischen Insel Penang besuchen. Dort, in der von Kasuarinen umgebenen herrschaftlichen Villa namens Cassowary House, verbringt der Schriftsteller mehrere Wochen bei seinem alten Freund, den er aus gemeinsamen Zeiten in England kennt. Die Zeichen sollen eigentlich auf Erholung für das reisende Paar stehen. Die Betreuung legt Robert Hamlyn in die Hände seiner Frau.

„Na, dann ein andermal“, erwiderte Robert. „Die Gute kennt sich mit der Geschichte unserer Insel hervorragend aus. Sie weiß alles über Penang. Früher hat sie Stadtführungen für Freunde gemacht, die aus dem Ausland kamen. Diesen deutschen Schriftsteller haben wir auch herumgeführt, als er in Penang war – wie hieß er noch gleich, meine Liebe? Hesse, nicht wahr? Ja, Hermann Hesse.“

„Erholsame Tage der Muße am … Strand., mehr will ich nicht“, sagte Willie. „Ich muss Unmengen von … Büchern lesen, und Gerald ist noch nicht wieder bei Kräften. Er … benötigt viel Ruhe“.

Tan Twan Eng – Das Haus der Türen, S. 25

Doch die Kreativität des sonst so produktiven Autors stockt. Ebenso wie mit den Worten kämpft der malade Autor mit der Muse – was durch eine Nachricht aus der Heimat nicht besser wird. Denn bei einem Spekulationsgeschäft hat Somerset Maugham sein gesamtes Erspartes verloren. Und nun sitzt er auf der Insel in der Straße von Malakka am anderen Ende der Welt und weiß nicht mehr so richtig weiter.

Affären in Penang

Da kommt es gerade recht, dass Lesley, die Gattin Roberts, William Somerset Maugham als eine Art Beichtvater für sich entdeckt. Denn sie erzählt ihm einer Scheherazade gleich über mehrere Wochen hinweg eine Geschichte, die sie im elf Jahre zuvor dort in Malaya erlebte und die sich im Milieu der Expats und Kolonialherren abspielte.

Würde ich einen Roman schreiben, Willie, würde ich Ihnen erzählen, dass ich am Morgen des 25. April mit einer gewissen inneren Unruhe erwachte, mit dem Gefühl, dass mein Leben nach diesem Tag nie wieder so sein würde wie zuvor. So würde es ein Romanautor formulieren, nicht war? Aber ehrlich gesagt (und ich will in dieser Sache absolut ehrlich sein) empfand ich nichts, rein gar nichts Derartiges, als ich an jeenem Morgen erwachte.

Tan Twan Eng – Das Haus der Türen, S. 117

Diese hat mit einem (historisch verbürgten) Mordfall, einem Gerichtsprozess zu tun – und spiegelt in verschiedenen Aspekten die Frage von falschen Fassaden, Untreue und außerehelichen Affären, was sich als eine Art Leitmotiv durch Engs Roman zieht. Denn nicht nur, dass sich das Haus der Türen als Ort einer solchen Affäre entpuppt – alle drei Hauptfiguren des Romans sind in mal heimlicher und mal offener gelebte Affären verstrickt. Da passt es ins Bild, dass eine vierte Affäre, die im Zentrum der schon fast an middle brow-Krimis erinnernde Handlung steht, dann zur Inspiration des schreibkriselnden William Somerset Maugham wird.

Tan Twang Eng auf den Spuren William Somerset Maughams

Das Haus der Türen erzählt von diesem Schriftsteller und seinen Sorgen und Nöten ebenso, wie Engs Roman die Lebenssituation der britischen Expats dort in Malaysia in den Blick nimmt, bevor dann mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs der Zugriff der Engländer auf Penang und ganz Malaysia enden sollte.

Zwar mögen Lesley und ihre Erlebnisse hier nur literarische Fiktion sein. Die Inspiration von William Somerset Maugham durch diese Geschichte hin zu seinem Werk Der Kasuarinenbaum allerdings ist belegt. Der gleiche Schöpfergeist, der Somerset Maugham bei seiner Umarbeitung der erzählten Geschichte von Lesley beseelte, auch Tan Twan Eng stellt ihn mit diesem 2023 für den Booker Prize nominierten Roman aus. Seine literarische Ausdeutung der Episode aus dem Leben William Somerset Maughams atmet den Geist von dessen Geschichten, ist aber auch ein eigenständiges Werk, das zudem mit einer schönen Randnotiz aufwartet.

Denn ebenso wie die Engländer aus Malaysia vertrieben wurden, geschah es auch Somerset Maugham Jahre schlussendlich mit seinem Erzählungsband, dessen Entstehung im Roman geschildert wird. Seine Schilderungen des Lebens und der Gesellschaft dort warfen ein zu unvorteilhaftes Bild auf jene Gemeinschaft, die sich nicht nur ihres Lebensstils, sondern kurz zuvora auch der Bücher Maughams in ihren Bibliotheken rühmte, ehe der gefeierte Schriftsteller zu ihnen stieß und ihre Leben in Literatur verwandelte.

Fazit

Tan Twan Eng gelingt das Kunststück dieser Verwandlung ebenfalls. So lässt Das Haus der Türen das Leben und Lieben dort in Malaysia in den 1910er und 20er Jahren noch einmal auferstehen und sorgt so auch dafür, dass man auch hierzulande wieder wahrnimmt, wer William Somerset Maugham war und was sich literarisch mit seinem Werk wiederentdecken lässt.


  • Tan Twang Eng – Das Haus der Türen
  • Aus dem Englischen von Michaela Grabinger
  • ISBN 978-3-7558-0018-7 (Dumont)
  • 352 Seiten. Preis: 24,00 €
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