Andreas Pflüger – Wie Sterben geht

Der beste deutsche Thrillerautor ist zurück – und wie. In Wie Sterben geht lässt Andreas Pflüger die Hochphase des Kalten Kriegs wieder auferstehen und erzählt von toten Briefkästen, hochrahmigen Quellen und einer jungen Frau zwischen den Fronten von BND und KGB. Ganz großes Kino!


Es ist eine „hochrahmige“ Quelle, die beim Bundesnachrichtendienst große Aufregung und Hektik verursacht. Denn die Quelle namens Pilger ist ein KGB-Agent in obersten Führungskreisen, der dem Nachrichtendienst in Pullach Einblicke in den russischen Machtapparat liefern könnte. Das Problem bei der Sache: die Quelle ist führerlos und hat sich ausgerechnet die junge Nina Winter als Führungsoffizierin ausbedungen.

Nina, die bislang als Analystin in Pullach arbeitet und vor einigen Jahren mit ihrer Mutter aus der DDR flüchtete, verfügt über keine nennenswerte Geheimdiensterfahrung, geschweige denn Wissen, wie man eine derart wichtige und sensible Quelle führt und abschirmt – und doch bleibt ihr fast keine Wahl, als in Moskau den Kontakt mit Pilger aufzunehmen.

Denn der BND mit seinem Präsidenten drängt auf die weitere Führung von Pilger, der seine Unverzichtbarkeit mit einem Hinweis auf die Enttarnung Günther Guillaumes als Spion der DDR eindrücklich unter Beweis stellte. Die Quelle muss gehalten werden und so ist es an Nina, die Zusammenarbeit mit der Quelle in Moskau fortzuführen. Damit gerät sie mitten hinein in den Konflikt der Großmächte und Geheimdienste, der Spionage und Gegenspionage. Es ist ein Spiel, das keine Fehler verzeiht, will man in diesem Kampf überleben.

Eine weitere Glanztat Andreas Pflügers

Andreas Pflüger - Wie Sterben geht (Cover)

Andreas Pflüger ist der große Spezialist, was die Welt der Geheimdienste, der Spionage und der hochtourigen Action anbelangt. Das stellte er in der Trilogie um die blinde Jenny Aaron unter Beweis, das zeigte er im trotz seines Alters von knapp zwanzig Jahren immer noch lesenswerten Thriller Operation Rubikon und das bewies er auch im zuletzt erschienen historischen Roman Ritchie Girl. Wie Sterben geht setzt diese eindrucksvolle Publikationsreihe fort, wenn sie sie nicht noch einmal auf ein neues Niveau hebt.

Denn vom actionreichen Beginn mit einem im wahrsten Sinne des Wortes explosiven Agentenaustausch auf der Glienicker Brücke bis zur Beschreibung des winterlichen Moskaus, in dem Nina unter der Bewachung durch KGB und Milizen irgendwie mit Pilger kommunizieren und verkehren muss, gelingt es Andreas Pflüger, große Szenen mit einer Sprache auszukleiden, die ebenso originell wie präzise, poetisch wie stimmungsgenau ist. Er zeigt Nina Werdegang von einer zielstrebigen Analystin bis hin zu einer abgebrühten Agentenführerin als durchdacht konzipierte Heldenreise. Ebenso ist es ganz Pflüger-typisch die Welt der Geheimdienste, die auch hier wieder einen Schwerpunkt bildet und die durch die Geschehnisse in Wie Sterben geht gehörig durcheinandergewirbelt wird und die Welt schlussendlich bis an den Rand einer Katastrophe bringt.

München, Moskau, Berlin

Das Ganze ist höchst abwechslungsreich gestaltet und entspinnt sich in der Handlung zwischen München, Moskau und Berlin, blickt auf die große Welt der Politik ebenso wie auf die überlebensnotwendige Symbiose zwischen Pilger und Nina, hat Raum für Romantik ebenso wie Verfolgungsjagden und besticht durch Spannung und Atmosphäre.

Neben der genau getakteten Action und dem vielschichtigen Spiel um Verrat und Vertrauen sind es auch diverse Geheimnisschichten, die Pflüger in Wie Sterben geht langsam entblättert. So sind Geheimnisse eines fiktiven Bildnisses von Anna Achmatova und in Gedichten versteckte Hinweise nur eine Facette dieses Romans, der bis zu potentiellen Verflechtungen von RAF, KGB und der Machtclique um Helmut Kohl reicht. Die Geschichte der Nachrichtendienste in der Zeit des Kalten Kriegs bekommt man hier ebenso erklärt wie das Spionage-Handwerk und die geheimdienstliche Paranoia, die den Kalten Krieg prägte und die Nina am eigenen Leib erfahren muss.

Besonders frappant sind dabei natürlich auch die Parallelen zwischen der Vergangenheit und der scheinbar nahezu identischen Lage, in der wir uns nach dem Beginn des Überfalls Russlands auf die Ukraine befinden. Dass Nina Winter als Analystin mit dem sogenannten „Erdgas-Röhrengeschäft“ befasst ist, dass die BRD im Jahr 1982 gegen den Willen der Alliierten mit der Sowjetunion abschloss und die den Grundstein für die heutige Abhängigkeit von russischem Erdgas darstellt, ist nur eine Pointe dieses trotz seines historischen Sujets erschreckend aktuellem Roman.

Fazit

Hervorragend komponiert zwischen Rückblenden auf den Werdegang und die aktuelle Situation nach dem gescheiterten Gefangenenaustausch auf der Glienicker Brücke gibt dieser Roman zu keinem Zeitpunkt Ruhe, jagt hochtourig vor sich hin und verstrickt seine Hauptfigur Nina immer tiefer in das Geheimdienstgeflecht zwischen Zarizyno, Pullach, Boxkämpfen, Elvishits und Patriarchenteich.

Ein großer Wurf, der weder vor Komplexität noch vor spannungstechnischem Anspruch und Ambition zurückschreckt und alle Versprechen einlösen kann. Wieder einmal stellt Andreas Pflüger seine ganze kriminalliterarische Klasse unter Beweis und liefert mit Wie Sterben geht einen der besten Thriller des Bücherherbstes, wenn nicht des ganzen Jahres ab!


Weitere Infos zum Tagebuch Andreas Pflügers, geografischen, inhaltlichen und historischen Informationen gibt es auf der Spezialseite, die der Suhrkamp-Verlag für den Roman eingerichtet hat. Man findet ihn an dieser Stelle. Und auch das Interview, das Alf Mayer mit Andreas Pflüger führte, sollte an dieser Stelle noch Erwähnung finden.


  • Andreas Pflüger – Wie Sterben geht
  • ISBN 978-3-518-43150-4 (Suhrkamp)
  • 448 Seiten. Preis: 25,00 €
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