Katharina Herrmann – Dichterinnen & Denkerinnen
Es ist die Zeit für eine Offenlegung gekommen: zwar habe ich nicht Germanistik studiert, aber immerhin habe ich zu Schulzeiten in Vorbereitung auf das Abitur den Leistungskurs Deutsch besucht. Generell würde ich sagen, dass ich literaturgeschichtlich durchschnittlich gebildet bin. Ich kenne die wichtigsten Epochen der deutschsprachigen Literaturgeschichte und ihre wichtigsten Vertreter. Vertreter. Keine Vertreterinnen.
Blicke ich zurück, ist keine Frau in auch nur entferntester Sicht, was die Literaturgeschichte angeht, die mir vermittelt wurde. Egal ob Barock mit Andreas Gryphius, Sturm und Drang mit dem Powerduo Goethe/Schiller oder so etwas wie Neue Sachlichkeit mit Erich Kästner oder Hans Fallada. Geht es um berühmte Persönlichkeiten, die mir aus dieser Zeit einfallen, sind das immer nur Männer.
Ich vermute allerdings stark, dass ich mit dieser vermittelten Literaturgeschichte nicht alleine auf weiter Flur bin. Blickt man auf unseren Literaturkanon, so ist das auch nicht weiter verwunderlich. Schaue ich zurück auf die verwendete Literaturlisten unserer Schulzeit, dann ist da so einiges vertreten, auch Entlegenes, das ich heutzutage lesenden Teenager nicht mehr unbedingt als erstes an die Hand geben würde, um sie für die Epochen und Werke zu begeistern, etwa Aristophanes‘ Die Vögel, Wilhelm Raabes Stopfkuchen oder Zuckmayrs Der Hauptmann von Köpenick.
Die einzige Frau, die mir beim schulisch verordneten Lesen unterkam, war Annette von Droste-Hülshoff (das allerdings nur als Ergänzungslektüre) und Anna Seghers‚ Das siebte Kreuz. Mehr Frauen? Fehlanzeige
Vergessene Frauen
Gewiss – die Schulzeit ist lange vorbei. Und ich bemühe mich auch, Literaturgeschichte nachzuholen, Klassiker zu lesen, vergessene Schriftsteller*innen auch hier öffentlich wieder ans Tageslicht zu bringen. Aber dennoch bleibt am Ende des Tages die Bilanz, dass mein Lesen genauso wie unser Literaturkanon männlich geprägt ist.
Das jüngste flächendeckende Schweigen zum Doppeljubiläum Marlene Haushofers ist da nur ein Beispiel unter vielen.
Eine gute Korrektur bietet da das Buch Dichterinnen & Denkerinnen von Katharina Herrmann. Katharina Herrmann ist in Buchblogger-Kreisen keine Unbekannte. Sie betreibt den Blog Kulturgeschwätz, hat an der LMU München promoviert, saß 2020 in der Jury des Preises der Leipziger Buchmesse und ist als Gymnasiallehrerin tätig. Auch ich hatte schon die Ehre, mit ihr den Bayerischen Buchpreis begleiten zu dürfen.
Katharina Herrmann ist in meinen Augen die klügste deutschsprachige Literaturbloggerin, die immer wieder bedenkenswerte Impulse zur Lage der Literatur in Deutschland liefert. Es empfiehlt sich, ihr in den sozialen Netzwerken zu folgen.
Einer ihrer augenöffnenden Texte war vor zwei Jahren der Beitrag Auch ein Land der Dichterinnen und Denkerinnen. Damit setzte sie sich zum ersten Mal in der Bloggerszene in umfassender Art und Weise mit dem männlich geprägten Literaturkanon und den Mechanismen des Literaturbetriebs auseinander, der es Frauen erschwert hat, zu schreiben. In meinen Augen hat Katharina mit diesem Artikel Aktionen wie das #frauenzählen oder dem Boom feministischer Literaturblogs das Feld bereitet.
