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Emanuel Maeß – Gelenke des Lichts

Wann hält man schon ein Buch in Händen, das ebenso leichtfüßig Friedrich Rückert wie den Flippers-Hit Lotosblume zitiert? Doch auch in anderer Hinsicht ist Emanuel Maeß‚ Debüt Gelenke des Lichts mehr als bemerkenswert.


In der deutschen Gegenwartsliteratur gibt es im Moment ein omnipräsentes Thema: die Aufarbeitung der (eigenen) Jugend. Wolfgang Herrndorf machte mit Erfolg vor, wie sich die Phase der Jugend in erfolgreiche Literatur verwandeln lässt. Zahlreiche Autor*innen folgten und bescherten dieser Textgattung eine große Blüte. Namen wie André Kubiczek, Christoph Hein, Bodo Kirchhoff, Julia Schoch oder Alexa Hennig von Lange wären hier zu nennen. Sie alle befassten sich in ihren letzten Werken mit der Jugend und teils autobiographischen Erinnerungen.

Ein überaus beliebtes Thema also, das sich jetzt auch Emanuel Maeß für sein Debüt ausgesucht hat. Dabei stellt sich natürlich die Fage – hat der Debütant etwas Neues oder noch nicht Dagewesenes zum Thema beizutragen? Und hier muss ich auf alle Fälle ein deutliches Ja äußern. Denn Emanuel Maeß gewinnt dem Thema der Jugend sowohl in inhaltlicher als auch in sprachlicher Hinsicht bemerkenswerte Facetten ab.

Eine Kindheit hinter dem Eisernen Vorhang, ein Studium im Westen

Dies beginnt damit, das Maeß seinen Bogen weiterspannt, als nur ein kurzes, wegweisendes Kapitel einer Adoleszenz zu schildern. Von Erinnerungen an frühe Badeurlaube an der Ostsee bis hin zum Studium an der englischen Universität Cambridge reicht der Erzählbogen, den Maeß aufbaut. Dabei lässt er seinen Protagonisten entlang der prägenden deutschen Wegscheide 89/90 aufwachsen. Die Kindheit hinter dem Eisernen Vorhang wird mit der Studienzeit in Heidelberg und Cambridge kontrastiert.

Emanue Maeß - Gelenke des Lichts (Wallstein)

Dabei kommt es im Laufe der knapp gehaltenen Erzählung (254 Seiten) zu bemerkenswerten Registerwechsel. So beschreibt Maeß die Kindheit im ostdeutschen Pfarrersheim kurz hinter der Mauer manchmal geradezu bukolisch und in der Romantik-Tradition eines Eichendorff. Maeß schildert eine autarke dörfliche Welt, die vom Weltgeschehen nahezu nicht tangiert wird. Die Uhren gehen hier sprichwörtlich anders, bestes Symbol hierfür ist die Kirchturmuhr, die noch per Hand aufgezogen wird. Sogar die Bildwelten eines Uwe Tellkamp liegen hier manchmal in greifbarer Nähe.

Als die Jugend dann in das Studium mündet, wandelt sich auch die Erzählung hin zu einem Campusroman. Die präzise Milieuschilderung der studentischen Welten und des Lebens auf dem Campus erinnern stark an Jonas Lüschers Kraft. Auch bei Maeß wird ein Mann zwischen studentischer Lehre und der Welt da draußen entzweigerissen. Doch eine allesverbindene Klammer gibt es, die alle Registerwechsel einhegt und moderiert. Das ist die Liebe zu Ihr – Angelika Schmidbauer. Verliebt sich der Protagonist im Badeurlaub und entbrennt in kindlicher Begeisterung, so trifft er die junge Frau immer wieder an entscheidenen Wegscheiden seines Lebens (man könnte diese Aufeinandertreffen im Sinne des Romans auch als Gelenkpunkte bezeichnen).

Die Liebe und die Sehnsucht zu ihr, die der Protagonist immer als „Du“ im Buch adressiert. Sie ist Leitstern, ob als Studentin oder als Tanzpartnerin beim Abschlussball, bei dem man sich zu den Flippers in den Armen liegt.

Dass ich Maeß diese Kindheitsepisoden, den Campusroman, das Wissenschaftliche und das Romantische, die Zerrissenheit zwischen den Gattungen und Zeiten so unkritisch abnahm, das hat auch einen weiteren Grund. Dieser ist in meinen Augen das wirklich Herausragende.

