Die Wut, die bleibt. In Simone Atangana Bekonos Debüt gibt diese Einblick in die Seele einer jugendlichen Heldin, die ihre Verletzlichkeit in Gewalt kehrt – und die die Folgen ihres Tuns in eine Jugendstrafanstalt in den Niederlanden bringen. Doch kann ein Aufenthalt dort Salomés Zorn wirklich mindern – und woher kommt eigentlich diese Wut?
„Mein Name ist Salomé“, sage ich. „Salomé Henriette Constance Atabong. Das bin ich“
Simone Atangana Bekono – Salomés Zorn, S. 243
Wo sich andere Figuren dem Leser oder der Leserin am Anfang einer Geschichte vorstellen, da beschließt Salomé, die von Simone Atangana Bekono erdachte Heldin, ihren Bericht mit diesen Worten.
Kennenlernen konnte man die junge Frau auf 242 Seiten zuvor ausführlich – denn im Kern ist das Debüt der niederländischen Autorin die Erkundung der Seelenlandschaft einer jungen Frau, die sich manchmal selbst fragt, ob es von ihr vielleicht zwei verschiedene Varianten gibt.
Die Wut, die bleibt
Dabei ist es die weniger zugewandte und freundliche als vielmehr höchst zornige und aggressive Version Salomés, die sie in die Situation gebracht hat, die als erzählende Rahmenhandlung dieses Buchs dient. Denn Salomé sitzt im Donut ein, dessen Name etwas in die Irre führt, ist ein Donut doch eigentlich eher mit kalorienreichem Genuss assoziiert. In realiter möchte man auf den Genuss dieses Donuts aber eher verzichten, denn es handelt sich um den Spitznamen einer Einrichtung des geschlossenen Jugendvollzugs.
Da sich die nach Geschlechtern getrennten und einzeln abgeteilten Einheiten der Strafanstalt rund um den Innenhof gruppieren, sprechen die Insassinnen dort etwas ironisch von einem Donut. Einzelzellen, streng getakteter Tagesablauf, Gespräche mit Therapeuten. So sieht der Alltag dort aus, wo sich Salomé ihren Taten stellen muss, die in den Donut gebracht haben.
Es sind gravierende Vorwürfe, die sich aus den Gespräch mit ihren Mitinsassinnen und Therapeuten sowie aus den Rückblenden herausschälen. Denn Salomé hat zwei Mitschüler schwer verprügelt. So schwer, dass einer von beiden für den Rest seines Lebens ein Glasauge tragen muss. Doch warum konnte es soweit kommen, dass eine eigentlich unscheinbare Frau zwei Gleichaltrige so misshandelt?
Das erzählt Salomés Zorn, in dem Simone Atangana Bekono Schicht für Schicht des Charakters und vor allem der Erfahrungen freilegt, die Salomé geprägt haben.
So wächst sie am Rande eines kleinen niederländischen Dorfs als Tochter eines Migranten der ersten Generation aus Kamerun auf. Eine buchbegeisterte Mutter, eine ältere Schwester und ein kleines Eigenheim, in dem die Familie wohnt. Das kennzeichnet die Familie Atabong, deren Oberhaupt eine eigene Antwort auf Rassismus und Ausgrenzung gefunden hat.
Mit der Faust in die Welt schlagen
Es ist wichtig, dass du dich nicht zum Opfer machen lässt“, sagte Papa, während er zeigte, wie man zuschlagen muss.
„Du machst zusammen mit deinem Schlag einen Ausfallschritt. Als ob du ein Loch in deinen Feind schlagen willst.“
Mittendurch schlagen. Stark sein. Schnelligkeit. Hart arbeiten. Sich nicht beklagen.
Sich nicht zum Opfer machen lassen.
Und wenn es doch passiert: schneller sein, als erwartet.
Das ist das Ziel
Simone Atangana Bekono – Salomés Zorn, S. 62
Der Grund für dieses doch recht handfeste Coaching sind die permanenten Übergriffe und Mobbingattacken, denen sich Salomé auf ihrer Schule, dem Sint-Odulfus-Categoraal-Gymnasium ausgesetzt sieht.
