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Monique Roffey – Die Meerjungfrau von Black Conch

Wenn es ein literarisches Trendthema in diesem Herbst gibt, dann ist das unzweifelhaft das des Meeres. Fast ein Dutzend Romane erschienen in den letzten Monaten, die sich mit dem Leben auf oder am Meer beschäftigen (Auf See von Theresia Enzensberger, Zur See von Dörte Hansen, Über die See von Mariette Navarro, und so weiter und so fort). Nun gibt es mit Die Meerjungfrau von Black Conch einen Roman zu entdecken, der auch das Leben unter dem Meer in den Blick nimmt, indem Monique Roffey den Meerjungfrauenstoff feministisch neuinterpretiert und auf eine abgelegene Karibikinsel verlegt.


Black Conch heißt die kleine Insel, auf der David Baptiste lebt und als Fischer arbeitet. Mit Gitarre und Spliff ausgerüstet will er einen entspannten Tag auf dem Meer verbringen, als er zum ersten Mal die Bekanntschaft mit der Meerjungfrau namens Aycayia macht, die angezogen von seinem Gesang nahe seines Bootes auftaucht.

Die Meerjungfrau in der Badewanne

Dass das Ganze nicht auf einer drogeninduzierten Wahrnehmungsstörung beruht, das stellt sich spätestens dann heraus, als er im Gefolge von amerikanischen Touristen deren Angelausflug begleitet. Denn dort geht den Männern gerät anstelle eines stattlichen Fisches die Meerjungfrau an den Haken gerät. Was bei Ernest Hemingway der Marlin des alten Mannes war, das ist den Männern jetzt die Meerjungfrau, die sie in einen epischen Kampf verwickelt und aus dem die rohen Männer am Ende als Sieger herausgehen.

Monique Roffey - Die Meerjungfrau von Black Conch (Cover)

Als die Männer in einer Kneipe ihren Sieg über das weibliche Wesen feiern wollen, nutzt Baptiste die Gelegenheit und entwendet die Jagdtrophäe namens Aycayia, um sie aus der Macht der Männer zu befreien und bei sich zuhause in der Badewanne zu parken. Diese Notlösung erweist sich als Herausforderung, denn langsam transformiert sich die Meerjungfrau in Baptistes Badewanne.

Sie verliert ihren Fischschwanz und wird unter den staunenden Blicken Baptistes wieder zu der Frau, die sie einst war. Doch natürlich kann man so eine Meerjungfrau natürlich nicht einfach so bei sich zuhause unterbringen, selbst wenn der Schauplatz der Geschichte eine dünne besiedelte Karibikinsel ist. Das muss auch David erfahren, denn eine übergriffige Nachbarin und uralte Kräfte haben auch noch ein Wörtchen mitzureden. Und so kommt es zu Fischregen, einem Polizeieinsatz und mehr, stets mit dem Ziel, wieder Macht über die Meerjungfrau zu erlangen.

Eine Neuinterpretation mit feministischem Einschlag

Die Meerjungfrau von Black Conch ist aus zwei Gründen eine interessante Lektüre. Zum Einen ist es der feministische Aspekt der Geschichte, der vom Versuch der Domestizierung, weiblicher Anpassung und Widerstandskraft erzählt – wenngleich manchmal auch etwas brachial (und für mein Empfinden gerade im ersten Teil des Buchs zu brachial, wenn die Männer gnadenlos geifernd zur Jagd auf die Meerjungfrau blasen).

Eine Greisin und eine Schönheit, beide ausgestoßen. Frau zu sein war gefährlich, wenn man irgendetwas nicht richtig machte.

Monique Roffey – Die Meerjungfrau von Black Conch, S. 212

Hier ist es eben nicht nur eine Geschichte von Männern, die über den weiblichen Körper verfügen, sondern auch die weibliche Perspektive kommt zu Gehör. Immer wieder erzählt Aycayia selbst von ihrem Leben und ihrer äußeren und insbesondere inneren Zerrissenheit – und zwar in der Form von Lyrik.

Das ist dann auch der zweite Punkte, der Monique Roffeys Buch zu einer intereressanten Lektüre werden lässt. Denn statt für eine normale Schriftsprache entscheidet sich die auf Trinidad geborene Autorin für karibisches Englisch, das sich aus verschiedenen Elementen zusammensetzt, darunter etwa kreolisches Englisch und lokaler Slang, was zu einer starken Mündlichkeit der passagenweise eingesetzten Sprache führt.

Wie übersetzt man karibisches Englisch?

