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Helen Rebanks – Die Frau des Farmers

Memoir, Beschreibung der bäuerlichen Lebenswelt und Kochbuch zugleich – Helen Rebanks gibt in ihrem Buch Die Frau des Farmers Einblick in ihr Leben als Bäuerin und Mutter. Und schafft damit gleich noch einen interessanten Gegenschuss zum vor knapp zehn Jahren erschienenen Bestseller ihres Mannes James Rebanks.


Bäuerliches Leben, das ist keine pastorale Idylle. Mutterschaft schon gar nicht – das zeigt Helen Rebanks in ihrem Buch eindrücklich. Zusammen mit ihrem Mann James leben sie mit ihren vier Kindern auf einem abgelegenen Hof im nordenglischen Cumbria, wo ihr Mann Herdwickschafe züchtet.
Von dieser Aufgabe und den wenig romantischen Seiten des Schafzüchterdaseins erzählte James Rebanks bereits in seinem Buch Mein Leben als Schäfer, das zum Bestseller avancierte. Eine Betrachtung über sein englisches Bauernleben und die Geschichte der von der Familie bewirtschafteten Farm folgte.

Nun aber wirft Helen Rebanks ihren Blick auf den Alltag und ihrer Familie und beleuchtet damit die Aspekte des Lebens, die ihr Mann in seinen Werken eher aussparte. Die erzwungene Pause des ganzen Lebens infolge der Corona-Pandemie nutzte sie, um erste Gedanken und Skizzen über ihr Leben und Werden niederzuschreiben.

Für mich war es das erste Mal, dass ich über die Welt um mich herum so richtig nachdenken konnte. Ich hörte auf, ständig irgendetwas hinterherzujagen und ausschließlich im „Tun“ zu sein. Stattdessen habe ich das Leben, das wir uns auf dem Hof aufgebaut haben, sehr bewusst wahrgenommen. Ich hatte Zeit, darüber nachzudenken, woher ich gekommen bin und warum ich getan habe, was ich getan habe. Zum ersten Mal seit langer Zeit habe ich mich auf mich selbst konzentriert und das Schreiben als Möglichkeit genutzt, meine Gedanken und Vorstellungen auszudrücken.

Helen Rebanks – Die Frau des Farmers, S. 407

Vom Leben als Bäuerin, Köchin und Mutter

Helen Rebanks - Die Frau des Farmers (Cover)

Schon der Titel von Rebanks Buch zeigt sich die Definition ihrer Rolle über ihren Mann – was sich im Inneren fortführt, in dem Rebanks einen ehrlichen und ungeschönten Blick auf die Beziehung wirft, die die beiden eingegangen sind und die im Lauf der Zeit mal besser, mal schlechter funktioniert.

Zurückblickend auf ihre eigene Kindheit erzählt Helen Rebanks von ihrer kindlichen Entdeckung der weiten Welt der Kulinarik – und vom Kennenlernen ihres Mannes, der so ein anderer Farmer ist als all die übrigen Bauern in ihrem Lebensumfeld. Gemeinsam beziehen die beiden eine Wohnung in Oxford und erproben das Leben als Partner. Es wird die erste Immobilie in einer ganzen Reihe an Wohnungen und Häusern sein, die sie immer näher an die Heimat der beiden in Cumbria heranführen wird.

Mehrmals beziehen sie neue Zuhause, renovieren und ziehen doch wieder um, während die ersten beiden Kinder zur Welt kommen. Von den Schwierigkeiten der Beziehung in jener Zeit erzählt Rebanks ausführlich. Unterbrochen von immer wieder eingestreuten Rezepten (ein Kennzeichen des ganzen Buchs) erzählt sie von Überlastung, vom Kampf an mehreren Fronten mit Immobilienproblemen, finanziellen Engpässen und mehr als ungleich verteilter Sorgearbeit. Ihr täglicher Alltag, den der Buchuntertitel Mein Leben in einem Tag suggeriert, kommt wenig vor, stattdessen besteht das Buch überwiegend aus Rückblenden, die neben knappen biografischen Wegmarken vor allem die Schwierigkeiten des familiären Lebens ausführlich beleuchten.

