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Roadtrip mit Huhn und Hund

Jasmin Schreiber – Marianengraben

Die Trauer und der Verlust, sie haben ja immer etwas Schweres. In der Behandlung des Themas schwingt zumeist viel Gravitas mit. Bedrückte Mienen, Anteilnahme, gesenkte Stimmen. Der Tod als grausiger Schnitter und Sensenmann, die Beerdigung als Trauerspiel. So war es und so ist es zumeist.

Dass dieses Thema langsam etwas aus der tabuisierten Zone geholt wird, ist vermehrt feststellbar. Bestatter, die Bücher über ihren Broterwerb und ihre Erfahrungen schreiben (zuletzt etwas Eric Wrede in The End, Heyne) oder Forscherinnen, die sich mit dem Tod auseinandersetzen (Sue BlackAlles was bleibt, Dumont) bevölkern neuerdings die Buchlandschaft. Sogar der Tod selbst wird zum Protagonisten und Erzähler, wenn man an eines der erfolgreichsten Jugendbücher der letzten Zeit denkt, nämlich Markus Zusaks Die Bücherdiebin.

Ein Enttabuisierung dieser Themen ist vermehrt zu beobachten – und auch Jasmin Schreiber leistet in ihrem Debütroman Marianengraben einen Beitrag, um den Umgang mit Verlust und Trauer zu normalisieren.

Schreiber arbeitet als ehrenamtliche Sterbebegleiterin und bloggt auch über dieses Thema. Sie beschäftigt sich besonders mit Kindern, die jung sterben, sogenannte Sternenkinder. Daneben veröffentlicht sie literarische Miniaturen auf ihrem Blog La vie vagabonde, wofür sie im Jahr 2018 als Bloggerin des Jahres ausgezeichnet wurde. Viele ihrer Texte berühren und treiben den Lesern Tränen in die Augen, so die Begründung der Jury für die Auszeichnung Schreibers. Eine Aussage, die ich nach der beendeten Lektüre ihres Romans bestätigen kann. Aber der Reihe nach.

Eine Depression, tief wie der Marianengraben

Die Geschichte, die Jasmin Schreiber in ihrem Buch erzählt, ist die von Paula. Eigentlich studiert Paula Biologie und könnte das unbeschwerte Student*innenleben genießen. Doch in Paula herrscht nur Schwere und Trauer. Denn ihr geliebter Bruder Tim ist verstorben. Beim Schwimmen im Urlaub ist er ungekommen – und seitdem ist für Paula nichts mehr wie zuvor. Sie steckt in einer tiefen Depression, so tief wie der Marianengraben, wie sie selbst bemerkt. Denn der Graben ist mit einer Tiefe von über 11.000 Metern ein gutes Symbol ihrer Trauer. Zudem war ihr Bruder ein großer Fan der Meere und ihrer Bewohner – weswegen Paula nun in Erinnerung an ihren Bruder ihren eigenen Marianengraben bewohnt.

Im Lauf des Buchs beginnen wir mit Paula aus diesem Graben aufzusteigen. Allmählich löst sich der Druck, der auf ihr lastet. Dies resultiert aus einer absurd-komischen Begegnung. Denn als Paula nachts auf dem Friedhof einsteigt, um ungestört am Grab ihres Bruders zu trauern, bemerkt sie in unmittelbarer Nachbarschaft einen alten Herren. Dieser müht sich gerade, die Urne einer Frau auszubuddeln. Paula beschließt ihm zu helfen und bildet in der Folge mit Helmut, so der Name des Urnendiebs, ein reichlich ungewöhnliches Tandem. Denn Helmut möchte die Asche von Helga, seiner Exfrau, in den Bergen verstreuen. Paula beschließt, ihm zu helfen, und so begeben sich die beiden auf einen skurrilen Roadtrip. In Helmuts Wohnmobil geht es durch Deutschland gen Berge, und das im Schneckentempo. Zahllose Pinkelpausen, ein Schäferhund namens Judy und ein Huhn namens Lutz inklusive.