Ähnlich wie zuletzt die Übersetzerin Karin Diemerling, die den auf der Karibikinsel Camaho spielenden Krimi Die Knochenleser von Jacob Ross ins Deutsche übertrug, entscheidet sich auf die Übersetzerin Gesine Schröder im vorliegenden Fall, diese im Deutschen nicht adäquat wiederzugebenden Sprachfärbung durch einen künstlich nachgebildeten Slang abzubilden, oder wie sie es im Nachwort zu ihrer Übersetzung schreibt:

Es gibt gewichtige Argumente dafür, bei der Übersetzung auf Abweichungen von der Standardsprache in Satzbau und Wortbildung zu verzichten- sie werden von Leser:innen oft schlicht als Fehler empfunden. Die Unterschiede einzuebnen würde andererseits dem Roman eins seiner wesentlichen Gestaltungsmittel nehmen. Die Sprechweise jeder Figur lässt ihre Gruppenzugehörigkeit, ihren sozialen Status und ihre Haltung zum Geschehen erkennen. (…) Und schließlich haben die trinidadischen Passagen einen charakteristischen Rhythmus, einen Singsang, der dem Erzählten eine besondere Färbung verleiht.

All das ginge verloren, wenn die Unterschiede im Deutschen nicht deutlich sichtbar wären.

Gesinde Schröder in ihrem Nachwort zu „Die Meerjungfrau von Black Conch“, S. 237 f.

Das macht aus dem Roffeys Roman ein außergewöhnliches, man könnte auch sagen eigenwilliges Erlebnis, wenn der Fischer David Baptiste in seinem Tagebuch des Jahres 2015/16 von den Ereignissen berichtet, die sich damals im Sommer des Jahres 1976 abgespielt haben. Aber das alles bleibt trotz lyrischer Passagen und fiktivem Slang dann doch gut lesbar, da dieser immer wieder zugunsten von Schriftdeutsch abgelöst wird.

Zudem ist Schröders Idiom auch deutlich dezenter eingesetzt als beispielsweise das fiktive schwarze Amerikanisch, das Werner Löcher-Lawrence seine Figuren in James McBrides Der heilige King Kong sprechen lässt, das die Figuren fast entstellt. Hier ist alles dezenter eingesetzt und verleiht der Neuinterpretation durchaus Charme, indem die Figuren trotz der eigenwilligen Sprache nicht als Simpel karikiert werden.

Fazit

Diese übersetzerische Entscheidung und der Aspekt einer mutigen Neuinterpretation eines schon fast zum Märchenkitsch geronnenen Mythos holen Die Meerjungfrau von Black Conch in die Gegenwart und machen aus dem alten Stoff eine ambitionierte Erzählung auf Höhe des Zeitgeists, die von Zerrissenheit, männlichem Eroberungsdrang und einer ungewöhnlichen Liebe erzählt. Mit exotischem Schauplatz versehen fernab jeder Märchenstunde ist hier ein eigenwilliges Buch zu entdecken, in das man abtauchen kann.


  • Monique Roffey – Die Meerjungfrau von Black Conch
  • Aus dem Englischen von Gesine Schröder
  • ISBN 978-3-608-50522-1 (Tropen)
  • 240 Seiten. Preis: 22,00 €
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Claire Thomas – Die Feuer

Wer kennt es nicht. Da sitzt man in einer Theateraufführung mit womöglich mehreren Akten und einer Lauflänge über zwei oder drei Stunden – und der Funke der Inszenierung will nicht wirklich überspringen. Das Geschehen auf der Bühne löst nichts in einem aus, stattdessen lässt die Aufmerksamkeit nach und die Gedanken beginnen zu schweifen. Auch den drei Frauen, die in Claire Thomas´ Roman Die Feuer aufeinandertreffen, ergeht es nicht anders. Bei ihnen hat das allerdings ganz unterschiedliche Gründe.

Während auf der Bühne Beckett gegeben wird, lodern die Flammen rund um Melbourne immer höher und Sorgen, Erinnerungen und Überlegungen überlagern alles.


Pünktlich zum Klingeln der Vorstellung hat es Margot in den Theatersaal geschafft. Während draußen vor der Tür um 19:00 Uhr abends noch Temperaturen von vierzig Grad herrschen, ist es im Innenraum des Theaters doch verhältnismäßig kühl. Welches Stück gegeben wird, weiß sie als Abonnentin gar nicht und will sich überraschen lassen. Von ihrem unbekannten Sitznachbar erfährt sie noch, dass es sich um ein Stück von Samuel Beckett handelt, danach öffnet sich schon der Vorhang.

