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Norbert Scheuer – Winterbienen

Die Biene, sie ist das literarische Tier der Stunde. Egal ob in Maja Lundes Megabestseller, bei Laline Paull oder Andrej Kurkow. Die Bienen ist im Moment der Star unter den Insekten. Dass das bayerische Volksbegehren für mehr Artenschutz den Titel Rettet die Bienen trug, sicher kein Wunder. Die Biene ist eines der Tiere, das den ökologischen Wandel und die gestiegene Aufmerksamkeit für die Umwelt am eindrücklichsten symbolisiert. Geht es den Bienen schlecht, geht es auch dem Menschen schlecht. Die Tiere sind ein einfacher Gradmesser für das ökologische Gleichgewicht – weswegen sie zunehmend auch in literarischer Form die Buchregale bevölkern.

Zu sagen, dass Norbert Scheuer mit Winterbienen auf ein Trendthema aufgesprungen ist, würde seinem Buch allerdings unrecht tun. Denn Winterbienen ist ein Buch, das konsequent das Oeuvre Scheuers fortsetzt, und das von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs aus der Perspektive eines Daheimgebliebenen erzählt.

Norbert Scheuer auf der Shortlist

Schon lange wirkt Norbert Scheuer als literarischer Chronist der Eifel, der wie etwa Ralf Rothmann im Falle des Ruhrgebiets, die Geschichte seiner Heimat in Geschichten erzählt. 2009 war er damit sogar schon einmal für die Shortlist des Deutschen Buchpreises nominiert. Überm Rauschen hieß das Buch, das von Brüdern und ihrem Vater erzählte, die die Liebe zum Angeln in den Flüssen der Eifel einte.

Genau zehn Jahre später befindet sich Norbert Scheuer wieder auf jener Shortlist und könnte in einem Monat den Preis für das beste deutschsprachige Buch des Jahres zugesprochen bekommen. Verdient hätte er es auf alle Fälle.


Mein Urahn Ambrosius Arimond glaubte, alle Vögel unserer Erde besäßen eine gemeinsame Sprache. Sein Leben lang beschäftigte er sich mit der Entschlüsselung ihrer Gesänge, einer Welt magisch klingender Töne, Zeichen und Bedeutungen. (…)

Vater hatte uns oft von Ambrosius erzählt, dessen Aufzeichnungen zum größten Teil in den napoleonischen Kriegen verloren gegangen seien, nur ein paar vergilbte Pergamentpapiere sollen noch irgendwo in einer alten Holzkiste in einer Scheune liegen, handgeschriebene Seiten (…).

Scheuer, Norbert: Die Sprache der Vögel, S. 9

So beginnt der letzte Roman von Norbert Scheuer, indem er von einem Nachfahren jenes ornithologiebegeisterten Ambrosius Arimond erzählt, der 2003 als Sanitäter nach Afghanistan gelangt.

Dessen Pergamente und Aufzeichnungen spielen auch in Scheuers neuem Roman eine zentrale Rolle. Denn Ambrosius Arimond inspirierte nicht nur Paul Arimond aus Die Sprache der Vögel, sondern auch Egidius Arimond, ein weiterer Nachfahre des Mönchs. An dessen Leben haben wir mithilfe datierter Aufzeichnungen aus den Jahren 1944 und 1945 teil.

Meine Erinnerungen gleichen denen der Winterbienen in ihrem dunklen Stock; ich weiß nicht, ob etwas erst gestern gewesen ist oder schon lange Jahre zurückliegt. Sie erscheinen mir wie ein winziger Punkt in einem unendlichen Raum

Scheuer, Norbert: Winterbienen, S. 171

Das Überleben des Egidius Arimond

Dieser Egidius war als Gymnasiallehrer im kleinen Bergarbeiterstädtchen Kall tätig, bis der Krieg kam. Jetzt verdingt er sich mit der Aufzucht von Bienen, verkauft Honig, Bienenwachs und versucht über die Runden zu kommen. Als einer der wenigen Daheimgebliebenen schlägt ihm auch offen Ablehnung und Hass entgegen. Doch sein Verharren in der Heimat hat einen einfachen Grund: Egidius ist Epileptiker und muss sich seine Medizin unter Zahlung hoher Summen vom lokalen Apotheker besorgen. Dabei ist er auch auf seinen Bruder angewiesen, der ein dekorierter Kriegsheld in der Luftwaffe ist. Er soll ihm Rezepte und Arzneien zukommen lassen, denn offiziell darf niemand von Arimonds Erkrankung wissen. Denn für die Nazis ist Arimond ein klarer Fall von unwertem Leben und ein Schmarotzer, der eigentlich ein klarer Fall für ein KZ wäre.

Also versucht sich Egidius irgendwie durchzuschlagen. Das Geld für die Medizin verdient er sich dabei mit dem Schmuggel von Flüchtlingen. Diese schafft er in seinen Bienenkörben zur nahegelegenen belgischen Grenze. Ein riskantes Geschäft, bei dem das Leben aller Beteiligten auf dem Spiel steht. Und während die Medizin immer knapper wird, kommen die Angriffe der Alliierten näher und näher.

Ein stimmiges Kunstwerk

Winterbienen ist ein Kunstwerk auf ganz vielen Ebenen. Da ist zum Einen der Plot, der einmal mehr geschickt das Leben von Ambrosius Arimond mit dem von Egidius verknüpft. Dessen Forschungen zu seinem Ahn fließen wiederum auch sprachlich sehr überzeugend in die Prosa ein. So ist der Text von lateinischen Sentenzen und Aphorismen durchsetzt, die der Gymnasiallehrer auch durch seine Übersetzungen der Pergamente von Ambrosius gewonnen hat.