Dominierende innerfamiliäre Themen

Während ihr Mann ausführlich von seinem Alltag als Schäfer und den Herausforderungen der Schafzucht erzählt, sind es bei Helen Rebanks die innerfamiliären Themen, die in Die Frau des Farmers dominieren.

Als progressive Schrift hin zu einem neuen, gleichberechtigten familiären Miteinander von Mann und Frau dient Die Frau des Farmers nur bedingt. Der Mann als Ernährer der Familie und die Frau als Betreuerin der Kinder und als ständige Köchin am Herd – hin bis fast zur Selbstaufgabe, Rebanks Buch hat diesem alten Rollenbild wenig entgegenzusetzen. Die beiden leben ein althergebrachtes und zumeist funktionierendes Beziehungssystem, das in seiner traditionellen Lebensweise durchaus Klischees erfüllt.

So wartet im Gegensatz zum auf den beruflichen Alltag zentrierten Buch ihres Mannes ihr Werk mit über fünfzig Rezepten auf. Diese reichen, die von Frühstücksideen für die Familie bis hin zur Rezepte der Schweinshaxenbrühe für 70 Bauern und zeigen Helen Rebanks als kreative wie auch traditionelle Versorgerin und Köchin in der Tradition ihrer Vorfahren. Überhaupt, die Tradition. Am Ende des Buchs finden sich dann ausführliche hauswirtschaftlichen Ratschläge in Form von Listen für die Vorratskammer oder das Gefrierfach, die auch jede Tradwife glücklich machen dürften.

Als ungeschönten Blick auf die Herausforderungen, die Familie bedeutet, ist ihr Buch aber durchaus bemerkenswert. Bäuerliches Leben kommt wie der familiäre Alltag eher am Rande vor, dafür ist das Buch stark, was die Beschreibung der Selbstaufgabe und die partnerschaftlichen Kämpfe, anbelangt. Familie ist eben nie ein perfektes Bild von Gemeinschaft, sondern bedeutet auch Erschöpfung und Niederlagen. Auch romantisiert Helen Rebanks den Alltag dort in der Einsamkeit Cumbrias nicht. So spielt die Keulung von Tieren infolge einer Pandemie oder das Festsitzen auf dem autarken Hof inmitten von Schneemassen, die so gar nichts von Winteridylle als vielmehr von Überlebenskampf hat, in ihrem Buch auch eine große Rolle.

Fazit

Gesellschaftlichen Fortschritt findet man in Helen Rebanks Buch nur in Form des ungeschönten Blicks auf die Herausforderung, die Mutterschaft und ein traditionelles Familienbild bedeuten kann. Dennoch ist diese Form des Zusammenlebens eine, die die Autorin aber doch auch erfüllt, wie zumindest die kurzen Einsprengsel im Text hoffen lassen. Der Mann als Ernährer, die Frau als Köchin, die althergebrachte Ordnung bestätigt Die Frau des Farmers an vielen Stellen des Textes – wartet aber auch mit Rezeptideen und Illustrationen von Eleanor Crow auf.

So ist dieses Buch eine Wundertüte, die mit unterschiedlichsten Themen von selbstkritischem Memoir, Helen Rebanks Blick auf den bäuerlichen Alltag und die ihr wichtigen Themen, Kulinarik bis hin zur Beschreibung bäuerlicher wie partnerschaftlicher Tradition aufwartet.


  • Helen Rebanks – Die Frau des Farmers – Mein Leben in einem Tag
  • Aus dem Englischen von Nastasja S. Dresler
  • ISBN 978-3-608-96673-2 (Klett Cotta)
  • 416 Seiten. Preis: 24,00 €
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Ralf Westhoff – Niemals nichts

Von der Hand in den Mund – dieser Ausdruck trifft die Lebensumstände des Bauernpaars Maximilian und Liza in Ralf Westhoffs Debütroman Niemals nichts sehr gut. Er zeigt das Paar im Kampf um Selbstbestimmung und gegen die drückende Schuldenlast.


