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Die Literaturkritik und der Nachwuchs

Wo ist er, der Nachwuchs in Sachen Literaturkritik? In etablierten Formaten und Medien findet er zumindest kaum statt, was zu einem echten Problem werden kann. Denn die Ignoranz von literaturkritischem Nachwuchs gräbt dem zusehends versickernden Gespräch in der literarischen Öffentlichkeit zusätzlich das Wasser ab. Dabei ginge es auch anders…


Im Rahmen der Frankfurter Buchmesse fand auf der Bühne von ARD, ZDF und 3sat eine Diskussion zum 50. Geburtstag der SWR-Bestenliste statt. In dieser Liste stimmen Monat für Monat 30 Literaturkritiker und Literaturkritikerinnen über Neuerscheinungen ab und erstellen so zehn Plätze umfassende Empfehlungsliste als literarische Alternative zur rein auf Verkaufserfolg blickenden Spiegel-Beststellerliste.
Das Fortdauern dieser literarkritischen Institution dauert nun schon ein halbes Jahrhundert an. In Frankfurt wurde das im Gespräch mit den drei KritikerInnen und Jurymitgliedern Iris Radisch, Helmut Böttiger und Cornelia Geißler dementsprechend gefeiert. Als Rückblick alleine auf Vergangenes sollte das Gespräch aber nicht funktionieren, vielmehr stand die Veranstaltung unter der Fragestellung Wie sieht die Zukunft der Literaturkritik aus?

Ja, wie sieht sie aus? Darüber herrschte auf der Bühne Uneinigkeit. Haben junge Menschen angesichts prekärer Bezahlungen und unsicherer Zukunftsaussichten überhaupt noch Lust auf eine Karriere in den Medien? Sind TikTok und Co nicht vielmehr die Plätze, an denen das Gespräch über Bücher lebt und die Buchkultur Blüten treibt? Braucht es die Literaturkritik überhaupt noch, wenn doch die Lust auf Kritik und ästhetische Auseinandersetzung mit Büchern und Thesen sinkt, sich das literarische Gespräch in der Öffentlichkeit in Hausbesuchen und Spaziergängen mit AutorInnen erschöpft, um allzu kritische Worte zu vermeiden?

Fragen in Frankfurt

Die Runde griff viele Fragen auf und war doch auch in ihrer Zusammensetzung bemerkenswert. Denn obschon man sich viele Gedanken über die Zukunft der Literaturkritik machte, so war sie zumindest personell auf der Bühne nicht vertreten. Unter den arrivierten KritikerInnen (Jahrgänge 1956 bis 1965) stach Moderator Carsten Otte (Jahrgang 1972) als Jungspund in der Runde heraus. Dementsprechend schwer tat sich auch mancher mit den Begrifflichkeiten der neuen Medien und ihrer vielfältigen Ausprägungen. Jemanden, der aus dem eigenen Tun heraus eine Perspektive auf den Themenkomplex beisteuern hätte können, er fehlte.

Diskussion zur Rolle der Literaturkritik und des Nachwuchses, Jury der SWR-Bestenliste
Bildquelle: Screenshot SWR/SWR Bestenliste

Nun soll an dieser Stelle keineswegs ein plumpes Altersbashing betrieben werden. Die Gedanken der Runde waren ja durchaus bedenkenswert und auch in Bezug auf neue Medien in Teilen bemerkenswert kundig. Doch die Tatsache, coram publico über den Generationenwechsel in der Literaturkritik zu sinnieren, ohne die nächste Generation überhaupt ins Gespräch einzubinden, es ist zumindest ein bemerkenswerter Umstand.

Mit diesem Widerspruch einer Klage über den Niedergang der Literaturkritik und eine gleichzeitige Nicht-Einbindung nachwachsender Kräfte ist die Veranstaltung aber nicht alleine. Auch bei der SWR-Bestenliste selbst lässt sich dieser Abriss zwischen den Generationen gut beobachten. LiteraturkritikerInnen unter 50 Jahren sind im Gremium Mangelware.

Natürlich ließe sich argumentieren, dass eine solche Jury nur arrivierte Kritikerinnen und Kritiker in ihren Reihen einlädt, die über ein über die Jahre herausgebildetes literaturkritisches Wissen und Sensorium verfügen. Wenn man die jungen (jung hier im Sinne von U40, wenn nicht gar U50) Stimmen, allerdings gar nicht einbindet und ihnen die Möglichkeit nimmt, sich in solchen Runden zu ebenso arrivierten KritikerInnen heranzureifen und ihnen die Chance zum literaturkritischen Wachsen und Ausbilden ihrer Urteilskraft verwehrt, gräbt man sich und seiner Zunft letzten Endes selbst das Wasser ab.

