J. Todd Scott – Diese Seite der Nacht

War on drugs im Big Bend County. In seinem mittlerweile dritten Roman Diese Seite der Nacht lässt J. Todd Scott korrupte Spezialeinheiten, alternde Kartellbosse und brutale Todesfälle im amerikanisch-mexikanischen Grenzland aufeinander treffen. Mittendrin das Team um den Sheriff Chris Cherry, dessen berufliche Zukunft zudem alles andere als sicher ist.


Auch wenn Neuigkeiten aus Mexiko hierzulande keinen großen Platz im Nachrichtengeschehen einnehmen, so ließen die Ereignisse im September 2014 doch weltweit aufhorchen und schafften es auch in unsere Nachrichten.

An einem regnerischen Abend im September 2014 wurden mehrere Busse mit Studenten der Hochschule Escuela Rural „Raúl Isidro Burgos“ aus dem mexikanischen Ayotzinapa von Bewaffneten – darunter mutmaßlich mehrere Angehörige der lokalen Polizei – mit automatischen Waffen unter Beschuss genommen; der Anschlag ereignete sich in der Kleinstadt Iguala, 120 Meilen südwestlich von Mexiko-Stadt.

Bei dem Angriff, der sich über mehrere Stunden hinzog, starben drei Studenten – der jüngste war fünfzehn – dreiundvierzig weitere wurden aus den Bussen in wartende Polizeifahrzeuge getrieben und weggebracht.

Seitdem hat man sie nicht mehr lebend gesehen.

J. Todd Scott – Nachwort zu: Diese Seite der Nacht, S. 497

Dieser besonders brutale Exzess im an Gewalt und Morden gewiss nicht armen Kartellkrieg Mexikos, er führte zu einem weltweiten Aufschrei, der allerdings auch schnell verhallte. Ermordete Kartellmitglieder, gestorbene Drogenkuriere, sie sind traurigerweise schon so etwas wie die Begleitumstände des War on drugs, den Richard Nixon 1972 ausrief und der seither tausenden von Menschen dies- und jenseits der amerikanisch-mexikanischen Grenze das Leben gekostet hat.

Verschwundene Studenten, untergetauchte Kartellführer und korrupte Spezialeinheiten

J. Todd Scott - Diese Seite der Nacht (Cover)

Doch die Brutalität und die Unverfrorenheit, mit der hier junge Studenten teilweise sogar von Gesetzeshüter ermordet und zum Verschwinden gebracht wurden, er war doch noch einmal eine neue Eskalationsstufe in diesem Krieg, der nur Verlierer kennt.

J. Todd Scott ist selbst DEA-Agent und kennt die Situation an der dortigen Grenze aus eigener Erfahrung. Schon zwei Krimis hat er über die Situation dort verfasst (Die weite Leere 2021, Weiße Sonne 2023). Angesiedelt sind sie allesamt im fiktiven Big Bend County, das direkt an Mexiko grenzt und dessen Gesetzeshüter die Auswirkungen der Drogenepidemie und Gewaltepidemie aus erster Hand kennen und bereits mehrfach am eigenen Leib gespürt haben.

In Diese Seite der Nacht ist das nicht anders. Hier bekommt es das Team um den mittlerweile zum Sheriff aufgestiegenen Chris Cherry mit einem brutalen Fünffach-Mord am Rio Grande zu tun. Die Leichen der Männer scheinen in Verbindung mit Drogengeschäften zu stehen. Drogengeschäften, mit denen der alte Kartellführer Juan Abrego alias „Fox Uno“ sein Leben lang zu tun hatte.

Das von ihm geleitete Nemesio-Kartell konkurriert mit einem anderen Kartell um die Vorherrschaft dort im Grenzland – doch nun scheint ihm jemand nach dem Leben zu trachten. Denn bei einem brutalen Anschlag auf Bussen mit Studenten an Bord scheinen alle Spuren auf ihn als Drahtzieher zu weisen. Doch er hat die aufsehenerregenden Morde nicht in Auftrag gegeben und wählt die Flucht in den Untergrund, als immer mehr seiner Vertrauten um ihn herum verschwinden und er auf eine Abschussliste geraten zu sein scheint.

Der war on drugs im Big Bend County

Als Aufenthaltsort erwählt er sich ausgerechnet das Städtchen Murfee im Big Bend County, dessen Schutz dem Sheriff Chris Cherry obliegt. Und ob damit nicht genug der Probleme herrschten, so wird Cherry in seinem Amt als Sheriff auch noch herausgefordert. Er, der mit seinem Amt fremdelt, seit er es im ersten Band der Serie übernommen hat, um es besser als sein zu machen, er muss sich mancher moralischer und kriminalistischer Prüfungen unterziehen.

Besonders mit den Kollegen einer anderen Polizeieinheit bekommt er es dabei zu tun. Denn deren Aufklärungsraten sind so überragend, dass weder Chris, noch der in El Paso ansässige DEA Agent Joe Garrison glauben, dass dort alles mit legalen Mitteln zugeht.

Und so kommt es nun im Big Bend County zum einem Gegeneinander von untergetauchtem Kartellboss, Ermittlungsbehörden, aufstrebenden Gangstern, korrupten Ermittlern und einigen Figuren mehr – die J. Todd Scott mit bewundernswerter Übersicht durch die Handlung lotst.

Wieder einmal besticht Scotts Roman durch seine Komposition, in der er zwar viele verschiedene Stränge aufmacht und nebeneinander herlaufen lässt, diese aber dann in einem nicht anders als episch zu nennenden Shootout dort im Nirgendwo schlüssig zusammenführt. Dazu arbeitet der schreibende DEA-Agent auch noch mit Zeitebenen und unterschiedlichen Perspektiven, ohne dass die Übersichtlichkeit dabei verloren ginge.

Neben dem souveränen Umgang mit Handlung und Figuren besticht auch in Diese Seite der Nacht wieder die moralische Komponente. Immer wieder geraten seine Figuren in Entscheidungsdilemmata und überschreiten die zuvor so klar scheinenden Grenzen zwischen Recht und Unrecht. Anrührend das Schicksal von Figuren, denen Scott immer Ambivalenzen zugesteht und die auch die Brutalität der Handlung immer wieder ausgleicht und eine emotionale Tiefe in die Handlung bringt, die vergleichbare Krimis nicht immer aufweisen können.

Fazit

Diese Seite der Nacht sensibilisiert für das Geschehen im amerikanisch-mexikanischen Grenzland, das im Diskurs und der Berichterstattung immer wieder auf einfache Slogans und unterkomplexe Betrachtungen verkürzt wird. Sein Roman zeigt die Komplexität der Machtverhältnisse und Moral dort, bei der nicht nur geografisch immer wieder Grenzen überschritten werden. Ein großartiger, ambitionierter und von großer Übersicht getragener Thriller, der den war on drugs und seine Implikationen besser verstehen lässt und der dabei hervorragend unterhält!


  • J. Todd Scott – Diese Seite der Nacht
  • Aus dem amerikanischen Englisch von Harriet Fricke
  • ISBN 978-3-910918-20-7 (Polar Verlag)
  • 505 Seiten. Preis: 26,00 €
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