Drei Frauen, ein Theaterstück

Summer hingegen kennt sich sehr gut aus. Sie hat dem Stück schon mehr als fünfmal beigewohnt. Dies allerdings nicht aus Enthusiasmus, sondern weil es ihr Job als Schließerin im Theater erfordert, die Türen rechtzeitig zu öffnen und zu schließen und die Nachzügler im Theater noch einzuweisen. Auf einem Sperrsitz verfolgt sie einmal mehr die Vorstellung.

Claire Thomas - Die Feuer (Cover)

Und dann ist da noch Ivy, die ebenfalls im Zuschauerraum sitzt. Später in der Pause wird sie umschwärmt und verwöhnt werden, was einen einfachen Grund hat. Ivy ist als Mäzenin im Besitz von viel Geld, das natürlich Interesse und Begehren weckt. Auch das Theater möchte von ihren finanziellen Zuwendungen profitieren, weswegen sie als gern gesehener Gast natürlich hofiert wird.

Diese drei Frauen sitzen alle im selben Theaterstück, vom Inhalt bekommen sie allerdings nur wenig mit. Eine bis zu ihrem Rumpf eingegrabene Frau namens Willie unterhält sich im Stück mit ihrem Mann Winnie, der die meiste Zeit abwesend ist. Recht viel mehr passiert nicht in Samuel Becketts Stück Glückliche Tage, was den Frauen viel Raum zum Mäandern der Gedanken gibt.

Da ist die bedrohliche Lage der Feuer rund um Melbourne, die besonders Summer belasten. Ihre Freundin April befindet sich irgendwo da draußen in der Feuerzone und lässt nichts von sich hören. Margot belastet der Rauch in der Luft ebenso wie die Situation ihres Abschieds von der Uni und die schwierige Beziehung zu ihrem dementen Mann. Und Ivy hadert mit ihrem Dasein als stets umschwärmte Geldgeberin, bei der doch eher ihr Vermögen als ihre Persönlichkeit im Zentrum der Aufmerksamkeit steht.

Ein Theaterabend, drei ganze Leben

All diese Belastungen und Probleme wälzen die Frauen, während Willie auf der Bühne monologisiert. In der Pause werden alle drei Figuren aufeinandertreffen, die von Claire Thomas passenderweise in Form eines Theaterstücks mit reinen Dialogen und Handlungsanweisungen geschildert wird, ehe sie zum zweiten Teil verändert an ihre Plätze zurückkehren und neue Impulse gewonnen haben.

Claire Thomas ist dann aber souverän und klug genug, das Ende nach dem Fall des Vorhangs nicht auszuerzählen, sondern vieles offen zu lassen, womit sie sich natürlich auch an Samuel Becketts existenzialistischen Dramen und Schauspielen orientiert, die es den Zusehenden auch in ihrer Deutung nicht leicht machen und keine einfachen Antworten liefern.

Während die Einheit von Raum und Zeit gewahrt bleibt, fächert sie durch die Gedankenströme der drei Frauen ganze Leben auf, erzählt von Scheitern, Enttäuschungen, Ängste, Gewalterfahrungen und Lebensentwürfen, die doch ganz anders endeten, als sie eigentlich erhofft waren. Auch lässt das Stück selbst Rückbindungen auf die Leben der drei Figuren zu, erlaubt interpretatorische Ausdeutungen und ist reich an Zwischentönen.

Fazit

Das macht aus Die Feuer eine starke, intensive Lektüre, die auf 250 Seiten drei ebenso unterschiedliche wie gleichwertig überzeugende Leben und Schicksale präsentiert. Eine vibrierende Lektüre, die durch die abstrakte Gefahr des Feuers mitbangen lässt und durch die Konzentration auf das kleine Personenensemble Intimität und Eindringlichkeit entfaltet.

Literarisch durch die beständigen Abschweifungen und eingebauten Erinnerungsschleifen rund um das Beckett-Stück interessant erzählt, gönnte sich Claire Thomas den Luxus, nicht alles ganz genau auszubuchstabieren, sondern bei aller Verzahnung der drei Leben auch Leerstellen und Freiräume zu lassen, was das Buch umso überzeugender macht.

Mit Die Feuer reiht sich die australische Autorin nahtlos in ein wirklich exzellentes Bücherprogramm des Hanser-Verlags aus diesem Frühjahr ein, das in dieser Qualität länger nicht mehr da war. Nach Percival Everetts Erschütterung und Fatma Aydemirs Dschinns ein weiteres Highlight. So darf es im Herbst gerne weitergehen!


  • Claire Thomas – Die Feuer
  • Aus dem Englischen von Eva Bonné
  • ISBN 978-3-446-27297-2 (Hanser)
  • 256 Seiten. Preis: 23,00 €
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