Eine Balance zwischen Nachwuchsförderung und dem Erfahrungsschatz arrivierter Kräfte wäre wichtig

Hier wie überall sonst wäre die Balance zwischen Nachwuchsförderung und dem geteilten Erfahrungsschatz etablierter Mitglieder im Sinne einer Zukunftsfähigkeit wichtig, um nicht den Anschluss zu verpassen und fürderhin die eigene Relevanz zu wahren. Auch entginge man so der Gefahr einer Überalterung einer Jury, die bei einem solchen Strömungsabriss der Generationen irgendwann droht.

Auch andere Gremien tun sich schwer damit, Nachwuchskräfte einzubinden. Das reicht von Jurys wie der des Büchner-Preises oder der Jury des Deutschen Buchpreises bis hin zu literaturkritischen Formaten wie dem Literarischen Quartett. Sie alle fremdeln damit, junge Stimmen zu fördern und in ihr Tun einzubinden.

Letztgenanntes Format öffnet sich zwar immer wieder in Form von U21- und Zuschauerspezials, die im Rahmen der Leipziger und Frankfurter Buchmesse auf der Bühne mit Gastgeberin Thea Dorn stattfinden, in die Mediathek schaffen es die Ausgaben nur selten. Und noch seltener schafft es ein junger Gast von diesen Ausnahmeveranstaltungen in die reguläre Sendung. Einzig in der Ausgabe vom September 2023 lud man eine Teenagerin aus der U21-Ausgabe ins die „echte“ Fernsehaufzeichnung ein. Bis heute ein Ausnahmefall.

Mit den Jurys von Literaturpreisen ist es nicht anders. So sind aktuell BookTok und dessen junge KonsumentInnen zwar der einzige Anker, die den schrumpfenden Buchmarkt noch halbwegs stabilisieren. In Jurys und den wenigen noch existenten Literaturformaten in Funk und Fernsehen werden sie aber nicht einbezogen. Blogger und Instagrammer sollen Buchpreise eher werbend flankieren und ihnen über ihre Kanäle Aufmerksamkeit verschaffen, denn sie wirklich in die Entscheidungsfindung einzubinden (und wenn das beim Deutschen Buchpreis tatsächlich passiert, dann stellen die Porträts fast immer erst die Profession als BuchhändlerInnen nach vorne, um dann noch kurz ihre Social Media-Präsenz zu erwähnen).

Anschlussfähigkeit an nachkommende Generationen wahren

Viele ambitionierte Nachwuchskritiker*innen hat dieser zweifelhafte Umgang und die Abwertung durch das etablierte Feuilleton und andere Schaltstellen des Literaturbetriebs schon vergrault. Dabei sollte man angesichts der schrumpfenden Plätze für Literaturkritik solche Bemühungen doch ernster nehmen, junge Stimmen einbinden, ihnen die Chance zu Entwicklung zu geben und damit auch die Literaturkritik breiter in der Masse zu verankern.

Natürlich muss man auch Differenzierungskraft an den Tag legen. Nicht jedes BookTok-Buch ist ein literarisches Gespräch wert, nicht jeder BookToker, der ein Buch vor die Kameralinse hält, gleich ein neuer Marcel Reich-Ranicki. Aber es gibt sie eben doch, literarisch versierte, rhetorisch kundige und in ihrem Urteil konsistente Stimmen, die sich nun vermehrt auch BookTok, aber immer noch auch auf Instagram mit seinem Bookstagram, in Podcasts oder gar dem schon wieder recht verwaisten Feld der Literaturblogs tummeln.

Junge LiteraturkritikerInnen, die sich in ihrer Arbeit mit vernachlässigten Phänomenen wie etwa der Literatur aus Osteuropa beschäftigen oder die neue Formen für ein literarisches Gespräch ausprobieren und in der Vermittlung andere Wege gehen; man sollte sie nicht belächeln oder lediglich als unerwünschte Konkurrenz für das eigene Tun zu begreifen. Im Gegenteil: es kann nur guttun, diese Stimmen einzubinden und ihre Perspektiven auf Literaturkritik wahrzunehmen, ganz im Sinne der Anschlussfähigkeit von Literaturkritik an nachwachsende Generationen.