Ähnlich wie zuletzt Arno Geiger in Unter der Drachenwand zeigt auch Norbert Scheuer hier in großer Intensität das (Über)Leben an der Heimatfront der Versehrten und Zurückgebliebenen. Darüber hinaus erzählt er sehr gelungen von Bienen und Bombern, von der Schönheit der Natur, dem faszinierenden Miteinander in einem Bienenstock und ersetzt einen ganzen Imkerkurs. Einmal mehr setzt er seiner Heimat, der Eifel, ein literarisches Denkmal und erschafft mit Winterbienen ein weiteres Kunstwerk, das sich in sein Oeuvre wunderbar einpasst und das über den Schluss hinaus beschäftigt.


Weitere Besprechungen dieses Titels finden sich unter anderem bei Zeichen und Zeiten, dem Deutschlandfunk (von Jörg Magenau, der zugleich Jurysprecher beim Deutschen Buchpreis ist) und bei literaturleuchtet.

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Kurz und Gut

Hier kommt nun wie angekündigt die zweite Fuhre von Kurzkritiken zum Osterfest. Was will man auch schon anders machen als lesen, wenn draußen vor dem Fenster die Schneeflocken vorbeiwirbeln!? In diesem Sinne eine anregende Lektüre mit neuen Tipps!

Claire Fuller – Eine englische Ehe

In ihrem ersten auf Deutsch vorliegenden Buch erzählt Claire Fuller von der Ehe, die Ingrid und Gil Coleman führten (Deutsch von Susanne Höbel). Diese turbulente Ehe mit vielen Tiefschlägen und Enttäuschungen wird von Ingrid in Form von Briefen an ihren Mann erzählt. Diese enthüllen langsam das Geheimnis, warum sie vor 12 Jahren aus dem Leben von Gil und ihren zwei Kindern trat. Und dann ist da noch der zweite Erzählstrang, der ihre Tochter Flora zum Mittelpunkt hat. Diese begibt sich wieder nach Hause zu ihrem Vater, als dieser meint, seine Frau nach 12 Jahren wiedererkannt zu haben.

Claire Fuller umschifft in ihrem Roman alle Kitsch- und Sentimentalitätsfallen großräumig. Sie entfaltet langsam eine Ehe, in der alles anders als rund lief und die nicht einmal mit dem Begriff zweckdienlich beschrieben werden kann. Das Buch ist schön und angenehm geschrieben, kurzweilig und nebenbei auch eine Hymne ans Lesen, da Gil ihre Briefe immer in korrespondierenden Büchern versteckt. Sehr lesenswert!

 

Feridun Zaimoglu – Evangelio

Luther hier, Luther da – schon zu Beginn des Lutherjahres scheint Martin Luther überrepräsentiert zu sein – schön wenn es da neben all den wissenschaftlichen Annäherungen an den Reformer auch solche Bücher wie das von Feridun Zaimoglu gibt, die den zugestellten Blick auf Luther wieder öffnen und es schaffen, dass man der überhöhten Gestalt wieder neu begegnen kann.

Zaimoglu erzählt in einer an Luther geschulten Kunstsprache vom Wartburgaufenthalt des Reformators. Dieser wird dabei just von einem katholischen Landsknecht bewacht und beschützt und gerät nicht nur mit ihm das ein oder andere Mal aneinander. Denn auch der Teufel hat es auf Luther abgesehen (das meint zumindest jener) und so wird Luther in zahlreiche bedrohliche Situationen verwickelt.

Der deutsch-türkische Autor zeigt ein derbes, stinkendes und brutales Mittelalter. Durch seine Sprache muss man sich wirklich kämpfen – doch sie schafft es, dass man sich im Thüringen 1521 einfindet. Zaimoglu zeigt viele Facetten an der Gestalt Luther, seinen Zweifel, sein aufbrausendes Wesen, aber eben auch seinen Judenhass, der ebenfalls zur Gestalt des Reformers gehört. Ein herausfordernder, aber auch bereichernder Beitrag zum Lutherjahr 2017!

 

Maja Lunde – Die Geschichte der Bienen

Ein Saatguthändler, der depressiv in seinem Bett liegt. Ein Imker, der darauf angewiesen ist, seine Bienenstöcke mit Trucks quer durch die USA zu karren. Eine junge Frau in der Zukunft, die auf Felder um Beijing herum Bäume per Hand bestäuben muss, da die Bienen verschwunden sind.

Diese drei Erzählstränge verknüpft die Norwegerin Maja Lunde in Die Geschichte der Bienen zu einer zeitüberspannenden Erzählung, denn die Stränge reichen vom 18. Jahrhundert bis ins Jahr 2098 (Übersetzung Ursel Allenstein). Übergreifendes Thema ist die Beziehung von Eltern zu ihren Söhnen. Daneben ist das Buch auch eine Einführung in die Botanik und die Geschichte der Imkerei. Einsteins Bonmot dass die Menschheit nach dem Aussterben der Bienen nur noch vier Jahre zu leben hätte, wird von der Autorin mit viel Verve umgesetzt.

Maja Lunde hat zudem einen gefälligen Sprachstil, der ihrem Roman zupass kommt. Darüber hinaus sind die Kapitel sehr kurz – häufig springt sie zwischen ihren drei ProtagonistInnen umher. Das macht Die Geschichte der Bienen zu einem leicht lesbaren, unterhaltsamen und lehrreichen Buch.

 

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