Viele Impulse gingen von diesem Artikel aus – unter anderem auch eine kleine Reihe mit Dichterinnenporträts, die Katharina Herrmann auf ihrem Blog veröffentlichte. Aus diesen Porträts ist nun das vorliegende Buch entstanden. Es versammelt 20 Porträts von Schriftstellerinnen, ausgehend vom 18. Jahrhundert bis hinein ins 20. Jahrhundert, das Herrmann mit der Autorin Mascha Kalékos beschließt. Frauenporträts, die ganz unterschiedliche Dichterinnen und Denkerinnen in den Fokus rücken.
Von Louise Aston bis Rahel Varnhagen
Schon einmal von Louise Aston gehört? Oder von Helene Böhlau? Katharina Herrmann schafft es, von der breiten Öffentlichkeit völlig vergessene Frauen wieder zurück ans Tageslicht zu bringen. Oftmals wurden diese zu Lebzeiten viel gelesen und diskutiert – gerieten dann aber wieder zunehmend in Vergessenheit. Und selbst wenn ein Name wie etwa der von Annette Droste von Hülshoff etwas bekannter ist, dann ist es auch nur der Tatsache zu verdanken, dass verschiedene Parteien über ihre Deutungshoheit bestimmen wollten. Dieser Streit wiederum begünstigte dann ihre Kanonisierung.
Dass der Kampf um schriftstellerische Selbstbehauptung immer auch ein Kampf gegen das Patriarchat und die Fesseln ihrer Zeit war, das zeigt Katharina Herrmann in ihren Porträts deutlich. Sie schafft es, das Wesen und die prägenden Charakterzüge ihrer vorgestellten Schriftstellerinnen trotz des Umfangs von nur wenigen Seiten kurz und prägnant auf den Punkt zu bringen.
Sie zeigt die Widerstände, gegen die sich die Autorinnen wehren mussten. Versagte Schulbildung, die Versorgung der Familie, Männer, die die Schriftstellerinnen nach ihren Vorstellungen formen und beeinflussen wollten. Viele Motive kehren immer wieder, über die Jahrhunderte hinweg. Herrmann macht diese Hindernisse deutlich, weshalb der Untertitel Frauen, die trotzdem geschrieben haben mehr als treffend ist.
Neben den biographischen Nacherzählungen finden sich auch immer wieder Auszüge aus den Werken der Autorinnen im Text, die so ein Gefühl für das schriftstellerisches Oeuvre erzeugen. Das macht Lust, die Schriftstellerinnen selbst kennenzulernen und ihre Bücher zu lesen (wenn es nicht so schwer wäre, an sie heranzukommen).
Ein wunderbar gestaltetes Buch
Ein Wort soll an dieser Stelle auch über die Gestaltung des Buches verloren werden. Denn neben Literaturhinweisen und bibliographischen Verweisen gibt es auch zahlreiche Porträts, die das Buch ergänzen. Sie stammen aus der Feder von Tanja Kischel und können nicht anders als sehr gelungen bezeichnet werden. Gestalterisch ist Dichterinnen & Denkerinnen ebenfalls ein Gewinn.
Schade ist es natürlich, dass dieses Buch auch zu jenen Titeln des Bücherfrühlings zählt, denen kaum Aufmerksamkeit geschenkt wird. Auch die kaum vorhandenen Werbemaßnahmen des Reclam-Verlags tun leider ihr übriges dazu. Mehr Sichtbarkeit für dieses Buch und die darin vorgestellten Schriftstellerinnen, das wäre wünschenswert. Denn die vorgestellten Dichterinnen und Denkerinnen verdienen es genauso wie dieses Buch!
Eine weitere Besprechung des Buchs findet sich auch bei Birgit Böllinger vom Blog Sätze & Schätze und bei Sabine vom Blog Binge Reading & More.
[…] den gleichen männlicher Verhaltensmuster ausgesetzt sahen. Abwertung und Unverständnis für das weibliche Schreiben, dafür umso mehr Interesse an den Frauen selbst. Interesse, das sich von übergriffigen Avancen […]
Schöne Besprechung. Bei mir findet sich auch eine, falls Du noch eine weitere hinzufügen magst:
https://bingereader.org/2020/04/02/dichterinnen-denkerinnen-katharina-herrmann/
Oh die hab ich übersehen. Wie gut! Dank dir für den Hinweis!