Fazit

Es wäre an der Zeit für Jurys und Formate, sich jungen Talenten zu öffnen und diese aktiv zu suchen und zu fördern. Statt bei den üblichen Verdächtigen zu verharren und jungen Literaturkritikerinnen damit die Chance zur Entwicklung und Etablierung zu verwehren, wäre es höchst dringlich, diese in Formate und Gremien einzubinden, um so nicht am eigenen Ast zu sägen. Schon alleine deshalb, damit wohlgeschätzte Institutionen wie die SWR-Bestenliste auch in 50 Jahren noch Relevanz und Einfluss genießen. Der Generationenumbruch, er müsste jetzt eingeleitet werden, um ihn dann gestaltend zu begleiten und sich so für die Zukunft zu rüsten.

Mit einer kontinuierlichen Förderung junger, kritischer Stimmen könnte es gelingen. Weiter in eine Zukunft zu gehen, in der Literaturkritik Einfluss und Ansehen genießt, das erscheint mir ein Ziel, das uns alle als Literaturinteressierte doch einen sollte. So müsste einem dann auch angesichts der in Frankfurt diskutierten Frage nach der Zukunft der Literaturkritik etwas weniger bang sein und es ließe sich zuversichtlicher nach vorne schauen.


Bildrechte Titelbild: Frankfurter Buchmesse/Anett Weirauch

Das Literarische Quartett und ich

Warum nicht selber einmal Literarisches Quartett spielen? Vor zwei Wochen war es soweit und ich durfte im Rahmen der Frankfurter Buchmesse an einer besonderen Ausgabe des Quartetts mit Gastgeberin Thea Dorn teilnehmen. Was ich dabei so erlebt habe:


Es war ein Aufruf auf der Internetseite des Literarischen Quartetts, den ich zufällig beim Surfen entdeckte und der mich neugierig machte. Dort wurde dazu aufgerufen, sich beim ZDF zu melden, wenn man als Zuschauer selbst einmal beim Literarischen Quartett mitmachen möchte. Neben aufgezeichneter Sonderausgaben wie dem U21-Quartett gab es schon auf der vergangenen Buchmesse in Leipzig zwei solcher Runden, einmal mit Zuschauer*innen und einmal mit Buchhändler*innen, die in der Glashalle mit Gastgeberin Thea Dorn über diverse Neuerscheinungen diskutieren durfen.

Nun also das Ganze in Frankfurt, wohin ich mich sowieso begeben hätte. Die Bewerbung ans ZDF sollte man gleich mit einem Titel flankieren, über den man gerne auf der Bühne diskutieren wollte. Zur Auswahl standen die Bücher der beiden letzten Ausgaben des Literarischen Quartetts, von denen ich mir Damenopfer von Steffen Kopetzky zum Wunschbuch erwählte (damals vorgestellt von Cara Platte aus der U21-Ausgabe, die mit Adam Soboczynski, Juli Zeh und Gastgeberin Thea Dorn über das Buch diskutierte).

Auf der Bühne in Frankfurt

Pass für die Literaturbühne des Literarischen Quartetts
Pass für den Auftritt auf der Literaturbühne in Frankfurt

Zwei Anrufe und eine Mail später herrschte Gewissheit: ich darf in Frankfurt als literaturkritischer Laie mit auf der Bühne diskutieren. Das Ganze war war allerdings noch mit einer Umentscheidung verbunden, da mir nun vonseiten der Redaktion die Titel V13 von Emmanuel Carrère oder Vaters Meer von Deniz Utlu zur Auswahl gestellt wurden, die ich zwei Wochen später in Frankfurt präsentieren sollte. Unbesehen entschied ich mich für Utlu, bei dem mich die auseinanderklaffende Kritik reizte, die das Buch seit dem Vortrag eines Textausschnitts bei den diesjährigen Tagen der deutschsprachigen Literatur erfuhr. Dort fiel der Text in weiten Teilen der Jury durch, nach Veröffentlichung des Buchs mehrten sich aber die lobenden Stimmen, gar eine Nominierung für den Bayerischen Buchpreis heimste das Buch ein. In meinen Augen also gutes Diskussionsmaterial, weshalb ich mich blind für Utlus Text entschied.

Spannend blieb auch die Frage der Mitdiskutierenden. Außer der Auswahl der weiteren Bücher (Sinkende Sterne von Thomas Hettche und Gittersee von Charlotte Gneuß) und der Mitteilungen von Zeit und Ort, an denen ich mich vor der gemeinsamen Bühne von ARD, ZDF und 3sat einzufinden hatte, gab es keine Informationen. Bewusst hatte ich im Vorfeld darauf verzichtet, mir die Diskussionen zu den drei Titeln in den regulären Ausgaben des Literarischen Quartetts zu Gemüte zu führen, um möglichst unvoreingenommen und frei von Argumentationsfiguren oder Fremdinterpretationen in die Diskussion zu gehen.

