Tag Archives: Spionage

Toby Barlow – Baba Yaga

Phantastisches Paris

Mit wunderschönem Cover ausgestattet schickt der neu begründete Atlantik-Verlag mit Toby Barlow gleich einen Hochkaräter an den Start. Das fünfhundertvierundvierzig Seiten starke Buch dürfte vor allem Freunde abseits des literarischen Mainstreams beglücken, die Freude an Experimenten haben.

Toby Barlow präsentiert ein Buch, das in vielerlei Hinsicht aus dem Rahmen fällt. Wann hat man seit Kafkas Verwandlung einen Roman gelesen, in dem ein Protagonist in ein Insekt verwandelt wird? Wer hat es zuletzt gewagt, einen Agententhriller mit leibhaftigen Hexen zu kreuzen? Barlow tut dies in „Baba Jaga“ auf höchst ungewöhnliche Weise.

Er erzählt von zwei Hexen, die seit Jahrhunderten durch die Gegend geistern und sich nun im Paris der 50er Jahre niedergelassen haben. Als eine der beiden Hexen nun ihren Liebhaber im Affekt tötet, tut sie dies so ungewöhnlich, dass ihnen die Polizei in Form des Kommissars Vidot auf die Spur kommt. Als dieser den Hexen zu nahe kommt, wird er in einen Floh verwandelt. Und dann gibt es auch noch den CIA-Geheimagenten Will, der seine Tarnidentität sorgsam pflegt, sich dann aber ebenfalls in eine der beiden Hexen verliebt.

Baba Jaga ist eine bunte Wundertüte, die Erwartungen der Leser immer aufs Neue ins Leere laufen lässt, Haken schlägt, ins Phantastische abdriftet, um als nächstes gleich mit einem Shootdown ums Eck zu biegen. Das ist so reizvoll wie ungewöhnlich. An einigen Stellen hätte ich mir etwas weniger erzählerische Volten gewünscht sowie etwas mehr Stringenz – das Buch fordert dem Leser nämlich schon einiges an Aufmerksamkeit ab, damit die Bezüge und Entwicklungen klar sind. Ansonsten ein Tipp für alle Liebhaber von Ungewöhnlichem!

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Hakan Nesser – Himmel über London

Die Wolken ballen sich und kulminieren gewaltig über London: verschiedene Personen versammeln sich zu einem letzten Geburtstag, die Menschen haben völlig unterschiedliche Schicksale, die Motive sind unklar und dann schleicht auch noch ein Serienmörder durch die wolkenverhangene englische Metropole. Alles andere als auf den ersten Blick durchschaubar ist das Handlungsgerüst, das Himmel über London zugrunde liegt – und dann springt Nesser auch noch in der Zeit und in den Erzählebenen herum – dies verlangt dem Leser schon Einiges ab.

Wohlweislich prangt das Signet Roman auf dem Cover, denn wer sich vom Namen Hakan Nesser zur Annahme verleiten lässt, dass es sich hierbei um einen Krimi handelt, dürfte sich enttäuscht sehen. Zwar geht es auch noch peripher um einen Serienmörder, der bei seinen Opfern eine kaputte Uhr hinterlässt, dies ist aber der wohl nichtigste Erzählstrang.

Stattdessen ist Himmel über London die Studie eines todkranken Mannes inklusive dessen Familie, ein Spionageroman und eine Verneigung vor der titelgebenden Stadt London. Jeder der einzelnen Gäste, die Leonard Vermin auf seiner letzten Geburtstagsfeier begrüßt, hat einen eigenen Erzählstrang und über das ganze Buch hinweg schafft es Nesser, den Leser im Ungewissen zu halten, was diese Personen im Innersten zusammenhält.

Wer an den Romanen von Ian McEwan oder William Boyd seine Freude findet, der dürfte auch mit Himmel über London gut beraten sein.
Mit seinem neuesten Roman gelingt Hakan Nesser eine andere Tonlage als sie sonst in seinen Van-Veeteren- und Barbarotti-Krimis herrscht. Wer sich von Erwartungen losmacht, überraschen lässt und genügend Konzentration mitbringt, der erhält mit Himmel über London einen eigenwilligen und vielschichtigen Roman aus der Feder eines der besten skandinavischen Autoren!

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