Jenny Aaron ist zurück. Die blinde Verhörspezialistin erlebte in Endgültig einen Tag, den man seinem ärgsten Feind nicht wünscht und der den Begriff Tour de Force neu definierte. Nun schickt Andreas Pflüger seine unkonventionelle Heldin ein zweites Mal auf ein Himmelfahrtskommando, das es in sich hat. Denn die Ereignisse aus Endgültig wirken auch in diesem Mittelteil der als Trilogie ausgelegten Reihe weiter und stellen für Aaron eine große Bedrohung dar.
Gerade befindet sich die blinde Polizistin im Prozess der Rekonvaleszenz bei ihrem alten Freund Lissek in Schweden, als sie in Gestalt eines Anwalts erneut in einen Strudel aus Tod und Verderben gerissen wird. Dieser Anwalt überbringt Aaron nämlich eine Botschaft ihrer alten Nemesis, die schon in Berlin fast ihren Tod bedeutet hätte. In Marrakesch wartet in einer Bank auf Jenny das unvorstellbare Vermögen von 2 Milliarden Dollar – und dazu in einem Schließfach noch eine Botschaft. Doch da das Geld ja irgendwoher stammen muss, hat Jenny Aaron schon bald hartnäckige Verfolger auf den Fersen, die sie und ihren Unterstützer Pavlik durch ganz Marrakesch jagen. Welche Geheimnisse sind mit dem Vermögen verbunden – und wer will erneut Jennys Tod, jetzt da ihre eigentliche Nemesis doch tot ist?
Allein schon der beinharte Prolog ist besser als mancher James-Bond-Film der letzten Jahre. Pflüger weiß, wie man Action inszeniert und literarisch ansprechend verpackt. Das Setting, das Timing, die Worte – da stimmt einfach alles. Und so wie das Buch beginnt, geht es dann auch die nächsten 410 Seiten weiter. Pflüger baut einen wuchtigen Plot und entspricht der verwinkelten Handlung, indem er auch ganz unsymmetrisch Rückblenden einbaut, die die aktuellen Ereignisse langsam besser ausleuchten und Hintergründe erklären. Das ist bärenstark gemacht und immer genau richtig. Langsam enthüllt sich ein komplexes Geflecht aus Vergangenheit und Gegenwart, aus Beziehungen zwischen den Protagonisten – und Pflüger gelingt auch das Kunststück, alles höchst plausibel wirken zu lassen, von der großen Geheimdienstpolitik in Berlin bis in in die staubigen Gassen Marrakeschs. Und mittendrin eine Jenny Aaron, deren Wille und Mut einfach überwältigend ist. Pflüger schont seine Heldin nicht – als Leser dankt man es ihm.
Endlich einmal ein deutscher Autor, der vor internationalen Handlungsorten, vor großen Verschwörungen und glaubhaften zerrissenen Charakteren nicht zurückschreckt – und in allen Belangen brilliert. Die Orte, an denen Niemals spielt, sind liebevoll und bis ins kleinste Detail gezeichnet, seine Figuren bleiben im Gedächtnis haften. Und ich kenne keinen deutschsprachigen Autor, der so gelungen Actionszenen in Worte fassen kann. Pflügers Prosa spielt in einer ganz eigenen Liga, die man in der Gegenwart so nur von wenigen Autoren lesen kann. Seine Sprache ist bunt, gut gewählt und in den Kampfszenen schon von ganz eigener, lyrischer Qualität.
Dies macht aus Niemals einen ganz eigenen Lesegenuss, den man auf diesem Niveau sonst nicht findet.
Die Kritikpunkte sind wirklich marginal, da sie in diesem fantastisch geschriebenen Thriller weniger ins Gewicht fallen als ein falsch gesetzter Buchstabe. Der Kniff, dass sich eigentlich schon verstorbene Feinde aus dem Jenseits zu Wort melden und die Protagonisten einer Story wieder auf eine Schnitzeljagd schicken, halte ich immer für etwas aufgepropft (schon bei Sherlock fand ich diese Methode ermüdend). Hier funktioniert es aber trotzdem gut, da Pflüger nicht nur auf Aarons alte Nemesis setzt, sondern auch weitere Faktoren und Erzählstränge ins Gefüge einbaut, die bald die Stimme der Vergangenheit etwas in den Hintergrund drängen. Zudem fand ich die Inszenierung in Endgültig eine Nuance besser, da konziser (ein Handlungstag, in dem alles spielt, ist einfach bestechend). Hier zerfasert das Ganze manchmal ganz leicht, wenngleich auf Champions-League-Niveau, das muss man der Fairness halber auch festhalten.
Von diesen kleinen Kritikpunkten abgesehen ist Andreas Pflügers Niemals einmal mehr ein Thriller, seine amerikanischen und sonstigen Thrillerkollegen weit hinter sich lässt und zeigt, was in einem modernen Spitzenthriller alles möglich ist. Ein vielschichtiges, sprachliches und inhaltlich überzeugendes Buch, das erneut an die Spitze der (Krimi)Bestsellerlisten gehört. Ich warte auf Jenny Aaron Nummer 3!
Oder um es im Stil von Andreas Pflügers Heldin Jenny Aaron auszudrücken:
Zehn Dinge, die Marius Müller an Niemals gefallen
- das Setting in Marrakesch
- die Bauart des Romans
- die Sprache Andreas Pflügers
- die gut choreografierte Action
- die Aufmachung des Buchs
- der Showdown des Romans
- Pavlik, Demirici, Reimer und Co
- die Mühelosigkeit wie große Politik hier einfließt
- die Inszenierungsideen
- Jenny Aaron
[…] Andreas Pflüger: Niemals (erschienen bei […]
[…] letzte Tipp in dieser illustren Runde ergeht für den Roman Niemals des Drehbuchautoren Andreas Pflüger. Jener schickt seine blinde Heldin Jenny Aaron zum zweiten Mal […]
Das mit den Listen ist witzig, aber das hat er doch von Hornby geklaut, oder? 😉
Mit hatte „Endgültig“ auch sehr gefallen, obwohl ich sehr skeptisch war, denn Superbulle gegen Supergangster ist normalerweise nicht unbedingt ein Plot für mich. Aber wirklich stark geschrieben, besonders die Beschreibungen aus Sicht der blinden Aaron.
Bin gespannt auf die Fortsetzung, offenbar ja weiterhin auf hohem Niveau.
Ja, das war tatsächlich auch meine Befürchtung,, ob er das Niveau von „Endgültig“ halten würde – die Sorge war tatsächlich unbegründet wie sich herausgestellt hat.
Erinnert mich einmal mehr daran, dass ich „Endgültig“ jetzt endgültig mal lesen sollte. 😉
Absolut! Also für einen Krimiliebhaber ein wirkliches Muss wie ich finde. So was wie Pflüger findet man im zeitgenössischen Krimi selten.
Wenn es bloß nicht so viele „Muss“-Titel gäbe. 😉
Das ewige Schicksal, das uns Lesern beschert ist … 😉
Gibt Schlimmeres. 😉
Auch wiederum wahr …