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Liz Jensen – Die da kommen

Kein Kinderspiel

Wenn Kinder zu Mördern werden – diesen Gedanken spielt Liz Jensen in ihrem zweiten auf deutsch bei dtv-premium erschienenen Roman „Die da kommen“ auf beängstigende Art und Weise durch.
Irgendwo zwischen Dystopie, Krimi und Phantasy angesiedelt erzählt die Engländerin von Hesketh, einem Mann, der ebenso ungewöhnlich wie sein Vorname ist.
Als Anthropologe mit Asperger-Syndrom reist er im Auftrag seiner Firma eine Serie von scheinbar widersprüchlichen Sabotageakten aufdecken. Mehrere Menschen haben offenbar ohne Grund ihre Arbeitgeber an den Rande des Ruins gebracht und anschließend versucht, sich selbst umzubringen.
Und wie der manische Hesketh schon bald herausfindet, sind diese Taten nur der Auftakt zu einer Pandemie unter Kindern, die sich gegen ihre Eltern wenden und diese umbringen.

Wie das Cover schon suggeriert, wird hier nicht mit Details gegeizt. Jensen beschreibt die Taten der Kinder auf erschreckende Art und Weise, wobei nicht die Taten sondern der Grundgedanke hinter diesem Verhalten schockierend sind.
Sie zeigt, wie ohnmächtig wir eigentlich einer solchen Katastrophe gegenüberstehen und wie wenig wir reagieren könnten. Das macht „Die da kommen“ zu einer ungewöhnlichen Dystopie, die sich eher auf Beschreibung denn auf Spannung konzentriert.

Das Buch ist deshalb auch in meinen Augen weniger als Krimi oder als Thriller zu lesen, vielmehr ist es eine packende Vision einer Welt, in der die Kinder in einer eigenen Welt leben und sich gegen die Erwachsenen erheben. Eine Roman, der nicht mit Antworten aufwartet, sondern dem Leser selbst die Bewertung und Einordnung überlässt.

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Robert Wilson – Stirb für mich

Spannung trotz irreführendem Titel & Klappentext

Bitte machen Sie nicht den Fehler und lassen Sie sich von dem Titel oder dem Klappentext dieses Buches täuschen. „Stirb für mich“ von Robert Wilson mutet zwar zu Beginn wie der hundertste Aufguss eines Entführungsthrillers an, entwickelt sich aber schnell zum undurchschaubaren Spiel zwischen verschiedenen Parteien, Charakteren und einer famosen Hatz, die mich fesseln konnte.

Mag es auch vorgeblich um die Entführung der Industriellen-Tochter Alyshia D’Cruz und die Unternehmungen des Ex-Militärs Charles Boxer gehen, sie zu befreien – „Stirb für mich“ führt schnell eine Vielzahl von Protagonisten und Gruppen ein, die ihr Interesse an Alyshia und ihrem Vater Frank D’Cruz haben. Das erfordert vom Leser einige Aufmerksamkeit, liest sich aber interessanter als der nächste Abklatsch eines platten Kidnapping-Krimis.

Was sich schon im grandiosen Sevilla-Quartett Wilsons andeutete, führt er auch in „Capital Punishment“ (so der viel treffendere Originaltitel) fort. Geheimdienste und ihre klandestinen Operationen bekommen genauso ihren Platz im Buch wie interessant Exkurse über Terror und das moderne Indien. All das macht das Buch in meinen Augen sehr lesenswert und überzeugt dank der Schreibe Wilsons und seinem Talent, die komplizierte Welt da draußen nicht unnötig einfach machen zu wollen.

Etwas überrascht war ich aber trotzdem schon: Einer der laut New York Times „besten Thrillerautoren der Welt“ legt ein neues Werk vor und das Interesse ist dabei verschwindend gering? Zugegeben, wer glaubt noch irgendwelchen Lobpreisungen, die von Kollegen oder Zeitungsredaktionen über Autoren ausgeschüttet werden?
Bei Robert Wilson finde ich die Vorschusslorbeeren allerdings ausnahmsweise einmal gerechtfertigt, schließlich war er ja bereits mehrere Male auch für die Dagger-Awards, also die britischen Buchpreise für Kriminalliteratur, nominiert. Auch „Stirb für mich“ ist wieder für einen Dagger nominiert – und das meiner Meinung nach völlig zu Recht.