Diskussion unter Zeitdruck

Gespannt traf ich also Freitag Nachmittag vor Ort im Foyer der Buchmesse ein, wo es dann in die Maske ging und ich anschließend Gastgeberin Thea Dorn und die weiteren Mitstreitenden kennenlernte. Ich durfte die Bühne mit der Wuppertaler Deutschlehrerin und Aron Broks teilen, der neben seinen Texten für die taz jüngst auch mit seinem Buch Nackt in der DDR – Mein Großvater Willi Sitte und was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat reüssierte. Nachdem die Reihenfolge der Titel festgelegt wurde und die Zeit für die Diskussion zunehmend schrumpfte (schließlich musste auf der Bühne passgenau an den nächstfolgenden Gesprächspart inklusive Umbau übergeben werden), konnte es dann losgehen.

Wir stürzten uns in die Diskussion zu den drei Werken und waren uns mal weniger einig (im Fall Thomas Hettches), mal gab es einen größeren Konsens (wie im Falle von Charlotte Gneuß). Auch die Diskussion zu meinem an letzter Stelle vorgestellten Patenbuch von Deniz Utlu arbeitete interessante Aspekte heraus und stand für eine reizvolle Diskussion, die Thea Dorn gut zu steuern wusste. Natürlich war die gnadenlos herabzählende Zeit definitiv zu kurz, um vertiefend in Debatten einzusteigen und verschiedene Aspekte an den Büchern eingehender zu beleuchten – einen großen Spaß hat es aber trotzdem gemacht, mit meinen beiden Mitdiskutant*innen und Thea Dorn als Moderation zu streiten und für die Titel zu werben.

Was bleibt?

Die Diskutant*innen, leider ohne Aron Broks

Was bleibt von dem Abend im Foyer auf der Buchmesse? Leider keine bleibende Erinnerung außer ein paar Fotos im Backstage und einem gemeinsamen Eintrag in das Frontispiz unsere Diskussionstitel – denn diese Ausgabe des Literarischen Quartetts wurde vom ZDF zwar professionell gefilmt und übertragen, aber eben nicht archiviert und ist damit leider nicht nachschaubar. Das ist wirklich schade, war das Diskussionsniveau für mein Empfinden doch durchaus vorzeigbar und stand hinter manch anderer regulären Ausgabe des Quartetts nicht nennenswert zurück.

Was ich aber für mich mitnehme, ist die Erkenntnis, wie viel Spaß mir es macht, coram publico über Bücher, Bewertungen, literarische Motive und subjektive Leseeindrücke zu diskutieren. Sollte sich die Möglichkeit ergeben – ich wäre auf alle Fälle gerne wieder mit von der Partie!


Bildquelle Titelbild: Lichtbildforum.de

Ein Abend wie im Seniorenstift

Man stelle sich das einmal vor. Da fällt die Leipziger Buchmesse aus, Buchhandlungen müssen für Wochen zusperren, Verlage kämpfen ums Überleben. Eine Situation, wie sie Literatur-Deutschland wohl noch nicht erlebt hat. Am Freitag Abend steht dann die erste Sendung des Literarischen Quartetts nach diesen Ereignissen an. Und worüber wird diskutiert?

Über Hundert Jahre Einsamkeit von Gabriel Garcia Marquez und den Simplicissimus von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen. Bücher, die 1668 beziehungsweise 1967 erschienen. Bücher, die längst schon kanonisiert, in Lesebüchern abgedruckt und in jedem Volkshochschulkurs durchdiskutiert wurden. Bücher, deren Qualität außer Frage steht, deren Notwendigkeit zur Diskussion in einem Frühjahr, in dem so gut wie jede Neuerscheinung auf dem Buchmarkt deutlich mehr Aufmerksamkeit bräuchte, alles andere als schlüssig erscheint.

Natürlich waren die Titel einst für den Magischen Realismus bzw. die Epoche des Barock stilprägend. Aber muss man so etwas zum hundertsten Male durchkauen, wenn andere Bücher wie etwa Ann Petrys The Street oder Benjamin Quaderers Für immer die Alpen völlig in puncto Aufmerksamkeit untergehen? Da überzeugt auch das erklärte Konzept, man wolle Bücher für Krisenzeiten präsentieren, wenig. Aber was will man erwarten von einer Thea Dorn, die schon in der letzten Ausgabe wenig kreativ zu Albert CamusDie Pest riet?