Arbeiten, arbeiten, arbeiten. Zahlen, zahlen, zahlen. Das Mantra, das die Mutter in Wolf Haas‘ vorletztem Roman Eigentum als Dauermantra ihr ganzes Leben vor sich hertrug und ihr ein Gefühl der Unerreichbarkeit von materieller Sicherheit gab, es könnten auch die Worte sein, die über dem Leben von Liza und Maximilian in Ralf Westhoffs Roman stehen. Denn ebenso wie Wolf Haas zeigt er auch seine Figuren im Ringen um Sicherheit und gegen die Schulden, die von der steten Geldnot geprägt sind, in der Westhoffs Figuren unverschuldet geraten sind.

Angesiedelt in einer nicht näher bestimmten Gegend und Epoche vergangener Tage atmetet der Roman fast einen Geist von Neo-Naturalismus und zeigt die junge Bäuerin Liza, die sich mit dem Bauer Maximilien vom benachbarten Hof zusammentut, um sich ein gemeinsames Leben aufzubauen. Für Optimismus bleibt aber wenig Platz. Nicht nur, dass die Getreidepreise, die die reisenden Kornhändler zu zahlen bereit sind, viel zu niedrig sind und der Ertrag der Weizenernte stets einem Glücksspiel gleicht.

Die unsichtbare Gefahr der Schulden

Ralf Westhoff - Niemals nichts (Cover)

Auch müssen sie erkennen, dass eine unsichtbare Gefahr die wohl dringlichste und existenzgefährdendste ist. Die Rede ist von Schulden, die Maximilians Vater Andres ohne Kenntnis seiner Familie aufgenommen hat, um damit eine Schiffspassage in die Neue Welt zu finanzieren. Diese Schulden sind es nun, die die Existenz des Hofs und damit auch die des jungen Paars bedrohen.

Sie saßen jetzt in der kleinen Stube, und als niemand hinsah, hielt sie Maximilians zitternde Hand unter dem Tisch ganz fest, damit er sich nach der ganzen Aufregung ein wenig beruhigen konnte. Als es dann um Zahlen und um Summen ging, musste sie ihre Hand wieder zu sich nehmen, weil sie ebenfalls angefangen hatte zu zittern. (…)

Solche Summen warf kein Hof in dieser Gegend ab, der Maximilianshof schon dreimal nicht. Da gab es nur das Korn im späten Sommer, ansonsten Hühner, die Kuh, zwei Schweine, kein Pferd. Was sollte man da sagen.

Ralf Westhoff – Niemals nichts, S. 14

Es ist ein Kampf, der ausweglos scheint – und den das junge Bauernpaar doch aufnimmt. Während sich Maximilians Vater Andres, angetrieben von einer Melodie im Inneren, immer weiter von dem Leben zuhause entfernt, das doch nie seines war, versuchen Liza und Maximilian im Hauptstrang der Erzählung zu retten, was zu retten ist.

Im Kampf gegen die bestehende Ordnung

Gespräche mit der Bank und ein Blick auf die hoffnungslose Lage münden in erste Versuche, die unsichtbaren Spielregeln der Ökonomie zu durchdringen, die Maximilian und Liza in Bedrängnis gebracht haben.

Sie waren unterwegs ins Dorf, um den höchsten Betrag bei der Bank einzuzahlen, den sie je in Händen gehalten hatten. Wieder hatten sie alle vier Brote, die Maximilians Mutter gebacken hatte, in der Stadt verkauft. Stolz und Freude wie frischer Schnee zur falschen Jahreszeit. Noch immer zahlten sie weit weniger ein, als die Bank von ihnen haben wollte. Stumm und bedrohlich drehten sich die Zeiger der Schuldenuhr, und Tag für Tag wurde neue Schuld auf sie geladen. Einfach nur, weil die Zeit verging. Eine Schuld, die ohne ihr Zutun entstanden war und ohne dass sie dafür etwas bekommen hatten. Man konnte verzweifeln.

