Greg Buchanan – Sechzehn Pferde

Ist es ein Krimi? Ist es eine Erzählung übers Verschwinden? Ist es ein gelungenes Buch? Ich bin mir bei all diesen Fragen nicht sicher – was ich aber weiß: Sechzehn Pferde von Greg Buchanan ist ein außergewöhnliches Roman, der sich Erwartungen widersetzt und mit vielen Brüchen aufwartet.


Es ist ein grausam-skurriler Anblick, der sich dem Polizeibeamten Alec auf dem morgendlichen Acker eines Bauern in der englischen Einöde bietet. Sechzehn Pferdeköpfe wurden halb in der Erde verbuddelt, sodass eine Auge der Tiere noch in den Himmel blickt, der Rest der Köpfe aber verdeckt ist. Auch die entsprechenden Pferdeschweife finden sich in der Nähe – vom Rest der Körper fehlt allerdings jede Spur. Der Bauer, dem der Acker gehört, hatte noch nie Pferde und wundert sich, wie diese auf seinen Grund gelangt sind und kann Alec nicht weiterhelfen.

Um das Rätsel der Pferdeköpfe zu lösen, wird die Veterinärforensiker Cooper Allen hinzugezogen, die für die überforderte Polizei Licht ins Dunkel bringen soll. Wer hat die Pferdeköpfe vergraben, woher stammen die Tiere und was soll die skurrile Drappierung der Schädel bewirken? Alec und Cooper beginnen im kleinen Städtchen Ilmarsh zu ermitteln, einem von Verfall gekennzeichneten Küstenstädtchen, bei dem die täglichen Bingorunden noch das Spannendste zu sein scheinen.

Irgendwas ist faul im Städtchen Ilmarsh

Schnell stellt sich heraus, dass irgendwas faul im Städtchen Ilmarsh ist. Die Besitzerin einer Pferderanch hütet Geheimnisse, die das Hotel der Stadt gammelt vor sich hin, ein Landstreicher berichtet von zwei Personen, die er am Tatort gesehen hat, eine scheint geweint zu haben. Man findet Kisten mit verwesten Tieren, die verschiedene Buchstaben tragen. Der Fall wird zunehmend verworren und unübersichtlich.

„Nichts passt zusammen“, sagte Cooper und wandte sich dem Meer zu. „Jeder, der uns helfen könnte, ist tot oder lügt oder hat sich aus dem Staub gemacht. Dieser Fall ist vertrackt.“

Greg Buchanan – Sechzehn Pferde, S. 354

Und dann bricht der erste Teil des Buchs auch noch mit einem Paukenschlag ab. Alec hat einen schweren Unfall, sein Sohn verschwindet, alle Beamten, die am Tatort waren, erkranken plötzlich schwer. Die Pferdeschädel waren offenbar mit einer toxischen Anthrax-Variante verseucht, die eine – mehr Aktualität geht nicht – Quarantäne der Bewohner des Städtchens notwendig macht.

In der Folge liegt die Hauptlast der Ermittlungen auf den Schultern von Cooper, die nun alleingestellt das Rätsel dder Pferdeschädel und aller damit verbundenen Ereignisse zu lösen versucht.

Alles andere als konventionell

Greg Buchanan - Sechzehn Pferde (Cover)

Was bis hierhin vielleicht nach einem konventionellen Krimi geklungen hat, entpuppt sich in der Realität als alles andere als das. Oftmals beschlich mich beim Lesen der Eindruck, ich würde hier einem besonders experimentellen Dominik-Graf-Krimi beiwohnen. Das Buch wirkt durch zahlreiche Sprünge in der Betrachtung, eingeschobene Dialogfetzen, kurze Szenen, Chats und unklare Bezüge wie ein wild geschnittener und alles andere als konziser Film, bei dem Leerstellen und unterlassene Erklärungen zum erzählerischen Konzept gehören.

Auch wenn alle Zutaten für einen klassischen Krimi vorhanden sind (das Rätsel der Pferdeschädel, Ermittlerfiguren, eine Auflösung ganz am Ende) – so muss ich sagen, dass das, was Greg Buchanan daraus macht, alles andere als klassisch und nicht einmal zwingend ein Krimi ist.

Denn wo andere Autor*innen ihre Leserschaft an die Hand nehmen, die Figuren, ihre Hintergründe und aktuelle Entwicklungen ausbreiten, wählt Greg Buchanan den Ansatz der Verrätselung. Nichts wird auserzählt, vielmehr reißt er in unzähligen Szenen Dinge an, die ihn für seine Geschichte dann gar nicht weiter interessieren. Die Quarantäne der Stadtbewohner, die biografischen Hintergründe der Figuren, die einzelnen Sprünge nach vorne oder nach hinten werde teilweise nur en passant eingeflochten, nicht aber auserzählt. So etwas wie tiefenscharfe Figuren gibt es nicht, alle Charaktere stehen in Sechzehn Pferde nur lose nebeneinander, ohne große Verbindungen oder Beziehungen.

Schneisen im erzählerischen Dickicht

Zwar gibt es Schneisen in diesem erzählerischen Dickicht, aber diese verlieren sich auch gerne wieder oder enden im Nichts. So serviert uns Greg Buchanan kurz vor Schluss einen Täter und ein Motiv (womit wir wieder beim Krimi sind), schlüssig hergeleitet ist das eher weniger und wird sehr unvermittelt eingeführt. Auch die ganze Umgebung mit ihren Figuren bleibt seltsam nebulös. Es gibt Erpressungen, eine nahegelegene Insel, die mit ihrer Geschichte etwas an die Ostseeinsel Riems erinnert, die Anthrax-Vergiftungen, tote Tiere und verschwundene Menschen und Pferde – es bleibt aber zumindest für meinen Geschmack zu viel im Vagen.

Ich muss gestehen, dass ich mit den Sechzehn Pferden nicht wirklich warm wurde, auch wenn ich die erzählerischen Ansätze und die Weiterentwicklung eines konventionellen Krimis hier durchaus goutiere. Im Ganzen waren es mir dann aber doch einfach zu viele Brüche, Fragen und skizzenhafte Erzählelemente, die unaufgelöst blieben und keinen tieferen Sinn ergaben.

Wer einen Roman irgendwo zwischen Mystery, Krimi und Landschaftsschilderung sucht, der sollte definitiv einen Blick auf Buchanans Debüt werfen. Mich erinnerte das Buch in seinen erzählerischen Ansätzen und meinen eigenen falschen Leseerwartungen an Jon McGregors Buch Speicher 13, das für mich einige Berührungspunkte zu Sechzehn Pferde aufweist. Aber auch an Jon Bassofs Factory Town erinnerte mich das Debüt von Greg Buchanan des Öfteren.

Fazit

Ein mitreißender, linearer und spannender englische Krimi nach klassischer Machart ist das nicht. Vielmehr spielt Greg Buchanan mit Erwartungen, Verschwinden, Chronologie und Einsamkeit und schafft dadurch ein Werk, das in seiner Unangepasstheit und seiner schroffen Schnitt- und Erzähltechnik durchaus bemerkenswert ist. Für Begeisterungsstürme bei mir hat es leider nicht gereicht, obwohl ich mich eigentlich als passende Zielgruppe für Greg Buchanans Buch begreife.


  • Greg Buchanan – Sechzehn Pferde
  • Aus dem Englischen von Henning Ahrens
  • ISBN 978-3-10-397488-1 (S. Fischer)
  • 448 Seiten. Preis: 22,00 €
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