Quasi aus dem dem Nichts heraus gelang Amy Waldman im Jahr 2011 mit ihrem Debütroman Der amerikanische Architekt ein veritabler Bestsellererfolg. Amy Waldman ist gelernte Journalistin, die zum Zeitpunkt ihrer Buchveröffentlichung für die New York Times tätig war. Diese, die Washington Post oder auch das Esquire-Magazin kürten Waldmans Debüt gleich nach dem Erscheinen zum beachtenswertesten Roman des Jahres. Zahlreiche weitere Auszeichnungen sollten folgen.
Man kann die Lobpreisungen verstehen, schließlich legte Waldman aus dem Nichts heraus einen Great American Novel vor, der die Befindlichkeiten der amerikanischen Seele nach den Anschlägen des 11. September hellsichtig analysierte. Sie ließ darin verschiedene Menschen zu Wort kommen, die nach der Entscheidung, einen Muslim mit der Gestaltung einer Gedenkstätte für den Platz des Anschlags zu beauftragen, ihre ganz eigene Sicht auf die Dinge hatten. Die Dynamiken rund um die Entscheidung betrachtete sie mit Lust an der Widersprüchlichkeit und Vielschichtigkeit.
Kurzum: ein Werk, das neugierig stimmte auf das, was da noch folgen sollte. Nun, acht Jahre seit dem Erscheinen der deutschen Übersetzung von Der amerikanische Architekt, liegt nun das neue Buch von Amy Waldman vor. Aus A door in the earth wurde nun in der deutschen Übersetzung Das ferne Feuer. Die Übersetzung besorgte abermals Brigitte Walitzek.
In ihrem neuen Buch wendet sie sich von den USA als Schauplatz ihrer Geschichte ab, führt aber zugleich die in Der amerikanische Architekt gesetzten Themen weiter.
Mutter Afghanistan
So heißt das Buch, das für Parvin Schams zum Wendepunkt ihres Lebens wird. Darin erzählt der Autor Gideon Crane, wie er einst nach einem halbseidenen Lebenswandel in Afghanistan Erfüllung fand und nach dem Tod einer jungen Frau beschloss, vor Ort ein Krankenhaus zu gründen. Das Buch avancierte zum Bestseller und Crane zum gefeierten Star. TED-Talks, Auftritte vor ausverkauften Häusern und Millionenauflagen seines Buchs sollten folgen. Sogar das Militär empfahl den Rekruten und sonstigen Militärangehörigen die Lektüre des Buchs, um Afghanistan besser zu verstehen.
Auch für Parvin wurde das Buch zur Bibel. Als junge Frau mit afghanischem Migrationshintergrund fand sie sich im Buch wieder, sodass sie beschloss, Crane nachzufolgen und das im Buch beschriebene Krankenhaus und Dorf zu besuchen. Von ihrer Professorin aus der Ferne kritisch begleitet begibt sich Parvin also nach Afghanistan. Dort begnen wir ihr zu Beginn des Buchs.
Doch schnell stellt sich der Kontakt mit der Realität als schmerzhaft für Parvin heraus. Nicht nur zur Dorfgemeinschaft findet sie keinen rechten Zugang. Auch das Krankenhaus erscheint ganz anders, als in Mutter Afghanistan beschrieben. So kommt eine Ärztin gerade einmal in der Woche in die Klinik, um die Frauen des Dorfs dort zu behandeln. Auch ist das soziale Gefüge im Dorf ein ganz anderes, als Parvin sich dies aufgrund der Lektüre von Cranes Werk ausgemalt hatte.
Zwischen Buch und Realität klafft ein großer Unterschied, vor dem Parvin so gut es geht viele hundert Seiten in diesem Buch die Augen verschließt. So gut es geht, versucht sie Gideon Crane in Schutz zu nehmen. Sie missversteht die Dorfbewohner*innen absichtlich, betreibt eine Apologetik des Bestsellerautors. Aber schließlich muss auch sie einsehen: mit der Realität hat Mutter Afghanistan nur bedingt etwas zu tun.
Amerikas Probleme mit Afghanistan
Das müssen auch die amerikanischen Truppen einsehen. Stellvertretend für diese macht Parvin die Bekanntschaft mit Colonel Trotter, der ebenfalls Gideon Cranes Buch gelesen hat. Auch er wurde von der Lektüre berührt. Und so will er mit seinen Truppen die afghanische Zivilbevölkerung unterstützen. Die amerikanischen Militärs möchten eine befestigte Straße ins Dorf bauen, damit dieses besser versorgt werden kann. Doch die Pläne der Amerikaner finden bei der lokalen Bevölkerung keinen Zuspruch. Schon bald drohen Anschläge das ambitionierte Projekte zum Erliegen zu bringen.