Von der Trauer und dem Umgang mit ihr

Wie sich aus meiner kurzen Zusammenfassung der Handlung schon entnehmen lässt, ist es auch die Komik und das Absurde, dem bei Jasmin Schreiber eine große Bedeutung zukommt. Wie im thematisch ähnlich gelagerten Rückwärtswalzer von Vea Kaiser aus dem letzten Jahr geht es auch hier um die letzte Ruhe, die einer Leiche auf rechtlich fragwürdigen Wegen verschafft werden soll. Auch Dirk Pope mit seinem für den Jugendliteraturpreis nominierten Roman Abgefahren über den Leichtransport der eigenen Mutter wäre in dieser Reihe zu nennen, in der auch Marianengraben steht.

Vom Tonfall und vom Setting gehört Schreibers Debüt für mich ebenfalls in die Kategorie Jugendbuch. Der Roadtrip und der Blick in die jugendliche Psyche Paulas sind gelungen. Der Humor wird gut mit der Trauer verbunden, der Verlust mit dem Aufbruch, der Tod mit der Freiheit. So deckt das Buch viele Facetten ab, ohne zu sehr in eine Richtung das Übergewicht zu bekommen und ist auch durchaus für Jugendliche geeignet (eine Nominierung zum Deutschen Jugendliteraturpreis würde ich hier durchaus in Betracht ziehen).

Leichte Unstimmigkeiten

Allerdings: alles ist noch nicht ganz glatt, rund, stimmig. Eine Biologiestudentin, die sich mit allen möglichen maritimen, neuronalen und sonstigen biologischen Eigenschaften von Mensch und Tier auskennt, dann aber nicht weiß, „wer, was oder wo Bozen“ ist (S. 152), das ließ mich stutzen. Solcherlei Inkonsistenzen in der Figurengestaltung bleiben allerdings die Ausnahme.

Auch konnte ich folgendem Bild nicht viel abgewinnen:

Doch in mir gab es nichts zu schöpfen, ich saß im Marianengraben mit einer kleinen Suppenkelle und sollte damit all das Wasser und den Schmerz aus mir herausholen, damit es mir besser ginge, ich sollte alles hochholen und zur Betrachtung ausbreiten und zeigen. Doch das funktionierte nicht. Ich saß elftausend Meter weit unten der der Druck war so hoch, dass von außen sofort wieder alles in mich einströmte, sobald ich ein bisschen abschöpfte.

Schreiber, Jasmin: Marianengraben, S. 15

Schlägt man im Duden unter dem Verb (ab)schöpfen nach, so sagt das Buch Folgendes: schöpfen = (etwas oben Befindliches schöpfend von etwas) herunternehmen.

Da sich Paula in diesem Bild allerdings unter Wasser befindet und der Druck von abertausenden Tonnen Wasser auf ihr lastet, kann sie ja schlecht etwas abschöpfen. Dies würde funktionieren, wenn sie in einem Boot säße oder eine sonstige Oberfläche in der Nähe wäre. Aber unter Wasser schöpft es sich schlecht. So ist das hier ein Bild, das für mich nicht funkioniert.

Dann gibt es aber auch wieder unglaublich eindringliche Szene und Bilder, die im Kopf bleiben. Sicher, alles an Schreibers Buch ist noch nicht rund, Ecken und Kanten, an denen man sich stoßen kann, sind durchaus vorhanden. Sprachlich ist auch noch etwas Luft nach oben. Aber bei einem Debütroman darf das meiner Meinung nach auch so sein.

Fazit

Mit Marianengraben gelingt Jasmin Schreiber ein gut ausbalanciertes Buch, das unverkrampft von Tod und Trauer erzählt. Schreibers Buch rührte mich zu Tränen, ohne rührselig zu sein, und spendet Trost. Im besten Sinne gelingt der Debütantin ein All-Age-Roman, der den Tod und das Trauern in den Mittelpunkt stellt und zeigt einen ungewöhnlichen Verarbeitungsprozess. Jasmin Schreiber ist mit diesem Buch ein großer Erfolg zu wünschen.

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