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Robertson Davies – Der Fünfte im Spiel

Welche lebenslangen Konsequenzen ein einfacher Schneeballwurf haben kann, das illustriert der Autor Robertson Davies in seinem 1970 erschienenen Roman Fifth Business, zu Deutsch Der Fünfte im Spiel. Eine Wiederentdeckung.


Robertson Davies (1913-1995) gilt als einer der bekanntesten kanadischen Schriftsteller, dessen Bücher vielfache Ehrungen erhielten, unter anderem Nominierungen für den Booker Prize. Das Schreiben war für Davies lange eine Nebentätigkeit, bis 1981 arbeitete er nämlich eigentlich am Trinity College an der Universität von Toronto. Dort lehrte er bis zu seinem Ruhestand Literatur und Kreatives Schreiben. Zeitlebens interessierte er sich auch stark für Psychologie und die Lehren der großen Psychiater jener Zeit, darunter etwa Sigmund Freud oder C. G. Jung. All diese Themen, mit denen Davies zeitlebens in Berührung kam, finden sich auch in Der Fünfte im Spiel, das vielen als Davies‘ bestes Buch gilt.

Der Erzähler ist Dunstable Ramsay, genannt Dunstan. In einer Rückschau berichtet er dem Direktor seiner Schule, an der er jahrzehntelang lehrte, von seinem Leben. Ausgangspunkt ist dabei jener eingangs erwähnte Schneeballwurf. Aus jugendlichem Leichtsinn wirft sein Freund/Feind Percy Boyd Staunton einen Schneeball nach Dunstan. Doch dieser duckt sich weg, sodass der Schneeball die schwangere Frau des lokalen Pfarrers trifft. Jene Mrs. Dempster, so ihr Name, stürzt hochschwanger – und löst so die Geburtswehen aus. Ihr Kind kommt deutlich vor dem erechneten Termin zur Welt – und Dunstan wird von großen Schuldgefühlen geplagt. In der Folge entspinnt sich zwischen ihm und Mrs. Dempster eine komplizierte Freundschaft, die das ganze Leben lang andauern soll.

Aus einem Schneeball wird eine Lawine

Chronologisch entfaltet Dunstable vor uns sein Leben, ausgehend von jenem schicksalhaften Schneeball, aus dem eine ganze Lawine an Schicksalen und Ereignissen werden soll. Dabei ist der Ton, in dem die Geschichte erzählt wird, kaum veraltet, trotz des nun baldigen 50-jährigen Jubliäums des Romans. Einen Anteil daran hat auch die Übersetzung von Maria Seifert.

Man folgt Dunstans Erlebnissen sehr gerne, egal ob dieser von seinem Schicksal im Ersten Weltkrieg, seiner Kindheit in der kanadischen Provinz oder seinen Abenteuern bei einem Zirkus erzählt. Das Buch hat einen ruhigen Fluss, weiß an manchen Stellen mit trockener Komik zu überraschen, bietet eine interpretatorische Vielfalt und ist einfach das, was ich landläufig als guten Schmöker bezeichnen würde. Mir war es an manchen Stellen etwas zu viel Metaphysik und Religion (gerade die von Davies ausführlich skizzierten religiösen Befindlichkeiten und Rivalitäten der verschiedenen Kirchen sind doch etwas aus der Zeit gefallen). Aber das gleicht sich auf die Länge des Romans gut aus. Eine wirkliche Wiederentdeckung, die in Kanada zu Recht auf den Lektürelisten von Schulen steht.


Bildrechte Porträt Davies: By Source (WP:NFCC#4), Fair use, https://en.wikipedia.org/w/index.php?curid=5500688

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Karl-Ove Knausgård – Leben

Die Arbeiten im Bergwerk der Erinnerungen gehen weiter. Karl-Ove Knausgård steigt abermals tief hinein in seine Biografie und fördert Erinnerungen zutage, die er zu einem dichten Porträt seiner Adoleszenz verwebt.

Leben von Karl Ove Knausgard

Leben von Karl Ove Knausgard

Die Mühen der Kindheit und der Pubertät liegen größtenteils hinter Knausgård (vgl. den Vorgängertitel Spielen), nun gilt es zu leben. Doch dieses Leben startet zunächst gänzlich unspektakulär. Als Lehrer einer kleinen Schule in Nordnorwegen verdingt er sich als 18-Jähriger. Dort erlebt er erste Schritte als Pädagoge, versucht in die Dorfgemeinschaft hineinzufinden und ist von den Frauen in seiner Nähe überfordert.

Während er versucht, in einer Art Zwergenschule seinen Schülern Astronomie oder norwegische Literatur nahezubringen, verdrehen ihm die Frauen den Kopf. Zwar würde er bei diesen gerne einmal zum Zug kommen, doch Knausgårds eigene Unbeholfenheit steht dem im Wege. Während sich die Eltern nach der Scheidung in ihren neuen Leben einrichten, sucht er derweil halt bei Freunden oder exzessiven Feiern. Als Plattenkritiker für eine kleine Zeitung mach er erste Schritte als Schreiber und versucht sich an Kurzgeschichten, um seinem Traum als Schriftsteller näher zu kommen.

Traeumen von Karl Ove Knausgard

Traeumen von Karl Ove Knausgard

Auch Leben ist wieder die schon aus den drei Vorgängerbänden wohlbekannte Melange aus Reflektionen und (fiktionalisierten) Erinnerungen. Die meisten dieser Erinnerungen sind eigentlich das Gegenteil von spektakulär oder überlieferungswürdig, doch gelungen schafft es der Autor, einen Erzählteppich mit großen und kleinen Episoden aus seinem Leben zu weben. Stets nimmt auch das Scheitern und die vergeblichen Mühen des Autors einen großen Raum in seinem Werk ein. Man könnte Knausgårds Schilderungen natürlich als banal oder als Selfie-Prosa schmähen, doch das wird dem Mammutwerk nicht ganz gerecht. Der norwegische Schriftsteller schafft es auch hier wieder mit seinen Erinnerungen diese auch beim Leser loszutreten und ihn ins eigene Erwachsenwerden zurückzukatapultieren. Man erinnert sich an Episoden seiner eigenen Biografie und reist so mit Karl-Ove Knausgård auch ins eigene Bergwerk der Erinnerung hinab. Bislang auf Deutsch übersetzt liegt noch vor: Bd. 5 Träumen

 

 

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