Nirit Sommerfeld – Beduinenmilch

Während die Debatte um das Vorgehen der israelischen Regierung im Gazastreifen heiß läuft und die erschütternden Bilder von dort fast jeden Tag zu neuen Diskussionen führen, kommt dieses Debüt der deutsch-israelischen Autorin Nirit Sommerfeld zur genau rechten Zeit. Denn Beduinenmilch gibt Einblicke in das tägliche Leben und Miteinander in Israel auf israelischer wie palästinensischer Seite . Damit liefert der Roman damit einen wichtigen Beitrag für Verständnis und Versöhnung und damit genau das, was dem Konflikt dort im Nahen Osten gerade so sehr fehlt.


Können Bücher die Welt besser machen? Ich meine eher nein, wie ich es in diesem vor fünf Jahre erschienenen Artikel schon einmal dargelegt habe. Wobei uns die Literatur aber helfen kann, ist ein besseres Verständnis für die Welt und ihre Bewohner*innen zu entwickeln. Geradezu ein Paradebeispiel für diese These liefert der Roman Beduinenmilch der Schauspielerin und Sängerin Nirit Sommerfeld, die damit ihr literarisches Debüt im ars vivendi-Verlag vorlegt.

Bei dem Roman handelt es sich um ein Buch, das sich der Gattung eines sommerlichen coming of age-Romans zuschlagen lässt und das auch als Jugendbuch funktioniert. Die Ich-Erzählerin Talia steht kurz vor ihrem 18. Geburtstag und gedenkt diesen nicht mit ihren Eltern in Berlin zu feiern, sondern stattdessen nach Israel zu fliegen, wo sie ein paar Wochen verbringen will. Ähnlich wie ihrer Erschafferin Nirit Sommerfeld hat auch Talia deutsch-israelische Wurzeln, die sie im Lauf des Romans immer eingehender erkunden wird.

Familiäre Wurzeln in Tel Aviv

Nirit Sommerfeld - Beduinenmilch (Cover)

Ihr Urgrovater Sigfried Edelman floh einst aus Chemnitz nach Israel. Hatte sein eigener Vater im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft, wurde dieser dennoch kurz darauf von den Nazis in einem Konzentrationslager umgebracht. Sein Sohn entgang der Ermordung durch die Flucht nach Israel.

Dort gründete Talias Großvater dann wieder eine Familie, zu der die junge Frau nun reist. Doch nicht nur das Wiedersehen mit der Familie und die Feier ihres 18. Geburtstags steht auf der Liste von Vorhaben, die Talia dort in Tel Aviv erleben will. Vor allem möchte sie zum Militär, um dort ihren Dienst genauso wie ihre Cousine und ihre Freunde abzuleisten. Zwar kann sie aufgrund ihrer doppelten Staatsbürgerschaft eine Brefreiung vom Dienst an der Waffe vorweisen, dennoch möchte sie diesen Dienst ableisten und fordert so schon bei der Einreise ohne das Wissen ihrer Familie einen Einberufungsbefehl an.

Das Wissen um ihr Vorhaben und die gleichzeitige Unkenntnis ihrer Familie von diesen Plänen bildet für die folgenden Tage in Israel einen moralischen Konflikt, der sich im Lauf des Buchs immer weiter verstärken wird. Während die ersten Tage vor Ort ganz unbeschwert sind, bringen zufällige Begegnungen Talia immer stärker ins Grübeln. Denn obschon ihre Cousine oder ein Schwarm von ihrem letzten Besuch in Israel den Dienst als patriotische Pflicht sehen, lernt Talia während ihrer Tage dort auch den Palästinenser Haytham kennen. Dieser muss sich als illegaler Bauarbeiter in einem Rohbau gegenüber des Hauses von Talias Familie verdingen.

Sie freunden sich an, doch die aufkommende Freundschaft wird rüde durch eine Verhaftung Haythams unterbunden. Ihm soll als illegaler Flüchtling in Israel der Prozess gemacht werden – nur einer von tausenden Illegalen, die zwar rechtlich in Israel unerwünscht sind, aber trotzdem für das Funktionieren der Gesellschaft gebraucht werden.

Es wird nicht der einzige Konflikt und Widerspruch bleiben, auf den Talia während ihrer Zeit dort stößt. Und auch die anfängliche Euphorie über den Wehrdienst soll im Laufe des Romans einer immer größeren Skepsis weichen. Das hat mit dem Geschehen vor Ort, aber auch ihrer eigenen Familiengeschichte zu tun. Denn diese hängt mit einem palästinensischen Geisterdorf in der Wüste zusammen, auf das die junge Frau per Zufall stößt…

Tiefe und Erkenntnisreichtum

Beduinenmilch ist ein Roman, der aufgrund seiner Erzählhaltung und der unbedarften Erzählerin Talia zunächst leicht daherkommt. Dennoch entfaltet Sommerfelds Roman schnell eine Tiefe und Erkenntnisreichtum, weil man mit Sommerfelds Heldin Talia dazulernt und neue Einsichten gewinnt. Zwischen radikalen Siedlern, gegängelten Palästinensern, Erinnerungen an die Nakba wie auch die Perspektive der jüdischen Zivilbevölkerung gelingt es Nirit Sommerfeld, die vielen widersprüchlichen, geschichtlich gewachsenen und ihrer Komplexität nicht immer leicht zu durchdringenden Gemengelagen dort in Israel zwischen Palästinensern und Israelis verständlich zu schildern.

Ähnlich wie zuletzt Dana Vowinckels Gewässer im Ziplock bricht auch in Nirit Sommerfelds Roman eine junge Frau von Berlin aus nach Israel auf, um im Kulturclash vor Ort neue Perspektiven zu gewinnen und sich auch mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Bei Sommerfeld hat das Ganze auch noch eine historische Komponente, denn immer wieder unterbrechen Briefe von Talias Großvater den Lesefluss, deren Schilderungen sich mit der Gegenwart (vielleicht eine Spur zu gerade und glatt, aber durchaus sinnreich) mit den aktuellen Geschehnissen verbinden.

So entsteht ein Roman, der einen historisch informierten und angenehm differenzierten Blick auf das Miteinander von Palästinensern und Israelis wirft. Das Ganze mag manchmal im Erzählton eine Idee zu didaktisch und zu plakativ sein, doch solcherlei Kritik verstummt angesichts des Leids und der teilweisen Ignoranz im Israel-Gaza-Konflikt dieser Tage wieder schnell.

Fazit

Auch wenn Beduinenmilch hauptsächlich 2014 spielt, ist Sommerfelds Roman aber ein Buch, das über diese konkrete Jahreszahl hinaus auf das grundsätzliche Miteinander und viel zu oft auch Gegeneinander der Völker dort blickt. Themen wie Raketenangriffe auf Israel, Sympatie für die Agitationen der Hamas, Hass und Hetze sind eben leider 2025 genauso präsent wie im von Nirit Sommerfeld beschriebenen Jahr 2014.

Diese traurige Aktualität und Zeitlosigkeit der Themen macht das Buch zu einem wichtigen und höchst niedrigschwelligen Beitrag, der neben seiner literarischen Unterhaltung auch unangestrengt viel Wissen und Perspektiven vermittelt, hin zu einem hoffentlich besseren Miteinander, das von Verständnis geprägt ist, ganz wie es Sommerfelds Protagonisitin Talia vormacht. Man wird ja wohl noch träumen dürfen…


  • Nirit Sommerfeld – Beduinenmilch
  • ISBN 978-3-7472-0716-1 (Ars Vivendi)
  • 344 Seiten. Preis: 22,00 €
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