Als eine der wenigen Mitschüler*innen mit sichtbarem Migrationshintergrund ist Salomé Zielscheibe von Spott und dauernden Attacken der anderen Jugendlichen. Spätestens als eine Flüchtlingsunterkunft neben der Schule gebaut wird, bricht sich der Rassismus und die Verachtung ihrer Mitschüler*innen für Nicht-Weiße Bahn. Und so setzt Salomé auf das Mittel, das sie von ihrem Vater erlernt hat. Mit Konsequenzen, die sie schlussendlich in den Donut bringen.
Die zwei Salomés
Dabei gibt es auch eine andere Salomé. Eine, in der nicht beständig die Wut brodelt. Eine, die mit ihrer Mutter über Romane kommuniziert, die in der Welt der Literatur Geborgenheit findet, die sich für die antiken Mythen interessierte, allen voran die Legende der Medusa, und die vor allem in der Heimat ihres Vaters in Kamerun aufblüht.
Denn die familiären Wurzeln in Kamerun sind stets präsent, vor allem in Person ihrer Tante Céleste, deren Familie die Atabongs in einer der eindrücklichsten Szenen dieses Romans einst dort in ihrem Haus in Douala besuchten. Mittlerweile hat sich Céleste von ihrem Mann in Kamerun trennt und lebt mit einem neuen Partner in Spanien. Doch auch dort ist ihr Einfluss und ihre Denkweise auf Salomé präsent.
Wie Salomé zwischen den verschiedenen Einflüssen ihrer Familie und Temperamenten, den zwei Versionen ihrer selbst, den Erlebnissen dort im Donut und auch den widerstreitenden Eindrücken ihres Therapeuten Frits van Gestel, den sie aus dem Fernsehen kennt, wo er mit seiner Liebe zu Afrika bei Salomé keineswegs punkten konnte, all das vermengt Simone Atangana Bekono zum vielschichtigen Psychogramm einer jungen Frau, die ihren eigenen Weg erst noch finden muss und die ihre Wut manchmal auf Abwege führt, wenngleich die Hintergründe dieser Wut anschaulich begründet werden.
Dabei würde Salomés Zorn vielleicht noch ein etwas präsenterer Spannungsbogen abseits des sich langsam zusammensetzenden Bildes von Salomés Werden und Sein guttun, für ein Debüt allerdings ist das, was die 1991 geborene Simone Atangana Bekono hier vorlegt, in seiner psychologischen Tiefe und Ausdeutung wirklich schon sehr beeindruckend.
Fazit
Salomés Zorn ist eine umfassende Beschreibung der Seelenlandschaft einer wütenden jungen Frau, die von Rassismuserfahrung, von Gewalt, aber auch vom schwierigen Finden der eigenen Identität erzählt. Ausgehend von der Rahmenhandlung im Jugendstrafvollzug beschreibt Simone Atangana Bekono die von Ausgrenzung, von Bildungshunger und vom schwierigen Finden des eigenen Platzes in der Welt als Kind der ersten Migrantengeneration geprägte Welt.
Das erinnert mitunter an die Prosa Giulia Caminitos, aber vor allem an das Debüt Ellbogen der Autorin Fatma Aydemir. Denn wie Aydemir erzählt auch die junge Niederländerin vom schweren migrantische Erbe, das eine*n nicht nur durch das Äußere kennzeichnet, die Erfahrung von Rassismus und der Wunsch nach Abgrenzung und Frieden, der dann doch schnell in Gewalt kippen kann. Und so verbinden sich auch schnell Politik und Privates, Zorn und Sehnsucht nach Geborgenheit, die Enge des Donuts und die Sehnsucht nach der Weite der Welt da draußen. Das macht Salomés Zorn lesenswert und vielleicht auch zu einer potentiellen Lektüre für höhere Schulklassen macht.
- Simone Atangana Bekono – Salomés Zorn
- Aus dem Niederländischen von Ira Wilhelm
- ISBN 978-3-406-80000-9 (C. H. Beck)
- 246 Seiten. Preis: 24,00 €