William Boyd ist wieder da. Zuletzt schilderte er in Die Fotografin die Lebensgeschichte der fiktiven Fotografin Amory Clay. Nun hat er den Verlag gewechselt und ist anstelle des Berlin-Verlags im Kampa-Verlag heimisch geworden. Ein kleiner Coup, der Daniel Kampa und seinem Team da gelungen ist.
Inhaltlich bleibt sich William Boyd treu und stellt erneut ein ganzes Menschenleben in den Mittelpunkt. Diesmal heißt sein Protagonist Brodie Moncur, den man von den Jugendjahren bis zur Bahre begleitet. Er übt den Beruf des Klavierstimmers aus. Zwar sieht Brodie nicht besonders gut, umso schärfer ist aber sein Gehör, das sogar absolut ist. Kleinste Abweichungen von der Norm erfasst er intuitiv – was ihn natürlich zum perfekten Klavierstimmer macht.
Er zeigt in seinem Beruf großes Geschick und wird in der Folge aus seiner schottischen Heimat nach Paris entsandt. Dort soll der der lokalen Filiale eines Klavierherstellers unter die Arme greifen. Doch alles kommt natürlich anders als geplant – und so findet sich Brodie bald im Gefolge des Klaviervirtuosen John Barron wieder. Für diesen soll er seine Flügel vor den Auftritten stimmen und kalibrieren und so die Bühne für das Brillieren des Meisters bereiten.
Schnell wird Brodie zum unersetzlichen Adlatus des ebenso genialen wie menschlich schwierigen Pianisten. Die größte Anziehung übt auf ihn allerdings nicht Killbarron selbst, sondern dessen Lebensgefährtin Lika aus. Diese ist eine russische Sopranistin, der Brodie schon bald verfällt. Beide beginnen eine leidenschaftliche Affäre, die sich als verhängnisvoll erweist.
Ein guter Unterhaltungsroman – und sonst so?
Chronologisch erzählt William Boyd in Blinde Liebe die Geschichte seines Helden Brodie Moncur. Boyd ist natürlich ein erfahrener Erzähler, der weiß, wie er seine erzählerischen Bögen gestalten und ausschmücken muss. Man liest die über 500 Seiten starke Biografie Brodie Moncurs und wird gut unterhalten – mehr aber auch nicht. Denn für alles andere ist der Roman zu konventionell gehalten.
Der neue Titel von William Boyd fällt für mich in die Kategorie Flutschbuch. Es ist flüssig zu lesen, unterhält – aber von der Lektüre bleibt bei mir nicht viel zurück. Denn die Widerhaken in Boyds Geschichte fehlen. Jene Widerhaken wie interessante Persönlichkeiten, besondere ausgestaltete Konflikte oder eine große Tiefe – sie gehen der etwas bräsig gestalteten Geschichte leider ab.
Man muss konstatieren, dass Blinde Liebe ein Porträt ist, das mit grobem Pinsel gemalt ist. Für William Boyd steht die Unterhaltung im Vordergrund, was absolut legitim ist. Dadurch fehlt aber eben jene Metaebene, die meiner Meinung nach Literatur zu großer Literatur macht. Dieses Fehlen macht sich aber nicht nur in diesem Buch bemerkbar, generell ist das charakteristisch für das literarische Oeuvre Boyds.
William Boyd ist für mich ein geschickter Grenzgänger der Lager E und U. Auf dieser Grenze zu wandeln ist eine Kunst für sich, die Boyd sehr gut beherrscht. In meinen Augen bedeutet das nur leider zumeist, dass der Handlung vor der Ausgestaltung der Figuren der Vorzug gegeben wird. So bleibt Brodie Moncur trotz totaler Fokussierung etwas blass und wird in meinem Fall nach ein paar Dutzend Büchern später auch so blass in eminen Erinnerungen zurückbleiben.
Für mich hätte es nur schon noch etwas mehr an Nuancen, Zwischentönen und vielschichtigeren Charakteren sein dürfen. Wer von Büchern dafür eher einen ausschweifenden Handlungsbogen mit viel Effet erwartet, der wird hier auf alle Fälle glücklich.
Blinde Liebe ist ein gut gemachter Unterhaltungsroman. Nicht mehr, und nicht weniger.
[…] wirkende Kraft der Musik in Zeilen bannt. Das überzeugt und ist besser gelungen als zuletzt bei William Boyd, der sich an einem ähnlichen Thema […]