Angesichts dieser Überschrift zunächst ein paar Worte vorweg. Damit wir uns nicht falsch verstehen: ich schätze Literatur über alle Maßen. Ich halte sie für sinnreich, aufklärend und in ihren besten Momenten für identitätsstiftend, wenn nicht gar befreiend. Wäre das anders, würde ich auch sicher dieses Blog hier nicht betreiben.
Ich würde mich durchaus als Literaturverfechter bezeichnen. Einer der Qualität, Relevanz und gutes Schreibhandwerk schätzt, Autor*innen kritisch begleitet und der sich auch bei rituellen Branchenspezifika wie etwa Buchmessen oder Preisverleihungen umtut. Literatur bereichert mein Leben und ich möchte sie nicht missen. Das schicke ich meinen Worten hier eindeutig voraus, um kein Missverständnis hinsichtlich des Folgenden entstehen zu lassen.
Literatur ist gesellschaftlich nicht relevant
Ich schätze Literatur sehr. Ich halte sie aber auch für weitestgehend wirkungslos. Wirkungslos in dieser Hinsicht, dass man Literatur auf eine Funktion in der Realität sublimieren möchte. Denn eine Instrumentalisierung von Büchern für bestimmte Anliegen und Zwecke ist zumeist so wirkungslos wie deplaziert.
Einmal mehr hat das die aktuelle US-Wahl eindrücklich gezeigt. Schon vor der Wahl Donald Trumps gab es zahlreiche Bücher, die seine Karriere und seinen Weg in die Politik beleuchteten. Seitdem sind Regalmeter um Regalmeter dazugekommen. Die meisten dieser Bücher sind sich in ihrer Ablehnung Donald Trumps und der Verdammung seiner Praktiken einig. Das reichte von medial breit besprochenen Titeln wie etwa den zwei Enthüllungsbücher von Reporterlegende Bob Woodward bis hin zu breit orchestrierten und in vielen Teilen der transatlantischen Leserschaft medial antizipierten Bestsellern wie etwa Feuer und Zorn von Michael Wolff. Nicht nur diese, sondern auch innerfamiliäre Enthüllungen wie etwa die von Trumps Nichte Mary Trump offenbarten die teilweise pathologische Großmannsucht, Lügen, Übertreibungen, fragwürdiges Geschäftsgebaren und Doppelzüngigkeit.
Nicht nur diese breit rezipierten Bücher ergaben ein vieldeutiges Bild des Präsidenten und seiner Verfasstheit. Auch literarisch irrelevante Werken wie die Insiderberichten von John Bolton oder James Comey fluteten den Büchermarkt und fanden großen Absatz. Für die (temporäre) Nachfrage ließ man in Deutschland teilweise die Übersetzer*innen im Dutzend und Akkord arbeiten, um dem öffentlichen (und natürlich auch wirtschaftlichen) Interesse möglichst rasch Genüge zu tun. Man kann also kaum sagen, dass das Themenfeld Donald Trump und dessen Abgründe auf dem Buchmarkt nicht abgebildet worden wäre. Es lag und liegt alles auf dem (Bücher-)Tisch
Keine Funktionieren der Literatur in der Realität
Und nun stellt sich heraus, dass trotz dieser dutzenden Aufklärungsbüchern und Insiderberichten im Übermaß dieser Präsident ohnegleich fast vor einer zweiten Amtszeit stehen könnte. Er hat neue Wähler erreicht, seine Basis ausgebaut und geht gestärkt aus vier furchtbaren Präsidentschaft hervor. Wirkungsvoller kann man die Irrelevanz der Literatur hinsichtlich gesellschaftlicher Prozesse und Entwicklungen nicht zeigen. Angewendet auf die Realität muss Literatur scheitern. Das geschriebene Wort, es vermag den Lauf der Dinge nicht wirklich zu beeinflussen, mögen auch gute Intentionen hinter diese Interpretation von Literatur verbergen.
Natürlich werden viele Sonntagsreden geschwungen und das Loblied auf die Literatur gesungen. Viele Preisverleihungen, Matineen oder Messeeröffnungen sind voller pathosgesättigter Worte, die immer wieder die These heraufbeschwören, Literatur könne uns und die Geschichte ändern. Ich finde sie allerdings reichlich wohlfeil.
Wie gering ihr Einfluss in Wirklichkeit ist, das hat diese US-Wahl und die Informationsfülle wieder einmal mehr gezeigt. Alles ist bekannt und publiziert – die meisten Menschen interessiert es allerdings nur peripher und/oder geht an ihrer Lebenswirklichkeit vorbei.
Auch hier in Deutschland lässt sich die Entwicklung beobachten. Mag die Realität die Literatur durchaus beeinfluss, so gilt das nicht umgekehrt. Während der mediale Raum für die Literatur schwindet und dem Buchmarkt die Buchkonsument*innen abhanden kommen, hält man an den Sonntagsreden fest und beschwört ein Bildungsbürgertum herauf, das sich so kaum mehr in der Gesellschaft findet.
Unentschiedene oder noch uninformierte Menschen, die sich ihr Urteil auf der Basis von Literatur bilden wollen, sie haben doch zumeist andere Quellen, aus denen sie sich eine Meinung bilden. Bücher und Kultur generell gehört meiner Einschätzung nach kaum dazu. Aber mit der gesellschaftliche Relevanz und Systemrelevanz für Kunst, Theater, Museen oder Literatur ist es dieser Tage eh nicht weit her.
Für einen realistischen Blick auf Literatur
Auch wenn es fast so klingt – ich möchte hier keinen Abgesang auf das Medium Buch oder die Literatur generell singen. Mir geht es alleine um einen realistischeren Blick auf die Literatur und ihre gesellschaftliche Wirkungslosigkeit.
Lasst uns weiter über Literatur reden, sie mit all ihren Möglichkeiten rühmen und preisen. Aber bitte schätzen wir ihre Wirkmacht auch konkret ein. Und diese tendiert doch eher gegen null.