Samuel Beckett: zerknautschtes Gesicht, Irland, Warten auf Godot. So die Schlagwörter, die mir als erstes in den Sinn kommen, wenn es um den irischen Nationalheiligen geht. Doch die Geschichte hinter dem gezeichneten Gesicht blieb für mich immer abstrakt – bis ich nun Jo Bakers Annäherung an den irischen Poeten las. Ein Ire in Paris erzählt vom Frankreich-Aufenthalt Becketts, ohne dass je dessen Name selbst fällt. Der Roman zeigt einen Künstler im Widerstand, den die Umstände und Erlebnisse formen und schließlich richtungsweisend für sein literarisches Schaffen werden.
Denn der junge Beckett entschließt sich zu einem radikalen Schritt, als die Nachricht von der Kriegserklärung Englands an Deutschland in sein irisches Elternhaus vordringt. Er kehrt zurück nach Frankreich, um dort in den Künstlerkreise um Marcel Duchamp und den großen James Joyce zu leben. Zusammen mit seiner Freundin Suzanne verharrt er in der Paris, auch als die deutschen Truppen auf die französische Hauptstadt vorrücken. Doch die Umstände erfordern es, dass Beckett mit seiner Partnerin aus Paris fliehen muss. Das Vichy-Régime kooperiert unter General Pétain – und Beckett findet für sich einen Weg, um mit der Situation umzugehen. Er schließt sich der Résistance an und leistet so seinen Beitrag zum Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Doch sein Leben fordert einen hohen Preis von ihm und seiner Freundin. Der Kampf ums Überleben wird essenziell für Beckett.
Doch bei all dem Leid und den Erfahrungen, die Beckett im Krieg macht, stellt sich eine zentrale Frage: wie kann man als Schriftsteller bestehen, wenn um einen herum die Welt untergeht? Eine interessante Frage, der sich auch schon Hans Pleschinski in Wiesenstein auf großartige Art und Weise genähert hat. Nun gibt auch die Britin Jo Baker auf diese Frage eine ganz eigene Antwort. Nach ihrem ersten Buch Im Hause Longbourn (in dem sie Stolz und Vorurteil aus Sicht des Gesindes erzählt) widmet sie sich also diesem verschrobenen und unzugänglich Samuel Beckett. Ihr gelingt dabei auf der einen Seite eine glaubwürdige Darstellung von Frankreich zur Zeit des Vichy-Regimes und des Widerstandes, und auf der anderen Seite auch eine Annäherung an Beckett. Ihr Buch ist mit düsteren Farben gemalt, Hoffnung und Positives findet sich in ihrer Erzählung kaum. Stattdessen erzählt sie vom kargen Überlebenskampf, bei dem in Paris sogar die Bäume an den Boulevards gefällt und die Bretter der verbarrikadierten Geschäfte zum Heizen genutzt wurden.
Wer das gut abkann und auch mal ein Buch in Moll verträgt, das wenig Zerstreuung bietet, der bekommt mit Ein Ire in Paris einen faszinierenden Blick hinter die Fassade der literarischen Gallionsfigur Samuel Beckett geboten. Hier wird der Nobelpreisträger greifbar, erhält eine Geschichte und man bekommt davon erzählt, was Widerstand bedeuten kann.
[…] anderen Nationalheiligen Samuel Beckett hingegen gibt es nicht nur in Büstenform – auch eine andere Ehre ist ihm zuteil […]
Mehrfach wurde mir (über Umwege) dieser Roman nahegelgt. Ich zöger aber weiter, da hineinzuschauen.
Denn da gibt es schließlich die große Beckett-Biographie von James Knowlson (http://lustauflesen.de/beckett-eine-biographie/). Auch er hatte grundlegend Neues zu berichten; z.B. zu Becketts Aufenthalten in Deutschland in den 30er Jahren und zu seiner Zeit und Aktivität in der Resistance. Knowlson ist bei aller Akribie auch ein sehr guter Autor. Da seine Biographie so umfassend und fundiert ist, so gut geschrieben, scheue ich, zu einer (schmalen) fiktionalisierten Beckett-Geschichte zu greifen.
Überzeugt mich, warum ich es doch tun soll?! lg_jochen
Ein kleines P.S. noch: Beckett war alles andere als verschroben und unzugänglich. Ich fürchte, das ist eine immer wieder kolportierte Legende. Auch die übrigens räumt Knowlson mit vielen belegen prächtig beiseite.
Na wenn du dich schon gut eingearbeitet hast in die Materie Beckett und eine gewisse Grundskepsis überwiegt, dann glaube ich, dass du mit anderen Büchern besser beraten bist!. Auf zu neuen Leseufern!
Das klingt – trotz oder gerade wegen der Moll-Töne – interessant. Danke für den Tipp!
Das könnte in der Tat was für dich sein!
Gibt es das schon in der Stadtbibliothek?
Nö, ist aber auf meinem Einkaufszettel und wird schnellstmöglich angeschafft!