Verschnarchte Titelauswahl, verschnarchte Diskussion

Ebenso verschnarcht wie die Auswahl der Bücher entpuppte sich dann leider auch einmal mehr die Diskussion im Foyer des Berliner Ensembles. Während Thea Dorn mit dem Charisma einer besserwisserischen Deutschlehrerin den Gästen das Wort erteilte und stets um die Deutungshoheit rang, stammelte und stotterte man sich so durchs Programm. Die Synopsen der Bücher gerieten einmal mehr erratisch. Dynamiken in der Diskussion ergaben sich überhaupt nicht, auch wirkten die Argumente schwach bis hanebüchen. Brandts Verteidigung, als Schauspieler überlese er eh Phrasen und schlechte Dialoge, weshalb sein Buchvorschlag dann doch wieder gut sei, wenn man da drüber hinwegläse, überzeugte nicht im Ansatz. Auch die Vergleiche mit chemischen Elementen durch Eva Menasse steigerte die Anschaulichkeit der eigenen Argumente kaum.

Literarisches Quartett: Teilnehmer Dorn, Ruge, Menasse und Brand
Verloren im weiten Rund: Thea Dorn, Eugen Ruge, Eva Menasse, Matthias Brandt
(Bildrechte: ZDF/ Svea Pietschmann)

Mitsamt dem fehlenden Publikum besaß dieses literarische Geisterspiel eher den Charme eines Literaturkreises im Seniorenstift. Wobei man dem wohl unrecht tut. Selbst im Seniorenstift erlebte ich persönlich schon deutlich engagierte Runden als das, was da Freitag Nacht über den Bildschirm flimmerte.

Wo bleibt die Werbung fürs Lesen?

Ich verstehe es nicht. Jetzt wäre die Zeit, um für das Lesen und die Literatur zu werben. Für kreative Bücher, für junge Stimmen, die Aufmerksamkeit verdienten. Für Bücher aus kleinen Verlagen, die gerade ums Überleben kämpfen. Stattdessen entscheidet man sich im (immer noch) prestigeträchtigsten Literaturformat im deutschen Fernsehen für eine Auswahl die wirkt, als hätte man in der verstaubten Bibliothek eines Studienrats gestöbert.

Dabei könnte man doch eingedenk der vorherlaufenden reichweitenstarken Heute-Show (in letzter Zeit stets über 5 Millionen Zuschauer*innen) hier auch ideal jüngere Lesergruppen erreichen und ihnen Lust auf Literatur machen. Mit dem Simplicissimus lockt man in dieser Darreichungsform aber tendentiell niemanden hinter dem Ofen hervor. Und das ärgert mich. Es wäre doch nicht so schwer.

Sprechen wir über Literatur. Tauschen wir uns aus, egal ob im Netz, in Buchhandlungen oder in Lesekreisen. Aber um Himmels Willen bitte doch nicht so!

Ein denkwürdiger Abend

Das gab es auch noch nie. Beim Bayerischen Buchpreis wird auf offener Bühne ein nominiertes Buch zurückgezogen – und ein kleiner Skandal ist perfekt. Über einen mehr als denkwürdigen Abend.


Alles begann eigentlich wie immer. Eine Jury auf der Bühne (Sandra Kegel als Vorsitzende, Svenja Flaßpöhler und Knut Cordsen), drei nominierte Titel in der Kategorie Sachbuch und drei in der Kategorie Belletristik. 30 Minuten pro Sparte, um einen oder eine Siegerin zu ermitteln. Jede*r der Juror*innen brachte einen Vorschlag in jeder Kategorie ein. Dann die öffentliche Debatte, um so einen Siegertitel zu ermitteln. Klar nachvollziehbare Entscheidungsprozesse, offen ausgetragene Argumente und Debatten – größtmögliche Transparenz also.

Dass diese Transparenz auch ihre Schattenseiten haben kann, wurde am gestrigen Abend in der Allerheiligen-Hofkirche aber auch klar. Denn bereits beim ersten Buch in der ersten Kategorie „Sachbuch“ kam es zu einem noch nie dagewesenen Ereignis. Man könnte es auch Eklat nennen. Denn neben Jan-Werner Müllers Essay Furcht und Freiheit, in dem er für einen neuen Liberalismus plädiert, und Dieter Thomäs Warum Demokratien Helden brauchen war auch Cornelia Koppetsch nominiert. Sie betrachtet in ihrem Buch Die Gesellschaft des Zorns den Aufschwung des Rechtspopulismus als Antwort auf die Globalisierung. So weit so spannend – aufgrund des aktuellen Themas und ihres Ansatzes war das Buch für mich auch der heißeste Anwärter auf den Bayerischen Buchpreis. Doch dann das.

