Jörg Maurer – Im Schnee wird nur dem Tod nicht kalt

Es ist der Fluch der Serie. Was einmal Erfolg hatte, muss weitergeführt werden, bis es sich selbst irgendwann totgelaufen hat. Das sah man etwa bei der britischen BBC-Serie Sherlock, die Benedict Cumberbatch und Martin Freeman endgültig zu Stars machte. Was als spannend und stringent inszenierte 90-Minüter begann, wurde zusehends zu einem abstrusen Spektakel der Marke Schneller, Höher, Weiter, das sich in Selbstzitaten und immer wirrer werdenden Drehbüchern erschöpfte, bis das Team selbst keine Lust mehr zu haben schien.

Ähnliches lässt sich auch bei Jörg Maurer beobachten. Seine Reihe um Kommissar Hubertus Jennerwein begann der Musikkabarettist im Jahr 2009 mit dem Alpenkrimi Föhnlage. Inmitten all der bräsigen Regionalkrimis voller tumber Figuren, Kochrezepte und abgepauster Ortsschilderungen nahm mich (nicht nur als Bayer) diese Reihe ein. Toll geschrieben, mit schwarzem Humor und einem ironischen Blick auf das Voralpenland war Maurer damit eine Ausnahme, der sowohl das Krimigenre als auch den Witz hoch achtete und so einen Gegenentwurf zu Kluftinger und Co erschuf.

Krimis im Jahrestakt

Fortan folgte im Jahrestakt neue Krimis, die von sadistischen Klettern, im Häcksler verschwundenen Nobelpreisträgern oder alpenländischen Bestattern mit besten Kontakten zur italienischen Mafia handelten. Immer ein wenig durchgeknallt, drüber – aber genau das machte den Reiz der Serie auch aus. Hier schrieb einer, der überzeichnete, aber eben auch Spannung und Humor miteinander verband und so unterhaltsame Regionalkrimis erschuf.

Mit zunehmender Laufzeit wurden die Titel länger, das Format wandelte sich vom Taschenbuch zum Hardcover zum Paperback – doch die Qualität nahm ab. 2010 erschienen dann sogar zwei Jennerweinkrimis in einem Jahr. In seinem zehnten Fall Am Abgrund lässt man anderen gern den Vortritt war es dann der eingangs schon erwähnte Kommissar Kluftinger aus dem Allgäu, dem Jennerwein im Roman begegnete. Was andere als kultige Hommage verstanden, war für mich der Beweis, dass die Jennerwein-Reihe nun auf dem blödeligen und kriminallitarisch wenig überzeugenden Niveau von Klüpfel, Kobr und Co angekommen war.

Verlag (und Autor?) hielten es dann für eine gute Idee, im gleichen Jahr noch einen weiteren Krimi nachzuschießen, von dem (und allen weiteren) ich dann aber nach der Enttäuschung von Band Zehn der Reihe fortan die Finger ließ. Nun begegnete mir Im Schnee wird nur dem Tod nicht kalt in einer schwachen Minute auf dem Wühltisch des lokalen Buchhändlers. Ein günstiger Preis, eine winterliche Verfasstheit meinerseits und die Lust auf ein Guilty Pleasure nach einigen seriösen literarischen Backsteinen hatten die Entscheidung leicht gemacht. Hätte ich doch bloß die Hände davon gelassen!

Geiselnehmer mit gedankengesteuerten Bomben

Jörg Maurer - Im Schnee wird nur dem Tod nicht kalt (Cover)

Die Grundzutaten sind dabei altbekannt. Kommissar Jennerwein, der sich überraschenderweise als Hüttenbesitzer entpuppt, lädt sein Team und Weggefährten in ebenjene verschneite Hütte über dem Kurort ein, um die Weihnachtstage zu feiern. Doch in der Hütte kommt es dann zu einer Geiselnahme.

Was eigentlich eine gute Ausgangslage ist, wird in diesem Buch leider vollends zum Desaster (Obacht, nun wirds spoilerisch!). Das kriminaltechnisch hochbegabte Team merkt erst nach Stunden, dass einer der Gäste eine Bombe in die Hütte geschmuggelt hat und ein falsches Spiel spielt.

Der Geiselnehmer erpresst das Team mit dieser Bombe, die er per Gedankenströmen kontrolliert. Ein weiterer Gast mit unklarer Provenienz scheint auch ein doppeltes Spiel zu spielen, Snowboarder mit unklarer Provenienz schießen über nächtliche Pisten, eine Informantin unklarer Provenienz hat sich vor der Hütte in den Schnee eingegraben und dann hat der Geiselnehmer unklarer Provenienz auch noch den Ehemann der Gerichtsmedizinerin gekidnappt und in einen Gärtank eingeschlossen, der vollzulaufen droht. Drohnen werden unter Schneewehen gefunden und liefern Plätzchen vor die Hütte – und dann gibt es auch noch außerirdische Lebensformen, die eine Rolle spielen. Klingt völlig gaga? Ist es auch. Nichts ergibt wirklich Sinn oder löst sich befriedigend auf. Zudem überzeugt auch das Setting in der Hütte nicht.

Bomber allerorten

Dass so eine eigentlich hochspannende Situation einer Geiselnahme auch schnell bleiern langweilig werden kann, das scheint auch Jörg Maurer gedämmert zu haben. Deshalb verschneidet er die Rahmenerzählung mit einem Schwank aus Jennerweins Schulzeit. In dieser machte auch ein Bomber die Schule unsicher, indem er immer wieder Stinkbomben platzierte und die Schulfamilie zur Weißglut und Jennerwein zu ersten kriminalistischen Ermittlungen trieb. Doch auch diese Erzählung läuft sich irgendwann tot, sodass man die Explosion auf der Almhütte herbeisehnt.

Im Schnee wird nur dem Tod nicht kalt könnte ein origineller Krimi sein, ist dann aber leider ganz vieles andere: schlecht geschrieben, kaum durchdacht, wenig überzeugend ausgeführt. Nichts wird stringent zu Ende geführt, alles wirkt lieblos zusammengeschustert. Man hat hier das Gefühl, dass Maurer selbst nicht richtig wusste, was er wollte. Ein einziges Desaster, über das man besser eine ganz dicke Decke aus titelgebenden Schnee decken sollte.

Viele weitere Krimi-Möglichkeiten

Man würde sich wünschen, Maurer hätte den Mut, eine derartig Reihe zu beenden und seine kreativen Ideen in ein neues Projekt zu stecken. Aber auch das scheint ein Fluch der Regionalkrimis zu sein, egal ob Jennerwein, Kluftinger oder andere Figuren: die Reihen werden totgeritten, bis sich nicht nur das Pferd, sondern auch der ganze Sattel in Luft aufgelöst haben.

Aber die Absatzzahlen scheinen zu stimmen, das Publikum kauft und liest treu – und von daher ist zu befürchten, dass die nächsten zwanzig Bände der Reihe schon in Planung sind. Warum nicht mal ein Osterfest mit einem bombenlegenden Eier-Verstecker, Silvester mit einem Bowle-Giftmischer oder Fronleichnamsumzug, der von einem Sniper aufs Korn genommen wird? Der (bayerische) Festkalender hält noch einige potentielle Ideen für weitere Gaga-Jennerweinkrimis bereit. Ich weiß allerdings nur eines: ich werde sie nicht mehr lesen.


  • Jörg Maurer – Im Schnee wird nur dem Tod nicht kalt
  • ISBN 978-3-596-70369-2 (S. Fischer)
  • 432 Seiten. Preis: 12,00 €
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