Ein vielschichtiges Buch mit einigen Strängen, die erfordern, dass der Leser einen Überblick über die Protagonisten behält, und ein Einblick in das heutige Indien. Spannung ist definitiv vorhanden, auch wenn sich der deutsche Verlag den nichtssagenden Titel und den unglücklich formulierten Klappentext hätte schenken können. Außergewöhnlich gut!

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Arturo Perez-Reverte – Dreimal im Leben

Der Zauber des Vergangenen

Arturo Perez-Reverte vermengt in seinem Roman „Dreimal im Leben“ Schach, Begehren, Spionage und Tango zu einer 500 Seiten starken Erzählung, die nicht immer zu fesseln weiß.
Wie in einem alten, sepia-vergilbten Foto fühlt man sich während der Lektüre und beobachtet die Charaktere in mondäner Umgebung beim Schachspiel, Tango tanzen oder lieben.

Perez-Revertes Max Costa ist ein Charmeur und Gentleman-Dieb der ganz alten Schule, der sich als Eintänzer auf einem Schiff verdingt hat, ehe er einen sozialen Abstieg hinlegte und nun als Chauffeur sein täglich Brot verdienen muss. Man beobachtet ihn bei seinen Streifzügen durch die Côte d’Azur, die Schweiz und an Bord der Cap Polonio, bei denen er Mecha Izunza de Troeye begegnet und sich verliebt. In der Folge verlieren sie sich wieder aus den Augen – doch wie der Titel des Romans schon suggeriert wird es nicht ihre letzte Begegnung gewesen sein.

Bei allen Vorschusslorbeeren und der Bezeichnung als der Liebesroman durch die Zeitung El Mundo: So ganz kann ich mich diesen Lobpreisungen nicht anschließen:
Zwar sind die Themen durchaus klug gewählt, doch leider ergeht sich Perez-Reverte zu häufig in Oberflächlichkeiten und beschreibt das Äußerliche seiner Charaktere, ohne ihnen immer Tiefe zu verleihen. Das Schlagwort „Form vor Funktion“ hat der spanische Autor wirklich verwirklicht.
Die Kleidung und das Benehmen in all ihren Feinheiten werden ausführlichst beschrieben und nehmen für mein Empfinden einen zu großen Platz ein.
Die Elemente der Erzählung erscheinen einzeln für sich stimmig, doch leider hat der Roman eine deutliche Unwucht. Seitenweise Einführungen über die Genese des Tangos oder bestimmte Finten beim Schachspiel sind nicht dazu angetan, den Leser zu fesseln. Auch die Spionagegeschichte, die Arturo Perez-Reverte kurz in seine Erzählung einwebt, mag nicht ganz zum restlichen gediegenen Teil des Romans passen. Diese Passagen hätte ein William Boyd wesentlich gekonnter gestaltet.

So bleibt bei mir der Leseeindruck eines Romans zurück, der für Liebhaber des Tangos oder Schachfreunde interessanter sein dürfte als für Leser, die eine bunte Liebesgeschichte erwarten. Gekonnt vermittelt Arturo Perez-Reverte in „Dreimal im Leben“ das Flair des 19. Jahrhunderts in Europa und Hispanoamerika – doch das reicht nicht, um den Roman zu einem runden Leseerlebnis werden zu lassen.

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Thomas Raab – Der Metzger kommt ins Paradies

Dieser Urlaub ist die Hölle

Das der Traumurlaub schnell zum Horrorurlaub mutieren kann, diese Erfahrung muss der Wiener Kunstrestaurator Willibald Adrian Metzger in seinem sechsten Abenteuer machen.

Dabei ist der Metzger überhaupt kein Freund von Reisen und von Urlaub und so muss ihn seine Freundin Danjela auch mehr oder minder entführen, damit sie mit ihrem Liebsten am italienischen Strand liegen kann. Dort lässt das Verbrechen aber auch nicht lange auf sich warten und schon stolpern der Metzger und seine Danjela in einen Kriminalfall, der einem Crescendo gleich immer blutiger und böser wird.
Da sind Leichen mit fehlenden Augen und verbuddelte Hunde noch das kleinste Übel, denn auch am italienischen Strand lauern grausame Verbrechen und der Metzger kommt nicht umhin sich einzumischen …

Wer an Wolf Haas‘ „Silentium“ seine Freude hatte, der dürfte auch bei diesem Krimi nichts falsch machen. Wie auch Haas setzt Thomas Raab in seinem Krimi auf sprachliches Niveau und subtil daherkommende Grausamkeiten.
„Der Metzger kommt ins Paradies“ ist nicht unbedingt leicht zu lesen, schließlich ist Raab Österreicher und als solcher, ähnlich wie Wolf Haas oder Heinrich Steinfest, in die Sprache und ihre kuriosen Blüten verliebt. Jeder Charakter redet mit eigener dialektonalen Färbung, Dialoge nehmen einen großen Teil des Buches ein und auch der Erzähler neigt durchaus zu Geschwätzigkeit.