Nach der ersten Vorstellung des Buches wandte Sandra Kegel als Patin des Buchs ein, das man nun nicht über den Inhalt des Buchs diskutieren könne. Erste Irritationen bei mir und meinen Bloggerkolleginnen Marina Müller und Katharina Herrmann. Es hatte bislang in allen Jahren, denen wir dem Preis beiwohnten, ja auch funktioniert, über die Inhalte der Bücher zu diskutieren. Warum denn nicht jetzt?

Zweifel an Koppetschs Werk

Die Antwort folgte schnell. Denn über Koppetschs Buch schweben starke Zweifel. Es geht um übernommene und nicht kenntlichgemachte Passagen in ihrem Werk, die von anderen Denker*innen stammen. Einige der Passagen stammen – jetzt wird es durchaus delikat – aus Andreas Reckwitz‚ Buch Die Gesellschaft der Singularitäten. Jenes Buch, das vor zwei Jahren ebenfalls für den Bayerischen Buchpreis nominiert und dann an selber Stelle ausgezeichnet wurde. So stammt etwa der Begriff der Neogemeinschaften, den Koppetsch in ihrem Werk einführt, eigentlich aus Reckwitz‘ Buch. Dies merkte Juror Knut Cordsen an, der einige weitere Stellen aus Koppetsch’s Monographie zitierte, deren Übernahme aus anderen Werken nicht kenntlichgemacht wurde. Cordsen stellte am Ende seines Statements auch die Frage nach Koppetschs Ethos – ein etwas insinuirender Anwurf, da das Verfahren über Koppetschs Werk jetzt ja erst beginnt und Vorverurteilung nicht angebracht sind.

Aber dennoch ist es ein denkwürdiger Vorgang, dass die Jury dieses Buch dann zurückstellte. Im Vorfeld war Cornelia Koppetsch angeboten worden, das Buch aus dem Wettbewerb zurückzuziehen, doch die Autorin beließ ihr Buch im Wettbewerb. Alles andere hätte wahrscheinlich auch wie ein vorzeitiges Schuldeingeständnis gewirkt – doch nun schwebte ein Hauch von Tribunal coram publico durch die Allerheiligen-Hofkirche, gerade da auch die nominierten Autor*innen ja allesamt im Publikum saßen. Eine ungute Situation, die auch der spätere Gewinner Jan-Werner Müller kritisierte.

https://twitter.com/KulturGeschwtz/status/1192530870911021057

In der Folge stellte sich die einmalige Situation dar, dass nun nur noch aus zwei Büchern ausgewählt werden konnte. Aus der Suche nach dem besten Sachbuch des Jahres war eine Art Hornberger Schießen geworden, bei dem man auch den Eindruck hatte, dass sich die Jury aus zwei durchaus kritikwürdigen Werken nun zu einem Siegertitel durchringen musste. Alles andere als optimal das Ganze und wirklich einmalig. Auch der Sieg von Müllers Furcht und Freiheit trat für mein Empfinden völlig in den Hintergrund der Causa Koppetsch, deren Schockwellen in der Allerheiligen-Hofkirche noch lange nachzuspüren waren.

Diskussionswürdige Belletristik

Doch – the show must go on. Auch in der Allerheiligen-Hofkirche. Denn nun waren die 30 Minuten der Belletristik angebrochen. Hier standen die Werke Levi von Carmen Buttjer, Propaganda von Steffen Kopetzky und Der vergessliche Riese von David Wagner zur Auswahl. Der Tod und das Vergehen sind Themen, die alle drei Bücher verbinden. Doch mit Gemeinsamkeiten war es das dann schon. Denn so etwas wie satisfaktionsfähig war rasch nur noch ein Titel.

Zwei der drei Juror*innen sahen sich schon recht bald der Situation ausgesetzt, dass sie ihre Bücher auf verlorenen Posten verteidigen mussten. Svenja Flasspöhler merkte bei Buttjers Debüt (unter Klarnamen) an, dass sie um die Schwächen des Buchs wisse, die Autorin aber schon bald die Versprechen einlöse werde, die sie mit diesem Buch gebe.