Sowohl Parvin als auch die Militärtruppen müssen erkennen, dass ein Land mit einer so wechselvollen Geschichte wie Afghanistan nicht einfach mit amerikanischer Selbstherrlichkeit von Heute auf Morgen modernisiert werden kann. Diese Hybris soll sich noch als tödliche Gefahr herausstellen.
Ein Buch, das nicht so recht weiß, was es will
Es sind viele Themen, die Amy Waldman in ihrem zweiten Buch zusammenrührt. Der Idealismus einer jungen Frau, die Hochstaplereien eines Mannes, der clash of culture. Die amerikanische Invasion in Afghanistan, und die Gründe für deren Misserfolg, die wechselvolle Geschichte Afghanistans, weibliches Empowerment. All das sind Themen, die für sich genommen durchaus spannend sind. Leider wird in ihrer Fülle hier kein gutes Buch daraus.
Löblich, dass sich Amy Waldman dafür entscheidet, mit dem zeitgenössischen Afghanistan einen Schauplatz zu wählen, der in unserer Wahrnehmung fast nur mit den Themen Krieg und Taliban besetzt ist. Und gut auch, dass sie aufzeigt, warum die amerikanische Strategie dort keinen Erfolg hat.
Aber denoch hätte eine entschiedenere literarische Stoßrichtung dem Buch gutgetan. Das ferne Feuer schwankt unentschieden zwischen Arztroman, ethnologischen Betrachtung eines afghanischen Dorfs und der Enthüllung einer Hochstapelei. Später wird das Buch dann zu einer Abrechnung mit der Strategie Amerikas in Afghanistan (die ja wohl eher gar keine ist), trotzdem: so recht stimmig und stringent mag sich das alles nicht entwickeln und fügen.
Schon nach wenigen Seiten ist den Leser*innen klar, dass Gideon Crane wohl das amerikanische Pendant zu Claas Relotius sein muss. Nichts passt in seinen Schilderungen zusammen – aber Parvin verschließt munter ihre Augen vor der Wahrheit und betet ihr Idol Crane weiterhin an.
Eine blasse und nervtötende Heldin
Überhaupt, Parvin: mit ihr wählt Amy Waldman eine blasse Heldin. Eine, die zumindest meine Nerven das ein ums andere Mal strapazierte. Ihre Naivität, gepaart mit der verblendeten Vergötterung Gideon Cranes, ihre Impulsivität, schwankenden Sympathien und teilweise überhebliche westliche Art, machten sie zumindest für mich zu keiner Figur, der ich besonders gebannt über die Länge des knapp 500 Seiten starken Romans gefolgt wäre. Zwar kippt die Monotonie des ausgiebig beschriebenen dörflichen Alltags später noch in eine Actionsequenz, auch findet der öffentliche Diskurs durch eine Tat von Parvins Professorin in das Buch. Besonders stimmig wirkte das allerdings nicht. Da, wo Der amerikanische Architekt souverän mit unterschiedlichen Perspektiven auftrumpfte, dominiert in Das ferne Feuer der Blick einer naiven Heldin, die mich ein ums andere Mal aufgrund ihrer verblendeten und naiven Sichtweise verärgerte.
Doch vielleicht stehe ich auch noch unter den Nachwirkungen des Relotius-Skandals, als das mich die Beschreibungen der recht offensichtlichen Flunkerei-Enthüllungen in Das ferne Feuer besonders überrascht oder emotional gepackt hätten.
Fazit
So bleibt leider Das ferne Feuer ein Buch, dem es nicht gelingt, an Waldmans Erstling anzuknüpfen. Gewiss kein schlechtes Buch, auch durchaus mit interessanten Themensetzungen. Die literarische Ausgestaltung des Ganzen überzeugt dann aber leider nicht. Mit einer Idee weniger, dafür einer entscheideneren Umsetzung des Ganzen, wäre hier mehr drin gewesen. Leider!
Eine weitere Meinung zum Buch gibts bei Bookster HRO.
- Amy Waldman – Das ferne Feuer
- Aus dem Amerikanischen von Brigitte Walitzek
- ISBN 978-3-89561-168-1 (Schöffling)
- 496 Seiten. Preis: 26,00 €