Ralf Westhoff – Niemals nichts, 119

In der benachbarten Stadt zeigt sich diese Ordnung besonders deutlich. Die in Armut lebenden Bauern, die jenen Weizen ernten, der dann von den Kornhändlern aufgekauft und im Kontor weiterverkauft wird, ehe daraus das Brot gebacken wird, das sich dann die höheren Stände kaufen. So war es immer in dieser Welt, in der die Gesellschaftsschichten so fest und hart scheinen wie die Kruste eines lange gebackenen Brotes.

Bislang ahnten Liza und Maximilian auf ihren abgelegenen Höfen von dieser Welt wenig. Und doch tun sie in ihr nun intuitiv erste eigene Schritte, um sich von der drückenden Schuldenlast zu befreien. Damit bringen sie die bislang so fest zementiert scheinende Ordnung ins Wanken, alleine dadurch, dass sie eigene Wege gehen und sich auch von den zahlreichen Widerständen nicht behindern lassen.

Eine Absage an die Resignation

Niemals nichts feiert die Absage an Resignation und die Absage an die Akzeptanz bestehender Ordnungen. Alles lässt sich ändern. Denn obschon für die Maximilians und Lizas Familien in Haas’scher Manier Arbeiten, Arbeiten, Arbeiten und Zahlen, Zahlen, Zahlen die dominierenden Mantras erscheinen, ist es vor allem die unbeirrbare Liza, die sich und den anderen das Motto Kämpfen, Kämpfen, Kämpfen auf die Fahnen schreibt. Denn eins darf nicht sein: Niemals nichts.

Und so zeigt Westhoff die Fortschritte und Rückschläge des Bauernpaars und beweist, dass sich alles ändern lässt, egal ob die eigene Sprachfähigkeit oder der Kampf gegen die undurchsichtigen Regeln eines Finanzsystems. Damit weist sein Roman auch mitten hinein in unsere gesellschaftliche Gegenwart.

Denn in Zeiten, in denen scheinbar mühelos Schuldenpakete mit schwindelerregenden Summen geschnürt werden, ohne die Frage der Tilgung und die Belastung für künftige Generationen näher in den Blick zu nehmen, in der die Steuerschuld überwiegend bei kleinen und mittleren Einkommen liegt und sich die Zahl von Millionären und Milliardären zunehmend vom Rest der Gesellschaft entkoppelt, liest sich Ralf Westhoffs Roman wohltuend systemkritisch, obschon die erzählte Zeit fern der unseren zu liegen scheint.

Ähnlich wie Stefan aus dem Siepens Roman Das Seil lässt sich Westhoffs Roman allegorisch lesen, bietet Anknüpfungspunkte zur Gegenwart, lässt bewusst manche Leerstellen und stellt auch die bedenkenswerte Frage, ob es unserer Gesellschaft nicht auch zuträglich wäre, wenn sie solch innovativen, klugen und unverzagten Frauen wie Liza mehr Raum und Entscheidungsmacht an zentralen Lenkstellen geben würde, anstelle egozentrierten Männern weiter Machtpositionen zuzubilligen.

Fazit

Der Kampf gegen die bestehende Ordnung mag dem gegen Windmühlen gleichen. Drückende Schulden und scheinbar Unverrückbares sind aber nichts, das man als gegeben hinnehmen muss. Das zeigt Niemals nichts deutlich. Ralf Westhoff gelingt mit seinem Buch ein kämpferischer Appell und eine Feier der Widerstandsfähigkeit, der obschon seines historischen Settings mitten hinein in unsere Gegenwart zielt und dem viele Leser*innen zu wünschen sind.


  • Ralf Westhoff – Niemals nichts
  • ISBN 978-3-7371-0213-1 (Rowohlt Berlin)
  • 224 Seiten. Prei: 23,00 €
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Ruth Lillegraven – Sichel

Literatur geht ihre ganz eigenen Wege – und das gilt auch für ihre Vermittlung. Viele Bücher hätte ich nicht entdeckt, wäre ich nicht ziellos durch Buchhandlungen gewandert oder hätte mich ebenso ziellos durch Blogs geklickt oder durch Rezensionen gelesen. Serendipität nennt es der Fachmann, beglückende Zufallsfunde nenne ich es.

