Liest man das Debüt der 1991 geborenen Irin Louise Nealon, könnte man sich in die Hochphase der 90er Jahre zurückversetzt fühlen, als die Highschoolkomödien amerikanischer Prägung boomten. Denn auch bei Louise Nealon kommt eine junge, unerfahrene Frau vom Land in die Großstadt, um dort zu studieren. Zum universitären Leben mitsamt seiner ganzen Verhaltenscodes und all den coolen Studenten findet sie nicht wirklich Zugang, schließt dann aber doch mit einer Gleichgesinnten Freundschaft, datet Männer, verliebt sich und erfährt dabei auch viel über sich.
Doch statt auf einem Campus in den USA spielt Snowflake im Irland unserer Tage. Die Universität ist das Trinity College und Debbie, so der Name der Ich-Erzählerin, entstammt einem Milchviehbetrieb in der Region Kildare, zu dem sie eine enge Bindung hegt.
Das Setting, der Erzählton und die Anlage des Romans weckt dabei viel Erinnerungen an Benedict Wells großen Romanerfolg Hard Land, erleben doch beide Figuren innerhalb kurzer Zeit viele Umbrüche und entdecken einige Geheimnisse – Liebe und Sexualität inklusive. Beide jungen Menschen werden mit Tod und Sterben, der Frage von innerfamiliärem Zusammenhalt und der Ausrichtung des eigenen Lebens konfrontiert. Und noch dazu ist der leichte, manchmal fast etwas ins harmlos Plaudernde abgleitende Erzählton gemein – und ebenso wie bei Hard Land dürfte die Zielgruppe für Snowflake auch schon im Jugendalter beginnen.
Doch zunächst einmal zum Inhalt von Louise Nealons Erzählung. Denn in dieser bekommt es Debbie mit den Tücken des universitären Lebens und dem Geheimnis ihrer eigenen Herkunft zu tun.
Studentenleben in Irland
Zusammen mit ihrer Mutter lebt sie auf der familieneigenen Farm. Nebenan in einem Trailer wohnt ihr Onkel Billy, der die Familie etwas zusammenhält. Denn Debbies Mutter leidet an schwersten Depressionen, kann tagelang das Bett nicht verlassen – und auch ihren eigenen Vater kennt Debbie nicht, war ihre Mutter in ihren Jugendjahren doch reichlich promiskuitiv unterwegs, sodass ziemlich viele Männer als potentielle Väter in Frage kommen könnten.
Nun aber will sie an der Universität ein neues Kapitel ihres Lebens aufschlagen. Zwar bleibt sie weiterhin auf dem elterlichen Hof wohnen und pendelt mit dem Zug zum Trinity College, aber mit neuen Freund*innen und akademischen Herausforderungen hofft sie ihrem Leben einen entscheidenden Impuls zu verleihen.
Heute ist mein erster Tag an der Uni, und ich habe den Zug verpasst. Billy war sich ganz sicher, dass ich ihn noch kriege. Er hat zu lange mit dem Melken gebraucht und konnte mich erst danach zum Bahnhof fahren. Also komme ich jetzt zu spät. Wozu, weiß ich allerdings nicht so genau. Ich brauche Freunde, aber bis zum Mittag sind bestimmt schon alle guten weg. Es ist Orientierungswoche, und ich habe Collegefilme gesehen – wenn ich an der Uni meine zukünftig beste Freundin oder meine große Liebe treffe, dann am ersten Tag.
Louise Nealon – Snowflake, S. 16
Ihre Befürchtungen stellen sich dann teilweise als berechtigt heraus. Die universitären Codes und die des Studentenlebens, all das mag sich Debbie mit ihrer ländlichen Sozialisation und Prägung nicht wirklich erschließen. Nur in der forschen Xanthe findet Debbie eine Freundin, mit ihr bei allem Hilfestellung gibt, was man als Studentin ebenso tut. Diskussionen, Partys, Datinghilfe und mehr, all das erlebt Debbie in zunehmenden Maße.
Schwierig wird das neue Leben allerdings, da die Probleme zuhause überhandnehmen und ihre Mutter immer tiefer im schwarzen Schlund der Depression versinkt. Besonders als deren Freund genau auf die gleiche Art und Weise stirbt, wie Debbie dies zuvor geträumt hat, löst das schwere Erschütterungen aus.
Ein leichter Roman mit Schwere
Louise Nealon gelingt es auf leichte Art und Weise von ihrer Heldin Debbie zu erzählen, gleichzeitig aber auch der Schwere in Form der Depression der Mutter und dem Suchen nach dem eigenen Platz im Leben Ausdruck zu verleihen. Dabei macht der einfache Erzählton des Ganzen das Buch auch schon für Jugendliche interessant, die sich sicherlich mit Debbie und einigen ihrer Sorgen und Nöte identifizieren dürften.
In seiner Erzählweise ist das freilich nicht radikal, sondern eher brav. Und doch bereitet die Lektüre von Snowflake Freude. Man streift gerne mit Debbie durch Dublin, lernt ihren Blick auf die irische Gesellschaft und das Stadt- und Landleben kennen und wird noch einmal ins eigene Studentenleben zurückversetzt. Das weckt durch den Blick auf die Millenialgeneration natürlich Assoziationen zu einer anderen jungen irischen Autorin, die als Stimme dieser Generation gilt, nämlich Sally Rooney.
Fazit
Nebeneinandergestellt würde ich im direkten Vergleich allerdings Louise Nealons Debüt den Vorzug geben, gelingt ihr doch ein runder Roman, der gekonnt die Balance zwischen Schwere und Leichtigkeit, Humor und Ernst findet. Eine junge Stimme aus Irland, die ich aus obigen Gründen auch mit Benedict Wells in eine literarische Beziehung bringen würde und die schon für jugendlicher Leser*innen interessant sein dürfte. Schön, dass uns der Mare-Verlag dieses Debüt zugänglich gemacht hat und die Übersetzung Anna-Nina Kroll anvertraut hat, die schon bei Anna Burns bewiesen hat, wie gut sie irische Stimmen ins Deutsche bringen kann. Ein gelungener Einstand!
- Louise Nealon – Snowflake
- Aus dem Englischen von Anna-Nina Kroll
- ISBN 978-3-86648-660-7 (Mare)
- 352 Seiten. Preis: 24,00 €