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Akiz – Die Königin der Frösche

Märchen, ein Fall für Kinder? Mitnichten, wie der Schriftsteller Achim Bornhak alias AKIZ in seinem Roman zeigt. Nach der Welt der Küche und Spitzengastronomie wendet er sich nun in Die Königin der Frösche dem Märchen des Froschkönigs zu und interpretiert es deutlich düsterer, als man es aus seiner Kindheit noch in Erinnerung haben dürfte.


Der Froschkönig, war das nicht dieses Märchen mit dem Mädchen, dem beim Spielen die goldene Kugel in den Teich fiel und dann einen Frosch als Entlohnung der Kugelrettung küsste, der sich anschließend in einen Prinz verwandelte? In AKIZ‘ Version ist das Ganze deutlich dunkler und weitab von Disney- oder Märchenstundenromantik. Bei ihm befinden wir uns im Erlensteiner Tal, wohin Friedrich von Waidhofenstein mit Gefolge reist.

Im düsteren Erlensteiner Tal

AKIZ - Die Königin der Frösche (Cover)

Wir schreiben das Jahr 1799, die letzten Tage des Jahrhunderts sind angebrochen, das 19. Jahrhundert, es steht bereits an der Schwelle. Doch dort im Erlensteiner Tal wirkt noch vieles wie aus dem Mittelalter, spätestens wenn die Kutsche des Fürsten einfährt, um in der Burg des Herzogs auf Brautschau zu gehen. Dort will er die junge Ragna freien, die Tochter des dortigen Herzogs. Sie ist es, die er als potentielle Braut für den Geschlecht derer von von Waidhofenstein ausersehen hat.

Der Vater des Fürsten liegt im Sterben und erwartet einen Erben, den ihm nun endlich sein Sohn schenken soll. Die anderen beiden Schwestern von Ragna scheiden als Bräute aus (zu dick beziehungsweise zu alt, so die Ansicht der Beteiligten). Und so liegt es an der grazilen Ragna, sich mit dem Fürsten zu vermählen. Doch bis dies soweit ist, geschieht Entscheidendes, das AKIZ gleich an den Beginn seines Romans setzt.

Denn nach einer Art Ohnmachtsanfall erlebt die junge Ragna eine wundersame Szene. Sie sieht sich in einer Szene an einem Waldteich, wo sie sich einem Tempel voller Kröten nähert. Eine Kröte dort am Teich springt nicht davon, vielmehr nähern sich die beiden an. Ragna küsst diese, ehe sie aus ihrer Umnachtung wieder erwacht.

Der Mann aus dem Forst

Was ein Traum hätte bleiben können, bekommt plötzlich doch eine beunruhigende Entsprechung im echten Leben, als dort am Herzogshof ein wilder Mann aus dem Forst aufgetrieben wird, der wie ein Bruder von Kaspar Hauser wirkt. Sprechen kann er nicht, der Körper und der Hals sind verformt, die Umgangsformen quasi nonexistent. Das macht ihn zum interessanten Versuchsobjekt für den verwöhnten und gelangweilten Friedrich von Waidhofenstein, der den jungen Mann bis zum anstehenden Andreastag dressieren und bilden will. An diesem Tag der Jagd will er einen „normalen“ Menschen präsentieren, der an der traditionellen Jagd des Fürstengefolges teilnehmen soll.

Während der verwirrte junge Mann vom Fürstensohn malträtiert wird, fühlt sich Ragna auf seltsame Art und Weise zu dem Unbekannten aus dem Wald hingezogen, spätestens als sie sich am Brunnen der Burg begegnen.

Doch als ich am Brunnen saß, alleine, nur wenige Ellen von dem Jungen entfernt, und er mich anstarrte, als hätte er Witterung aufgenommen, da war mir mit einem Male ein wenig ungeheuerlich zumute, doch gleichwohl aufregend und geradezu so, als würden Ameisen durch meinen Geist krabbeln.

Akiz – Die Königin der Frösche, S. 96

Animalische Verwandlungen

Doch nicht nur in Sachen des jungen Mannes unbekannter Herkunft bemerkt Ragna eine Veränderung ihrer Gedanken und Überlegungen. Auch an sich selbst entdeckt sie neue Facetten. So wecken wie einst in Bram Stokers Dracula beim Charakter Renfield nun auch bei ihr Insekten einen ganz besonderen Appetit, zum Erschrecken ihres Umfelds.

Doch gleichwohl scheint es dem Fürsten gänzlich entgangen zu sein, dass die herzogliche Infantin ihrerseits immer ungezähmter wirkt. Neulich, da habe ich sie gesehen, wie sie ein Insektengetier mit ihren Fingern gefangen und es sich in den Mund gesteckt hat, als wäre der Teufel in sie gefahren, geliebtes Lottchen, stell dir das vor. Dem Fürsten habe ich aber nichts erzählt, zu sehr hätte es ihn aus der Fassung gebracht, und was ist es meine Angelegenheit, ihn darauf aufmerksam zu machen, was für ein gottloses Gör er sich mit der herzoglichen Tochter einzuhandeln droht.

Akiz – Die Königin der Frösche, S. 124

Multiperspektivisch erzählt Akiz in Briefen und Niederschriften von der Wandlung Ragnas hin zu einer zunehmend von der Naturwelt des Waldes und dem unbekannten Wilden angezogenen Frau. Während sie immer animalischer wird, versucht der Fürstensohn in einer gegenläufigen Bewegung den Wilden aus dem Wald zu zähmen und zu erziehen. Davon berichtet Ragna, der Fürst an seinen Vater – und auch andere Figuren wie etwa Jörn im obigen Beispiel erzählt von den Entwicklungen in Briefen an seine Frau.

