Die Kunst, ein literarisches Möbiusband zu schmieden, sie stellt Wolf Haas in seinem neuen Roman Wackelkontakt eindrücklich unter Beweis. Wer sich vom psychedelischen Äußeren des Buchs nicht abschrecken lässt, der darf spätestens im Inneren dann so manches Mal am eigenen Verstand zweifeln. Denn Haas stürzt die Leserinnen und Leser in ein wildes Durcheinander aus einem im Zeugenschutzprogramm befindlichen Killer und einem Trauerreder mit reparaturbedürftiger Hauselektrik.
Die Zweifel setzen schon nach einigen Seiten ein: ist es wirklich ein Roman von Wolf Haas, den man hier liest? Wo ist er hin, der gestammelte Sound, der Haas vor allem mit seinen Brenner-Romanen bekannt gemacht, originell nur Hilfsbegriff? Auch in seinem letzten Roman Eigentum, der erstmals unter dem Dach des Hanser-Verlags erschien, hatte Haas wieder auf diesen markanten Stil zurückgegriffen, um mit der schnellen, schon fast schlampigen Art und Weise ein Buch zu erschaffen, um damit gegen das Sterben der Mutter des Erzählers anzuerzählen.
Nun also Wackelkontakt – und alles ist anders. Keine angerissenen Sätze, Ellipsen oder andere sprachliche Eigenwilligkeiten. Dafür ein Text, der fast ohne Austriazismen und den so unverkennbaren Haas-Stil auskommt, dafür ein Fließtext, der im wahrsten Worte fließt und mäandert.
Willkommen in Eschers Welt
Denn Haas erzählt zunächst die Geschichte eines Mannes mit dem sprechenden Namen Escher. Dieser sitzt in seiner Wohnung und wartet auf einen Elektriker. Die Zeit bis zur Ankunft des Elektrikers vertreibt er sich mit der Lektüre eines Buchs über einen jungen Mann namens Elio, der sich als Mafiakiller auf eine Kronzeugenregelung mit dem zuständigen Staatsanwalt eingelassen hat und nun danke eines Zeugenschutzprogramms untertaucht.
Mit seinem neuen Namen Marko Stainer beginnt dieser ein neues Leben -und plötzlich sind wir drin in dessen Geschichte, in die Haas übergangslos wechselt – und später immer wieder zurück. Denn auch der Mafioso liest ein Buch. Und dieses handelt von einem Trauerredner, der in seiner Wohnung sitzt und – man ahnt es schon: auf einen Elektriker wartet.
Es ist ein wirkliches literarisches Möbiusband, welches Wolf Haas hier webt und das an die optischen Täuschungen des niederländischen Künstlers M. C. Escher erinnert. Immer wieder gehen beide Erzählungen ineinander über, agieren die Figuren wechselweise und ganz am Ende sind wir wieder da, wo wir am Anfang schon waren, ohne allzu viel von der wilden Handlung des Buchs vorwegnehmen zu wollen.
Wolf Haas‘ Ausflug in die experimentelle Literatur
Die Erzählanordnung dieses Romans erinnert an andere Klassiker der experimentellen Literatur, allen voran natürlich Italo Calvino und dessen Roman Wenn ein Reisender in der Winternacht. Aber auch der jüngst erschienene Roman von Anthony Burgess wäre als Referenz zu nennen, der ebenso voll an undogmatischen Erzähleinfällen ist, wie es Wackelkontakt ist.
Alles ist ineinander verschachtelt und verschränkt und entwickelt sich auf dem doppelten Spielboden dann auch noch zu einem Mafiathriller, sodass die Hochspannung nicht nur im Stromkasten von Escher zuhause ist, sondern auch noch in einem wilden Ritt endet, in dem ein Aktienpaket eines digitalen Buchhändlers eine nicht unwichtige Rolle spielt.
Über allem bleiben aber immer Zweifel bestehen. Welche Geschichte ist nun die echte? Sind wir eher in der Welt des untergetauchten Mafioso zuhause, der über Escher liest – oder ist Eschers Welt die eigentliche, in der er sich in das Buch über den Mafioso im Zeugenschutz versenkt?
Oder ist es am Ende doch alles nur Trick 17 und Haas dreht uns eine lange Nase? Wackelkontakt lässt Deutungen zu und unterhält durch seine verschlungene Erzählweise hervorragend. Ein Mafiakiller unter Hochspannung, ein Elektriker unter Hochspannung und dazu noch der Trauerredner, der vom passiven Leser zum aktiven Helden der Geschichte wird – aber welcher von beiden denn nun?
Hier wackelt nichts
Mit Wackelkontakt weitet Wolf Haas sein Schreiben merklich und zeigt in der Wahl seiner Erzählmittel, zu welchem unterschiedlichen Mitteleinsatz er fähig ist. Hier nun der ineinander übergehende Fließtext, in dem der Humor, eines der entscheidenden Triebmittel seiner nachtschwarzen Krimis um Simon Brenner, hier nur vereinzelt aufblitzt. Aber es gibt sie, diese Blitze:
Die Wohnung lag im dritten Stock und erzählte ihm nicht viel über den Toten. Außer, dass er sich sogenannte Spots in die Zwischendecke gebaut hatte. Diese Beleuchtungskörper deprimierten Escher. Deckenspots erinnerten ihn an Leute, die Deckenspots hatten. In diesem Fall konnte er es aber verwinden, denn wer will einem Elektriker verbieten, sein Handwerk zu übertreiben.
Wolf Haas – Wackelkontakt, S. 142
Hochspannung in Sachen Komposition und Spannung im Plot, das sind die Merkmal dieses neuen Romans von Wolf Haas, der sich hier als versierter Schriftsteller zeigt, der ein metafiktionales Spiel mit seinen Leserinnen und Lesern spielt. Hier wackelt nichts, hier hat nichts Luft: Wackelkontakt passt und ist ein originelles Leseerlebnis!
- Wolf Haas – Wackelkontakt
- ISBN 978-3-446-28272-8 (Hanser)
- 240 Seiten. Preis: 25,00 €