Auch Ruth Lillegravens Buch Sichel wanderte auf verschlungenen Pfaden auf meinen Lesestapel. Es war auf der Frankfurter Buchmesse, wo ich dem sogenannten Kaffeslabberas beiwohnen durfte. Sechs norwegische Autor*innen stellten sich und ihre Werke vor. Eine dieser Autorinnen war Ruth Lillegraven. Ganz bescheiden und zurückhaltend sprach sie von ihrem Schreiben, ihrer Poetik und dergleichen mehr.

In der Runde fiel sie mit ihrem Auftritt neben so bekannten Autorinnen wie Asne Seierstad oder dem Showman Simon Stranger nicht sehr stark auf. Aber mein Interesse war geweckt. Worüber schrieb sie? Wie liest sich ihre Prosa? Was sind ihre Themen?

Am Ende der Veranstaltung bekam jeder der teilnehmenden Blogger*innen eine Tüte mit einige zufällig zusammengestellten Werken der Kaffeslabberas-Teilnehmer*innen in die Hand gedrückt. Und in meiner Tüte: Sichel von Ruth Lillegraven. Stand mir hier wieder so ein Zufallsfund und literarischer Treffer bevor? Die Antwort lautet eindeutig ja.

Lyrik oder Roman?

Bereits die Gattungsfrage von Lillegravens Werk ist hochspannend. Denn in meinen Augen entzieht sich Lillegravens Buch ein jeder Einordnung. Am ehesten würde ich es der Lyrik zuschlagen. Dann gibt es aber auch eine Geschichte, die sich wie in einem Roman langsam vor den Augen der Leser*innen entfaltet. Diese führt ins Jahr 1877 zurück, wo wir Endre kennenlernen.

Der ist ein junger Bauer, der den heimischen Hof in Norwegen bewirtschaftet. Er verliebt sich in Abalone, heiratet und ist eigentlich dazu ausersehen, die nächste Generation zu begründen, für die der Hof Auskommen liefert. Doch dann erkrankt Endre an der Gicht und ist dazu verdammt, in der heimischen Stube zu liegen. Nur Bücher aus dem fernen Amerika werden zur Möglichkeit, der Enge der Stube und seinem geplagten Körper zu entfliehen. Und diese Möglichkeit nutzt er ausgiebig und findet auch in der Sprache Heimat.

Um ihre Geschichte zu erzählen, nutzt Lillegraven (auch formal sehr spannend) die ganzen Gestaltungsmöglichkeiten der Lyrik. So sind manche Passagen in Pfeilform gestaltet, andere Gedichte gleichen Klecksen, die sanft auf die Seite hingetupft werden. In mehrere Teile aufgeteilt erzählt Lillegraven ihre Geschichte, die der Verlag Edition Rugerup als Langgedicht betitelt.

Überzeugend in allen Belangen

Doch nicht nur die Gestaltung von Lillegravens Geschichte besticht. Auch die Art und Weise, wie sie erzählt ist großartig. Denn wenn jemand die Kunst beherrscht, zwischen den Zeilen zu erzählen und mit wenig Worten viel Atmosphäre heraufzubeschwören, dann ist das Ruth Lillegraven.

Wie sie dieses einfache Bauernleben einfängt, die Vorstellungswelt der damaligen Zeit, den Lebenshorizont der Menschen, dann ist das mehr als beachtlich. Sie schafft es präzise (oder das was ich dafür halte), die Tradition der oral history der Bauern abzubilden. Wie dort in der Stube Märchen und Legenden geschildert werden, wie das Erlebte der Generationen zuvor die eigene Welt prägt, das vermittelt Ruth Lillegraven auf faszinierende Art und Weise.

Ihre Gedichte sind mal ganz still und ruhig, dann wieder von einer ergreifenden Schönheit und sehr eindringlich. Sie weiß um das Vergängliche – und das spürt man in ihrer Prosa.