Und auch Knut Cordsen konnte sich bald nur noch auf die guten alten Christine-Westermann’schen Kriterien à la Habe ich gerne gelesen berufen. Denn Svenja Flaßpöhler und Sandra Kegel zerpflückten Kopetzkys Buch immer mehr, bis am Ende nur noch ein gerupftes Häuflein Literatur übrigblieb (Keine interessanten Frauenfiguren! Forrest-Gump-Haftigkeit! Verpatzte Sprachbilder! Alberne Dialoge!). Auch Knut Cordsen konnte diesem Buch keine große Ehrenrettung mehr angedeihen lassen. Wenngleich ich glaube, dass dem Buch hier Unrecht getan wurde, da es deutlich besser ist, als die Diskussion den Anschein erweckte, muss ich auch sagen, dass an Propaganda wohl eher Männer ob der Thematik und Erzählweise ihre Freude haben werden.

Und so blieb Knut Cordsen dann auch nur noch die Ironie, in die er sich flüchtete ob der Frage, welches Buch denn nun wohl gewinnen werde. Denn das war nach den zuvor zerpflückten Titeln mehr als deutlich. Sandra Kegel fand nur lobende Worte für David Wagners Der vergessliche Riese. Und die beiden Jurykolleg*innen schlossen sich diesem Urteil unumwunden an. Die Zartheit, die Reduziertheit von Wagners Prosa und sein gelungener Zugriff auf das Thema lösten Begeisterung aus. Und so war es dann auch der Riese, der zur abschließenden Abstimmung dreimal in die Luft gereckt wurde. David Wagner freute sich sichtlich (oder sollte man sagen riesig?), als er dann den Löwen aus Nymphenburger Porzellan entgegennehmen durfte.

Ein strahlender Sieger: David Wagner

Meyerhoff in Bestform

Der einzige Ausgezeichnete, der schon im Vorfeld des Preises feststand, war der Preisträger des Ehrenpreises des Ministerpräsidenten. Dieser trug in diesem Jahr den Namen Joachim Meyerhoff, worüber ich mich zweifach freute. Erstens, da seine Bücher toll auf dem Abgrund zwischen Komik und Trauer wandeln. Und zweitens, da relativ sicher war, dass Meyerhoff auch eine Dankesrede halten würde. Und da ich ihn als Schauspieler sehr schätze, war meine Vorfreude sehr groß.

Zurecht, wie sich dann zeigte. Denn wenn einer eine hochkomische, mitreißende um mich über eine Minute in einen Lachkrampf zwingende Rede halten kann – dann Joachim Meyerhoff. So schilderte er seine Überlegungen, ob Ministerpräsident Söder überhaupt seine Bücher gelesen habe, wenn er ihn schon auszeichnet. Genauso erzählte er von seinem ersten Preis, den er jemals errang (ein Vogelhäuschen). Oder er nahm die Zuhörer*innen mit zurück zu seinem ersten Engagement am Gärtnerplatztheater. Eine mit Verve vorgetragene Episode mit einem betrunkenen Bass in Mozarts Entführung aus dem Serail folgte. Wenn einer weiß, wie man Pointen setzt, das Traurige im Komischen nicht vergisst und sein Publikum in den Bann zieht, dann ist das Joachim Meyerhoff. Dass er dafür den Ehrenpreis erhielt, das geht in meinen Augen mehr als nur in Ordnung. Und auch schön, dass er mit seiner Performance die negative Stimmung nach der Causa Koppetsch endgültig austreiben konnte.

Fragen über Fragen

Dass hier am gestrigen Abend beste Bücher brachial beschädigt worden wären, wie es ein etwas albern alliterarischer Artikel artikuliert, davon kann keine Rede sein. Aber dennoch bleiben auch bei mir ob dieser Transparenz und dem Umgang der Jury mit der Causa Koppetsch Fragen – auf die ich auch noch keine Antworten gefunden habe.

Wie sollte man beim nächsten Mal bei einer Diskussion auf der Bühne agieren? Wie kann man einen solchen Eklat unterbinden? Wie kann man eine Unwucht in der Diskussion verhindern und sollte man sich schon vorab über Bücher abstimmen, die auf einem ungefähr gleichen Niveau zu diskutieren sind? Und welchen Preis kann man für Joachim Meyerhoff noch aus dem Hut zaubern, damit er noch mehr solcher großartigen Dankesreden hält?