Es ist dem schriftstellerischen Talent Raabs zu verdanken, dass er sich in seinen ganzen Charakteren nicht verheddert sondern zum Ende hin dem Buch noch eine klare Stoßrichtung gibt, die so gar nicht zur Urlaub, Sonne und Strand passen mag.
Wer die Spannung in diesem Roman sucht, muss deshalb einen langen Atem beweisen, abgesehen davon vermag das Buch aber zu überzeugen und stellt eine ausgewogene Balance aus Humor, anspruchsvoller Sprache und Spannung dar.

Wer dieses Jahr nicht mehr an einen italienischen Strand zum Urlaub fährt, kann dieses Buch getrost in sein Gepäck packen, allen anderen wird eine Lektüre zu einem späteren Zeitpunkt anempfohlen!

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Dinah Marte Golch – Wo die Angst ist

Holzschnittartiger Krimi

Zugegeben: Der Tatort „Nie wieder frei sein“ mit den Münchner Kommissaren Batic und Leitmayer, zu dem Dinah Marte Golch das Drehbuch verfasst hat, ist grandios. Und auch ansonsten hat die Autorin schon mit zahlreichen Drehbüchern bewiesen, dass sie Spannung erzeugen kann.
Leider klappt das in Buchform noch überhaupt nicht, wie „Wo die Angst ist“ mehr als deutlich aufzeigt.
Kurz vor Weihnachten wird im verschneiten und kalten Potsdam ein türkischer Schüler ins Koma geprügelt – und dank eines Zeugen weisen alle Spuren schon bald ins rechtsradikale Milieu.
Der forsche Kommissar Sigi Kamm ermittelt in dem Fall und bekommt es dabei recht bald wider Willen mit der Psychologin Alicia Behrens zu tun. Diese beiden müssen sich zusammenraufen, um den Fall um den türkischen Schüler zu lösen und die widersprüchlichen Spuren zu entwirren.
Es hätte so schön werden können: Ein unkonventionelles Ermittlungsduo, ein spannender Fall und ein Blick in das rechtsradikale Milieu verknüpft mit einem tollen Sprachstil.
Leider zündet alles nicht so richtig – zu starr ist das Schema, das dem Buch zugrundeliegt, zu holzschnittartig die Charaktere, die das Buch bevölkern.
Man merkt dem Buch deutlich an, dass Dinah Marte Golch durchaus Szenarien zu schildern weiß, dennoch sind kommt das Buch nicht richtig in Fahrt.
Wie in einem durchschnittlichen „Tatort“ beschränkt sich die Frage nach dem Täter auf ein beschränktes Figurenensemble und auch so etwas wie Spannung kommt eigentlich nie auf. Aus verschiedenen Perspektiven wird die Suche nach dem Täter beschrieben, doch leider verläuft die Spannungskurve trotz gelegentlicher dramaturgischer Kniffe zu flach ab.
Somit schöpft sie das Potenzial, das in ihrer Geschichte steckt, in keinster Weise aus und auch die Szenen mit den Neonazis, die durchaus spannungsreich hätten gestaltet werden können, sind eigentlich nur dramaturgisches Beiwerk – die Wirkung dieser Szenen verpufft wie eine Seifenblase.
Für mich steht nach diesem Buch erneut die Erkenntnis, dass Drehbuchautoren nicht automatisch auch gute Buchautoren sind. Diesem Buch geht eindeutig die Plastizität der Handelnden ab und lässt ein Grundmaß an Spannung vermissen. Die euphorischen Stimmen der Fernsehschaffenden auf dem Klappentext kann ich in dieser Form leider nicht nachvollziehen.
Bei allem Respekt für die Drehbücher von Dinah Marte Golch: Um mich zu überzeugen, müsste sie sich mit ihrem zweiten Band um den Kommissar Sigi Kamm und Alicia Behrens noch gewaltig steigern!
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