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Eva Strasser – Wildhof

Rückkehr ins Elternhaus. Nach dem Tod ihrer Eltern stellt sich die Erzählerin in Eva Strassers Roman Wildhof vielen Verlusterfahrungen, die im einstigen Zuhause auf sie warten. Doch einmal mehr zeigt sich auch, dass im Ende eines Lebensabschnittes auch die Möglichkeiten eines Neubeginns liegen. Sogar die Klärung des Rätsels rund um das Verschwinden ihrer Schwester liegt in greifbarer Nähe…


So ganz konkret kann man ihn nicht verorten, den Standort von Linas Elternhaus, in das die junge Frau nun wieder zurückkehrt. Irgendwo im Schwarzwald steht das Häuschen, das nicht nur von außen viel Wald umgibt, sondern das auch im Inneren viel Holzarbeiten aufweist. Einst verbrachte Lina mit ihrer Schwester Luise ihre Kindheit hier, nun aber liegt das Haus verwaist da.

Der Grund ist ein höchst tragischer: Linas Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Ein frontaler Auffahrunfall hat nicht nur das Leben ihrer Eltern beendet, sondern auch einen großen Riss in Linas bisheriges Leben geschlagen. Dabei wäre das Leben für die Weggezogene auch so schon kompliziert genug. Gerade verbüßt die junge Frau eine Bewährungsstrafe – und dann ist da auch noch das ungeklärte Verschwinden ihrer Schwester Luise in Linas Kindheit. Ihr Schicksal konnte nie wirklich geklärt werden.

Die Zeit der Gespenster

So steht die Rückkehr nach Wildhof nicht unbedingt unter einem guten Stern. Immer mehr Vergangenes drängt ans Tageslicht, während Lina nun damit beginnt, den Verlust ihrer Eltern irgendwie in notgedrungene Produktivität umzusetzen. Die Beerdigung will geplant, der Nachlass geregelt werden. Und so bricht für die junge Frau nun die Zeit der Gespenster an, in der sie Personen aus ihrer Vergangenheit vor Ort wieder begegnet, wodurch sich für uns Lesende langsam ein Bild des Lebens von Lina zusammensetzt.

Lina hat keine Kinder und keinen Mann, und das Haus, das sie hat, will sie nicht. Sie lässt sich in die Wiese fallen. So ist das nun mal mit der Vergangenheit. Springt einen an wie ein hechelnder Hund, schmeißt einen in den Graben, das war keine Absicht, die macht nichts, die will nur spielen, so ist sie halt, ungestüm und wild, und will überall dabei sein, ist immer auf der Suche, obwohl sie im Heute nichts verloren hat.

Eva Strasser – Wildhof, S. 62

Wie die im Holz abgelagerten Jahresringe, die das vielfach im Haus verwendete Baumaterial kennzeichnen, sind es bei Lina die Erfahrungen und Verluste, die sich in ihr abgelagert haben und die ihren Charakter formten. Doch nun gerät all das in Frage, als sie mit dem Ausräumen des Hauses beginnt, um das Haus verkaufen zu können. Ein neuer Blick auf Altes ergibt sich – und am Ende fördert ihre Rückkehr nach Wildhof auch neue Informationen zum Verschwinden ihrer Schwester zutage, die von einem auf den anderen Tag verschwand, ohne dass sich mehr eine Spur von ihr fand.

Verlust und Neubeginn

Eva Strasser - Wildhof (Cover)

Wildhof kombiniert den Verlust mit dem Neubeginn und lässt Lina sich vor Ort mit ihren Erfahrungen und Erinnerungen auseinandersetzen. Das steht in einer ganzen Reihe von Büchern, die in letzter Zeit auf dem deutschsprachigen Buchmarkt erschienen sind.

Die Trauerverarbeitung nach dem Tod ihrer Eltern weckt Assoziationen zu Daniela Kriens im vergangenen Jahr erschienenen und für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman Mein drittes Leben, in dem eine Frau aufs Dorf zieht, um dort in der Einsamkeit eines Dorfs in der ostdeutschen Provinz den Tod ihrer Tochter zu verwinden.

Aber auch Bezüge zu Wo der Name wohnt, dem jüngst bei Suhrkamp erschienenen Debüts von Ricarda Messner bieten sich an. Hier wie dort ist es eine Wohnungsauflösung von Eltern (bzw. Großelternteilen im Falle von Ricarda Messner), die die Beschäftigung mit der eigenen Familiengeschichte und den Schmerzpunkten der Herkunft auslöst.

Eva Strasser Roman sortiert sich neben diesen Titeln ein und kann insbesondere durch die Sprache überzeugen. Denn sie findet einen stimmigen Ton für die zwischen Trauer, Rebellion, Nostalgie und Schmerz oszillierende Lina zu finden. Wie wählt man die passende Urne für seine Eltern aus, wie findet man im Zuhause das Testament, was gilt es alles zu beachten, um das Leben der Eltern formal wie psychologisch zu einem Ende zu bringen? Davon erzählt die Autorin sehr anschaulich und beschreibt die Fragilität unseres Daseins bis hin zur Frage, was am Ende vom Leben bleibt.

Vielleicht etwas zu viel des Guten oder Schlechten?

Wollte man Einwände gegen den Roman finden, so wären diese allenfalls in der Motivik des Romans zu finden, denn es ist vielleicht etwas zu viel des Guten beziehungsweise Schlechten, das sich auf den 200 Seiten des Buchs entfaltet und auf kleinstem Raum verhandelt wird.

Der Verlust der Eltern, das Eintauchen in die Vergangenheit und das Aufwachsen dort im Haus, verbunden mit einer Affäre, die sich durch einen potentiellen Käufer des Hauses anbahnt, die Dynamiken rund um den Bewährungsstatus von Lina sowie die Lösung für das Geheimnis des Verschwindens ihrer Schwester, das auf den letzten Metern fast noch in einen Krimi kippt – vielleicht hätte der Verzicht auf die ein oder andere Volte auf die klarere Fokussierung des Romans eingezahlt.

Das sind aber wirklich nur marginale Einwände gegen diesen ansonsten wirklich stimmigen und gut geschriebenen Roman, der der Trauer und dem Furor seiner Erzählfigur viel Raum gibt und nachvollziehbar von der Trauerarbeit erzählt, die doch oftmals genau das ist: Arbeit.


  • Eva Strasser – Wildhof
  • ISBN 978-3-803-13373-1 (Wagenbach)
  • 202 Seiten. Preis: 22,00 €
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