Ein Bayerischer Buchpreis, der Fragen aufwirft und der mir auf alle Fälle im Gedächtnis bleiben wird. Eben ein denkwürdiger Abend. Fand auch Arnd Stroscher, der diesmal als Buchblogger den Bayerischen Buchpreis begleitete.


Bildmaterial: Presseseite des Bayerischen Buchpreises

Seitenblicke in Fürth | 22.03.2018

In der kommenden Woche darf ich wieder einmal das machen, was ich am liebsten tue: mich mit anderen über gute (oder schlechte) Literatur unterhalten. Dies tue ich im Rahmen der halbjährlich stattfindenden Veranstaltung Seitenblicke in der Volksbücherei Fürth.

Am 22.03.2018 werden wir ab 19:30 in den Räumen der Innenstadtbibliothek Carl Friedrich Eckart Stiftung (Friedrichstraße 6a, 90762 Fürth) über diese drei Bücher diskutieren:

Emily Ruskovich: Idaho

Ein flirrender Sommertag in Idaho, USA: eine Familie im Wald, die beiden Mädchen spielen, die Eltern holen Brennholz für den Winter. Die Luft steht, die Mutter hat ein Beil in der Hand – und innerhalb eines Augenblicks ist die Idylle zerstört. Ist es Gnade, dass der Vater, Wade, langsam sein Gedächtnis verliert? Bald wird er nicht mehr wissen, welche Tragödie sich an jenem Tag abgespielt hat, wie seine Töchter hießen und seine Frau, Jenny, die zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Auch Ann, die Frau, deren Liebe groß genug ist, um zu Wade in das leere Haus zu ziehen, wird nie den Hergang der Tat erfahren. Aber mit jedem Tag an Wades Seite erkundet sie genauer, was damals geschehen ist, und nimmt schließlich Kontakt zu Jenny auf …

Hans Pleschinski: Wiesenstein

Der alte Mann, eine Berühmtheit, Nobelpreisträger, verlässt mit seiner Frau das Sanatorium, wo beide Erholung gesucht haben, und wird mit militärischem Begleitschutz zum Zug gebracht. Doch es ist März 1945, das Sanatorium Dr. Weidner liegt im eben zerstörten Dresden und der Zug fährt nach Osten. Gerhart und Margarete Hauptmann nämlich wollen nirgendwo anders hin als nach Schlesien, in ihre Villa „Wiesenstein“, ein prächtiges Anwesen im Riesengebirge. Dort wollen sie weiterleben, in einer hinreißend schönen Landschaft, mit eigenem Masseur und Zofe, Butler und Gärtner, Köchin und Sekretärin, ein immer noch luxuriöses Leben für den Geist führen inmitten der Barbarei.
Aber war es die richtige Entscheidung? Überhaupt im Dritten Reich zu bleiben? Und was war der Preis dafür? Können sie und ihre Entourage unbehelligt leben, jetzt, da der Krieg allmählich verloren ist, russische Truppen und polnische Milizen kommen? Und das alte Schlesien untergeht?

Janet Lewis: Die Frau, die liebte

Als Martin Guerre nach langjähriger, rätselhafter Abwesenheit endlich zu seiner Frau zurückkehrt, ist Bertrande de Rols, eine Frau von 30 Jahren, von Sinnen vor Glück. Der inzwischen zehnjährige Sohn weicht dem Vater nicht mehr von der Seite, das Gut blüht auf, die große Familie ist wieder vereint. Acht Jahre lang hatte Bertrande sich gesehnt, hatte gebangt und gezürnt, war weder Witwe noch frei gewesen, und jetzt – endlich – kann sie sich hingeben. Der Liebe, ihrer Sinnlichkeit, seinem Begehren. Welcher Dämon treibt ihr plötzlich Zweifel ins Herz? Ist der Mann, den sie liebt, wirklich Martin? Hin- und hergerissen zwischen ihrer Sehnsucht nach Zugehörigkeit und einer düsteren Ahnung, entfesselt sie eine richterliche Untersuchung – und eine Tragödie.

 

Über diese drei Bücher darf ich mit Doris Höreth von der Buchhandlung Pelzner und Sibylle Brunner von der Buchhandlung Edelmann streiten.

Im Anschluss gibt es noch einen Überblick über weitere lesenswerte Neuerscheinungen in diesem Bücherfrühling.

Ich würde mich über zahlreiche Zuschauer bzw. Zuhörer freuen, wenn ich schon mal wieder in meiner fränkischen Heimat weilen darf – der Eintritt ist natürlich selbstverständlich kostenlos!