Die Sprachmacht des Emanuel Maeß

Denn bis hierhin könnte man ja einwenden – Campusroman, Kindheit in der DDR, alles schon dagewesen, die oben erwähnten Autor*innen haben diese Felder mit teils beachtlichen Resultaten ja bereits beackert. Was ist nun das Einzigartige, das diesen Roman von den anderen unterscheidet? Das ist auf alle Fälle die Sprache beziehungsweise die Sprachmacht, mit der Emanuel Maeß seine Geschichte erzählt und zusammenbindet.

Viel zu oft klingen Geschichten austauschbar. Autor*innen mit eigenem, unverkennbaren Sound gibt es in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur kaum. Es herrscht eine Art Konsenssprache, mit der viel zu viele Geschichten erzählt werden. Einen eigenen Sound für die jeweilige Erzählung zu finden, diese Mühe machen sich viel zu wenig Schreibende. Auf Anhieb fiele mit da höchstens noch Feridun Zaimoglu und vielleicht Ursula Krechel ein (wem andere Beispiele in den Sinn kommen – in der Kommentarspalte freue ich mich über Ergänzungen).

Wie Sprache einen Roman bereichern kann, aus einer Erzählung etwas besonders machen kann – das lässt sich bei Gelenke des Lichts gut beobachten. Zunächst ist der Umfang von Maeß Vokabular äußerst beeindruckend. Vom hochwissenschaftlichen Studiumsinhalt bis zur DDR-Jugend – seine Sprache besticht durch eine hohe Originalität und Benennungsstärke. Er findet eingängige Formulierungen, wagt den ein oder anderen Schachtelsatz und entwickelt einen Sprachsog, der eine große Faszination ausübt. Nicht umsonst verliert sich der Protagonist in Wagners brausenden Musikwelten – was Maeß auf sprachlicher Ebene in ein ebensolches Brausen überführt. Da darf es dann auch schon einmal blauen oder glocken.

Zum anderen ist seine Prosa auch unglaublich dicht. Gelenke des Lichts ist voller Anspielungen und überführt die Herkunft des Protagonisten aus dem ostdeutschen Pfarrhaushalt in eine geistige und vergeistigte Prosa im besten Sinne. Besonders die Mahler’sche Vertonung von Rückerts Ich bin der Welt abhanden gekommen wird zu einer Art Leitmotiv mit vielgestaltigen Interpretationsmöglichkeit. Dass Maeß bei allen sprachlichen Überschlägen auch die ein oder andere Sprachgirlande zu viel webt, das sei dem Debütanten verziehen. Wann legen Newcomer schon einmal mit einem derart sprachlichen Verve los? Davon wünsche ich mir in der deutschen Gegenwartsliteratur wieder mehr. Und nicht zuletzt ist das Ganze auch oftmals wirklich witzig. Ebenfalls eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Literatur.

Ein Roman mit Wiederlese-Faktor

Zudem spreche ich für dieses Buch ein weiteres, höchst subjektives Lob aus: denn Gelenke des Lichts ist so dicht geschrieben, dass eine zweite Lektüre unbedingt anempfohlen ist. Oftmals bin ich froh, wenn ich ein Buch gelesen habe und die Geschichte hinter mir liegt. Hier würde ich keine Sekunde zögern, und mich wieder in die Maeß’schen Bildwelten zu versenken. Ein Buch mit höchster Wiederlesefreude. Nicht nur, aber auch deswegen mehr als gerne empfohlen.

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Pascal Engmann – Der Patriot

Was, wenn aus Worten Taten werden? Wenn die Lügenpresse-Rufe plötzlich zu Konsequenzen führen? Das spielt der Journalist Pascal Engmann in seinem Debüt Der Patriot durch.

Angesiedelt ist sein Roman in einem Schweden der Jetztzeit, das deckungsgleich mit den herrschenden Verhältnissen erscheint. Stefan Lövfen ist der Ministerpräsident Schwedens. In der Opposition treiben die Schwedendemokraten, eine Art schwedischer AfD die Regierung vor sich her. Großes diskursbestimmendes Thema ist die Einwanderungsthematik, die die Menschen beschäftigt. Das Klima ist aufgeheizt – da wird eine Zeitungskolumnistin in ihrem Zuhause ermordet.

In ihren Meinungsbeiträgen äußerte sie sich asylfreundlich und warb für Verständnis und Toleranz. In dem erhitzten gesellschaftlichen Klima machte sie sich damit auch Feinde. Jede Menge Feinde. Doch wer wollte die Journalistin tot sehen?