Das ist nicht immer wirklich leicht durchdringbar, da sämtliche Figuren und Schreiber*innen in nur leichten Abweichungen das gleiche historisierende Vokabular nutzen, mit denen sie Akiz ausstattet.

Er erzählt eine Art „Neo-Märchen“, wie es auch beispielsweise Stefan aus dem Siepen mit seiner Erzählung Das Seil tat. Wir haben es mit einer Erzählung zu tun, die über ihren reinen Inhalt hinaus eine vielgestaltige Interpretation erlaubt. So ist AKIZ‘ düstere Neudeutung in meinen Augen eine Fabel, die von männlicher Gewalt und einer außergewöhnlichen Liebesgeschichte erzählt, wie sie in dieser Art auch zuletzt in Monique Roffeys Die Meerjungfrau von Black Conch zu lesen war. Während bei ihr der klassische Anders’schen Märchenstoff als Grundlage diente, ist es hier eben das Märchen der Gebrüder Grimm. Beiden Neuerscheinungen ist eine ebenso realistisch und wenig optimistisch Ausdeutung des tradierten Stoffes gemein.

Fazit

Hier birst am Ende niemandem das Herz vor schierer Freude, wie es dem Heinrich im ursprünglichen Märchen der Grimms widerfuhr. Vielmehr flieht hier der Fürstensohn in Hast und tiefem Schrecken mit seiner Kutsche wie einst auch Jonathan Harker von der Burg des Grafen Dracula. Nicht nur in diesem Abgleich mit der inzwischen glattpolierten und gefälligen Märchenvorlage nach den Gebrüdern Grimm zeigt sich, dass Die Königin der Frösche nur wenig gemein hat mit der romantisierten Märchenwelt der Grimms, sondern vielmehr auch dem Horrorpotential von Tier- und Waldeswelt nachspürt.

AKIZ als Romanautor ist eine mehrperspektivische Neuinterpretation des Stoffs gelungen, die von tierischer Urkraft im Menschen erzählt, die Domestizierungsversuchen eine Abfuhr erteilt und die in ihrer Düsterkeit sicherlich auch eine Geschmacksfrage ist.

Ob dieses Neo-Märchen eine ähnlich große Fangemeinde wie die Ursprungswerke der Gebrüder Grimm hinter sich versammeln kann, dass darf man bezweifeln. Dennoch ein höchst originelles und außergewöhnliches Werk in der aktuellen Literaturlandschaft, das düster von Verwandlungen vom Menschlichen ins Tierische und umgekehrt erzählt.


  • Akiz – Die Königin der Frösche
  • ISBN 978-3-446-27645-1 (Hanser blau)
  • 176 Seiten. Preis: 20,00 €
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Eudora Welty – Der Räuberbräutigam

Ein Südstaaten-Märchen

Eine Sensation: Die Gebrüder Grimm sind gar nicht gestorben, sondern sind aus Kassel nach New Orleans emigriert und haben unter dem Pseudonym Eudora Welty einen Roman verfasst. Das könnte man zumindest annehmen, wenn man Der Räuberbräutigam liest.

Dieser Roman erschien im Original bereits 1942 und wurde nun über siebzig Jahre später von Hans J. Schütz ins Deutsche übertragen. Tatsächlich herrscht im ganzen 155-Seiten-dünnen Roman ein solcher Tonfall und eine solche Magie, dass man hier nur von einem Märchen, und zwar einem Südstaaten-Märchen sprechen kann.

Eudora Welty  Der Räuberbräutigam (Cover)

Das Buch dreht sich um den Räuber Jamie Lockhart, der im finsteren Tann des Missisippi-Deltas sein Unwesen treibt, und der jungen und unschuldigen Rosamond, die von ihrer fiesen Stiefmutter Salome geknechtet wird. Eines Tages https://www.klett-cotta.de/buch/Weitere_Autoren/Der_Raeuberbraeutigam/61792entführt ein Räuber diese, als sie gerade Kräuter sammeln ist. Doch Rosamonds Vater fällt eine Lösung für dieses Problem ein, schließlich hat er die Bekanntschaft mit Jamie Lockhart gemacht – der quasi zugleich Entführer und Retter seiner Tochter werden wird. Doch damit beginnt die Volten-schlagende Handlung eigentlich erst so richtig. Es treten auf: fiese Stiefmütter, dunkle Wälder, Räuberbanden, kluge und gewitzte Charaktere sowie nicht so helle Gestalten – willkommen in einem Südstaaten-Amerika, das man so noch nicht gelesen hat.

Der Räuberbräutigam ist wahrlich aus der Zeit gefallen. Hätten Joe R. Lansdale, die Gebrüder Grimm, William Faulkner und E. T. A. Hoffmann zusammengesessen, dieses Stück Literatur wäre wohl so ähnlich herausgekommen.

Das Buch ist ein Fest der Magie, der Sprache und des schon längst vergangen geglaubten Gefühls, das Märchen in einem Menschen auslösen können. Stark erinnert das Märchen auch an dadaistische Erzählungen – Lewis Carrolls Alice im Wunderland könnte für diese Erzählung auch Pate gestanden haben. Genau das richtige für Leser, für die die Geschichten auch mal etwas fantastischer und abgedrehter sein dürfen!

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