Es ist ein ungewöhnliches Paar, das im Mittelpunkt des Romans der kanadischen Autorin Tammy Armstrong steht. In Pearly Everlasting erzählt sie von der Bindung der jungen Pearly zu ihrem „Bruder“ Bruno. Ein menschlicher Bruder ist es aber nicht, vielmehr handelt es sich um einen Bär, für dessen Wohl das junge Mädchen einen hohen Preis zu zahlen bereit ist.
Wir schreiben das Jahr 1934. In den Wäldern Kanadas lebt die nach der Silberimmortelle benannte Pearly zusammen mit ihrer Familie in einem Holzfällerlager, das so archaisch wirkt, dass es auch hundert oder zweihundert Jahre früher sein könnte. Als Koch versorgt Pearlys Vater Ansell die Truppe des Camp 33 unter ihrem zwielichtigen Anführer Swickers mit Essen, während Pearly zusammen mit ihrer Schwester und Mutter geborgen in den wilden Wäldern aufwächst.
Flößer und Holzfäller versehen ihre kraftraubende Arbeit, bei der auch immer wieder Menschen sterben. Während die Holzfäller vom Geist Old Jack fabulieren, der in den Wäldern hausen soll und sich seine Opfer sucht, lebt Pearlys Familie ihr einfaches, aber erfüllendes Leben in einer der Holzhütten. Insbesondere ein weiteres, ganz besonderes Familienmitglied sorgt dabei im Camp für Aufsehen und Chaos. Denn Bruno, den Pearly ihren Bruder nennt, ist ein Bärenjunges.
Eine bärige Lektüre
Schreiend, zahnlos und blind, so kam Bruno in die schwere Wolljacke meines Vaters gewickelt ins Camp. Und von dem Augenblick an, als mein Vater ihn neben mich in den Weidenkorb legte, suchte Bruno meine Nähe. Es wäre zu grausam gewesen, ein solches verwaistes Geschöpf einfach verhungern zu lassen, sagte mein Vater. Meine Schwester Ivy tanzte um ihn herum und bettelte, er möge Bruno in ihre Hände legen. Und die Waldarbeiter kamen scheu herein und hofften, mit ihren groben Knöcheln über seinen Kopf streicheln zu dürfen.
Also wiegte Mama uns beide auf ihrem Schaukelstuhl mit der Korblehen. Neben ihr flackerte die Flamme der Petroleumlampe im Windzug und warf lange Zerrschatten an die rauen Wände. Und in diesem Stuhl stillte sie uns beide und sagte: „Das hier ist dein Bruder, und das hier ist deine Schwester“.
Tammy Armstrong – Pearly Everlasting, S. 15
Doch dann kommt es zu einer vielfachen Tragödie dort im Waldarbeiterlager. Pearlys Mutter und Schwester Ivy sterben, der Vorarbeiter Swickers wird ermordet, tatverdächtig ist Bruno – und dieser ist dann auch noch aus dem Camp 33 verschwunden.
Pearly Everlasting auf den Spuren ihres Bärenbruders
So macht sich Pearly nun daran, die Spur ihres Bärenbruders aufzunehmen, um ihn wieder nach Hause zu bringen. Sie bricht überstürzt in die Wildnis auf, um Witterung ihres Bärenbruders aufzunehmen. Ihr Vater, der in den entscheidenden Stunden nicht anwesend war, macht sich nach seiner Heimkehr ins Camp wiederum daran, Pearly und bestenfalls auch Bruno aufzuspüren.
Und so beginnt nun eine doppelte Suche: die von Pearly nach Bruno und die ihres Vaters nach seiner Kindern. Es ist eine Suche, die die Figuren weit voneinander entfernen wird, alle drei durch halb Kanada führen wird und die sie in Kontakt mit Elefanten, gefährlichen Bären und ebenso gefährlichen Menschen bringen wird.
Pearly Everlasting ist das, was man gemeinhin mit der Binse atmosphärisch dicht erschlägt. Die kanadische Natur in all ihrer Rauheit ist hier ein eindrucksvoll eingefangener Spielpartner von Pearly und Bruno. Die beißende Kälte im Holzfällercamp und das gefährliche Tun der Flößer und Fäller, die schon fast magisch wirkende Stimmung in den Wäldern, in den möglicherweise der Geist des Old Jack umgeht oder die Kontakte und Bekanntschaften, die Pearlys Vater auf seiner Suche nach seiner Tochter und Bruno schließt. Überall hier kommt Tammy Armstrongs Talent für Atmosphäre und eindrückliche Beschreibungen zum Tragen (formidabel aus dem kanadischen Englisch von Peter Torberg ins Deutsche übersetzt).
Fazit
Nach Clara Arnauds Im Tal der Bärin ist Pearly Everlasting schon der zweite Roman in diesem Literaturjahr, der sich literarisch dem Spannungsverhältnis von Bär und Mensch verschreibt. Und ebenso gerne wie das Buch der Französin möchte ich auch Tammy Armstrongs Roman empfehlen, der mit seiner Mischung aus Nature Writing, Entwicklungsroman und Abenteuerroman á la Jack London eine gelungene literarische Mischung darstellt.
- Tammy Armstrong – Pearly Everlasting
- Aus dem kanadischen Englischen von Peter Torberg
- ISBN 978-3-257-07339-3 (Diogenes)
- 368 Seiten: Preis: 25,00 €