Schweden rückt nach Rechts

Aus der Identität des Mörders macht Pascal Engmann keinen Hehl. Schon auf den ersten Seiten wird erklärt, wer hinter dem tödlichen Anschlag auf die Journalistin steckt. Und auch in der Folge erzählt der schwedische Autor immer wieder gleich aus der Tätersicht, so dass das Rätselraten in diesem Roman entfällt. Das Spannungsmoment in Der Patriot generiert sich eher aus der Frage, welche Opfer sich der Täter als nächstes sucht. Zudem ist das Interessanteste die Frage, wie das Klima in der Gesellschaft im Lauf der Geschichte verändert, beziehungsweise, wie leicht ein Rechtsruck in der Gesellschaft geschehen kann.

Doch jeder Schurke bedingt natürlich eines Gegenspielers, und so führt Engmann August Novak ein, der früher in Schweden lebte. Heute ist er in Chile untergetaucht und versieht für einen russischen Gangster seinen Dienst. Doch nach einigen Geschehnissen in Chile verschlägt es ihn wieder in seine alte Heimat. Er wird in die Geschehnisse um die „Patrioten“ gezogen, die weiterhin Jagd auf die Vertreter der „Lügenpresse“ machen.

Die Figur des August Novak ist ein gutes Beispiel für das, woran der Roman etwas krankt. Denn die Figuren, die den Krimi bevölkern, sind mir zu wenig ausgestaltet und besitzen keinerlei Tiefe und wenig Glaubwürdigkeit. So hat August Novak in Chile eine schwangere Geliebte, die dann grausam ermordet wird. Wenige Tage später, nach seiner Rückkehr, ist er dann schon wieder in tiefer Liebe zu seiner Exfreundin entbrannt, die er über zehn Jahre nicht gesehen hat. Die schwangere Geliebte ist kein Thema mehr. Bei einer glaubwürdig gestalteten Figur erwarte ich da schon etwas mehr innere Widersprüche und Komplexität.

Auch die anderen Figuren sind nicht wirklich rund, bzw. eher Funktionsträger als wirklich lebensnahe Figuren. So ist es die junge und skrupellose Zeitungsjournalistin, die sich nach oben schläft. Die „Patrioten“ im Roman sind verblendete Rassisten, deren Motivation für mich nicht wirklich schlüssig erklärt wird. Das Personal ist wirklich nicht die Stärke dieses Buchs.

Ein Journalist schreibt einen Thriller

Zudem krankt der Plot ab und zu an einer gewissen Thesenhaftigkeit. Dass Pascal Engmann Journalist war, das merkt man dem Text im Guten wie im Schlechten an. In guten Momenten erinnert das Debüt an seinen schwedischen Landsmann Joakim Zander, in schlechten Momenten verliert sich Engmann dann in Inneneinsichten von Zeitungsredaktionen und Blattmachern. Auch verliert sich das Finale in einem zeitweise recht peinlichen Stirb-Langsam-Getöse, das deutlich über das Ziel hinausschießt.

Dabei liest sich Engmanns Geschichte selbst schon wie ein Krimi. So schrieb Engmann für die Zeitung Expressen. Nachdem massive Drohungen gegen ihn und Kolleg*innen geäußert wurden, zog sich Engmann aus diesem Beruf zurück. Ergebnis der Emigration von seinem Brotberuf ist dieser Roman, der ja durchaus sehr hellsichtig ist.

Dies macht dann auch die Qualität aus, die über die Makel in der Figurenanlage auch ein Stück weit hinwegsehen lässt. Hier schreibt ein Autor ganz eng entlang der Realität. Stets hat man während der Lektüre den Eindruck, dass ein Eintreten des Plots durchaus im Rahmen des Möglichen liegt.

Zwar beschränkt sich bei uns die Agitation gegen die vermeintliche Lügenpresse auf Brüller vom rechten Rand und das Pöblen in den sozialen Netzwerken. Ein Umschwung im gesellschaftlichen Klima liegt aber durchaus im Rahmen des Möglichen. Vor allem, da sich die Presse als Vierte Säule der Macht ja ständigen Angriffen sogar von höchsten Stellen ausgesetzt sieht. So führen permanente Betitelungen als fake news langfristig zu einem Klima, das ich auf keinen Fall möchte. Wie dieses Klima aussieht, davon gibt Der Patriot eindrucksvoll Zeugnis. Insofern ein wirklich lesenswertes Buch mit Schwächen – doch aufgrund seiner Aktualität dann wieder empfohlen!


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