Dass dem so ist, ist natürlich nicht nur Ruth Lillegraven geschuldet. Denn auch ihr Übersetzer Klaus Anders macht einen fantastischen Job. Für mich als Laie ist Lyrik-Übertragung sowieso die Königsdisziplin der Übersetzung. Denn die Metrik und Sprachbilder einer Sprache in eine andere einigermaßen unfallfrei zu überführen, das ist schon selbst ein wahres Kunstwerk. Und Anders gelingt das mit seiner Übertragung aus dem Neunorwegischen ganz hervorragend.

Auch im Deutschen funktioniert diese sanfte, reduzierte und zielgenaue Lyrik eindrucksvoll, die Spielereien mit dem Satz und Typographien gehen auf. So macht Lyrik Spaß und ist für mich eine echte Entdeckung.


Ich weiß um die Schwierigkeit von Lyrik und ihrer Vermittlung – auch ich vernachlässige sie hier auf dem Blog sträflich. Aber hiermit möchte ich wenigstens einmal den Versuch unternehmen, um diesem Buch etwas mehr Bekanntheit zuteil werden zu lassen. Denn Ruth Lillegravens Buch Sichel hat es mehr als verdient. Das sah auch die Jury für der Hotlist so, die dieses Buch als eines der besten aus unabhängigen Verlagen nominierte. Zu recht wie ich finde, denn Sichel ist ein wirklich poetisches kleines Kunstwerk.

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Robert Seethaler – Ein ganzes Leben

Nach seinem großen Erfolg des Romans Der Trafikant hat Robert Seethaler nun den Verlag gewechselt und wird bei Hanser Berlin verlegt. Sein neuer Titel hat – um es gleich vorweg zu nehmen – auch wieder das Potential, ein Bestseller zu werden.

Sein Roman Ein ganzes Leben stellt ebenjene ganze Leben von Andreas Egger in den Mittelpunkt. Vom Aufwachsen bei einem hartherzigen Bauern um die Jahrhundertwende herum über die erste Liebe bis hin zum Tode Eggers spannt Robert Seethaler seinen erzählerischen Bogen. Er erzählt, wie Egger inmitten der Berge aufwächst und zum gefragten Seilbahnbauer avanciert. Dieser Egger, mit dem Makel des Hinkens auf die Welt gekommen, ist nämlich der einzige, der am Berg gerade stehen kann. Die Liebe wird er auch noch finden, ehe er sein Leben an sich vorbeiziehen sieht.

Seethaler beschreibt sein Buch selbst als den Versuch, ein ganzes Leben mit all seinen Höhen und Tiefen in die Form eines einzigen Romans zu gießen – und dieser Versuch ist definitiv gelungen!

Ein begnadeter Erzähler

Robert Seethaler ist ein begnadeter Erzähler, der mit einer einfachen Sprache unvergleichlich gut die Atmosphäre, Gedanken und Lebenswelt seiner Charaktere einzufangen vermag. Auch hier gelingt es ihm wieder bestens, von den Nöten und Freuden Eggers zu erzählen, von seinen Aufstiegen auf die Berge, und nicht zuletzt von der Liebe. Obwohl das Buch wahrlich nicht dick ist, ist es so viel gehaltvoller als so manch andere dicker Schmöker. Er lässt den Leser an den Tiefschlägen genauso wie an den Glücksmomenten im Leben Eggers teilhaben, was zur Ergriffenheit des Lesers beiträgt.

Er begeht nicht den Fehler, angesichts der omnipräsenten Alpen in Luis-Trenker-Romantik zu verfallen, sondern zeichnet vielmehr ein Bild von Entbehrung und Einfachheit, wie es für das Leben anfangs des 20. Jahrhunderts in den ländlichen Gegenden Österreichs typisch war. Er überhöht nicht, er idealisiert nicht, er beschreibt nur.

Ein ganzes Leben auf kleinstem Raum

Robert Seethaler gelingt es auf 150 Seiten, „Ein ganzes Leben“ mit all seinen Höhen und Tiefen plastisch werden zu lassen. Ähnlich wie im Bestseller Stoner von John Williams gelingt es auch hier, die vermeintlich unspektakuläre Biographie eines Menschen in wunderbare Prosa zu überführen. Einer der stärksten Titel des kommenden Bücherherbstes!

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