Thomas Knüwer – Das Haus in dem Gudelia stirbt

Wenn Fluten steigen, dann stellt das nicht nur die Kraft der Natur eindrücklich unter Beweis. Oftmals bringt ein Hochwasser auch zahlreiche Dinge ans Tageslicht, und es seien es auch nur Versäumnisse, die beim Hochwasserschutz gemacht wurden. Im Falle von Thomas Knüwers Debüt Das Haus in dem Gudelia stirbt ist es sogar ein Geheimnis der Vergangenheit, das nun im Zuge einer Überschwemmung ans Tageslicht kommt.


Drei Zeitebenen hat sich Thomas Knüwer für seinen Roman als erzählerisches Grundfundament genommen. So schichtet er Schilderungen aus den Jahren 1984, 1998 und 2024 zu einem Roman zusammen, die über die 40 Jahre hinweg das Bild von Vertuschungen und Lügen zementieren.

Alles beginnt in Knüwers Roman mit Ereignissen im Jahr 2024, die auf fatale Weise an jene Ereignisses erinnern, die hier im Augsburger Umland Anfang Juni für bundesweite Schlagzeilen sorgten. Überraschend waren hier in einem Extremwetterereignisse binnen weniger Stunden Flüsse über die Ufer getreten und sorgten für überschwemmte Städte und Dörfer, unpassierbare Straßen und Brücken. Die Donau wurde zu einem reißenden Fluss, die Städte wie Günzburg oder Offingen in Teilen verwüstete. Auch bei Thomas Knüwer ist es dieser Fluss, der dem kleinen Städtchen Unterlingen Verwüstung und Chaos bringt.

Gudelia bleibt

Thomas Knüwer - Das Haus in dem Gudelia stirbt (Cover)

Während die Polizei die Bewohner*innen der Häuser evakuiert, versteckt sich die 81-jährige Gudelia in ihrem Haus. Die Mieter der unteren Wohnung haben sich längst in Sicherheit gebracht, Gudelia allerdings bleibt. Warum die Seniorin ihr Zuhause nicht aufgeben will, das klärt sich im Laufe des Romans genauso wie eine Beobachtung, die sie während ihrer Wache im Haus macht. Denn als sie nachts mit der Taschenlampe die steigenden Fluten kontrolliert, wird sie Zeugin, als zwei Leichen an ihrem Haus vorbeigeschwemmt werden. Deren Hände sind mit Kabelbinder auf die Rücken gefesselt. Als die Flut dann wieder verschwunden ist, will die Polizei Gudelia diese Beobachtung aber nicht glauben.

Was hier passiert ist, enthüllt Thomas Knüwer im Lauf seines Buchs ebenso wie die Gründe für die enge Bindung Gudelias an ihr eigenes Zuhause. Denn diese übertrieben, scheinbar schon fast manische Verhaltensweise hat eine Vorgeschichte, die nun durch das Hochwasser zum Vorschein kommen. Durch die zeitlich früher gelagerten Erzählschichten wird allmähliche die Motivation klar – und enthüllt ein Bild Gudelias, das trotz aller Zitate von Gebeten und Kirchenliedern nicht unbedingt fromm ist, geschweige denn so hilflos, wie es zunächst den Anschein hat.

Stabilität und Solidität – und ihr Ende

Alkoholismus, ein Mord und verzweifelte Mutterschaft spielen in Das Haus in dem Gudelia stirbt eine große Rolle. Souverän trägt Thomas Knüwer seine Schichten ab, wenngleich die größte Pointe dieses Buchs vielleicht schon etwas früh preisgegeben wird, wenn Knüwer in der Mitte des Buchs zeigt, warum Gudelia so sehr um die Stabilität und Solidität ihres Hauses bemüht ist.

„In dem Haus ist mein ganzes Leben.“

Er schnaubt. „In dem Haus ist dein ganzes Leid.“

Ohne ein weiteres Wort dreht er sich um und geht. Ich bleibe zurück, sehe ihm hinterher. Der Himmel zieht zu.

Wir haben beide recht.

Thomas Knüwer – Das Haus in dem Gudelia stirbt, S. 214

Sein Roman ist voller starker Bilder. Das Haus mit seinen Rissen als Zeichen des Kontrollverlust Gudelias ist dabei vielleicht schon etwas arg überdeutlich, dafür aber sind die Schilderungen aus dem verdreckten Haus nach dem Rückgang der Flut oder Bilder des Friedhofs, der von Schweinekadavern übersät ist, umso gelungener. Alles hier löst sich langsam auf. Die Struktur des Ortes, die Grundfesten ihres Hauses und die von Gudelias Leben.

Fazit

Wird der eingestreute Kriminalfall der mit Kabelbinder gefesselten Leichen vielleicht auch etwas schnell abgehandelt (wenn er denn überhaupt notwendig ist), und auch das schlussendliche Schicksal von Gudelias Mann ist in der Gesamtanlage des Romans vielleicht etwas überhastet. Dennoch aber ist Thomas Knüwers Das Haus in dem Gudelia stirbt in Sachen Konzeption und origineller Idee wirklich gelungen. Sein Roman ist ebenso das Bild einer Seniorin mit Geschichte, eines großen Verlustes und einer zerrütteten Ehe, wie das Buch auch mit seiner nachvollziehbar komponierten Geschichte als Grenzgänger zwischen Krimi und Roman überzeugen kann.

Einzig und allein ein Komma für den Relativsatz im Titel hätte das Lektorat diesem Buch noch spendieren dürfen. Ansonsten gibt es bei diesem Debüt wenig zu meckern und umso mehr zu entdecken in diesem von der Flut gekennzeichneten Unterlingen. Hier wird so einiges wieder ans Tageslicht gespült!


  • Thomas Knüwer – Das Haus in dem Gudelia stirbt
  • ISBN 978-3-86532-882-3 (Pendragon)
  • 280 Seiten. Preis: 20,00 €
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