María Ospina Pizano – Für kurze Zeit nur hier

Vom Stachelschwein bis zum Käfer – alles in María Ospina Pizanos Naturgeschichte ist beseelt. Sie erzählt in Für kurze Zeit nur hier vom Leben und Überleben der Tiere – und ihrem Nebeneinander neben dem Mensch. Leider lässt der Roman dabei eine überzeugende Idee hinter den einzelnen Episoden vermissen.


Alles beginnt mit einem Straßenhund, der im ersten Teil dieses aus insgesamt vier Episoden bestehenden Romans von den Straßen Bogotás weggefangen wird. Kati – so der spätere Name der Hündin – trifft im Tierheim auf die Hündin Mona, mit der sie sich anfreundet. Damit kommt dieses Hündinnengespräch übertitelte Kapitel schon zu seinem Ende und María Ospina Pizano wendet sich dem nächsten Tier in ihrer Reihe zu. Dafür geht es in die Luft, denn die Wanderung eines Scharlachkardinals steht im Fokus jenen Kapitels, das sowohl das längste und das überzeugendste in diesem Buch ist.

Der Weg dieses Zugvogels ist einer voller Mühen und Gefahren, die Pizano ausführlich schildert. Der zur Ordnung der Sperlingsvögel zählende Kardinal entgeht auf seinem Weg in den Süden nur knapp einem großen Vogelsterben zwischen den Wolkenkratzern Manhattans. Er überfliegt Statuen, sieht Geflüchtetencamps voller Minderjähriger an der Grenze zwischen den USA und Mexiko unter sich hinwegziehen. Er taucht auf dem Radar von Flughäfen auf und lässt sich weder von ausgebrachten Pestiziden noch von Ozeanen aufhalten, die er überquert, um dann am Ende seiner Kräfte doch noch sein Ziel zu erreichen.

Von Hunden, Vögeln, Maden und Stachelschweinen

María Ospina Pizano - Für kurze Zeit nur hier (Cover)

Dieser Episode folgen noch zwei kürzere Geschichten. Die erste handelt von einer Made, die in der Tradition Eric Carles zum Käfer wird und nach ihrer Verpuppung einige Abenteuer erlebt. Nach ihrem Weg aus der Erde gelangt das Käferweibchen zunächst in einen Kühlschrank – was dann schon eher an den Käferspezialisten Franz Kafka erinnert. Aus dem Kühlschrank setzt sich die Reise per Mangoldblatt und Auto über hundert Kilometer bis nach Bogotá fort, um schlussendlich im Magen einer Amsel zu landen.

Die letzte Geschichte in diesem fast ausschließlich aus tierischer Perspektive geschilderten Erzählreigen ist eine Erzählung, in der die menschliche Perspektive am ausgeprägtesten ist. Hier erzählt die 1977 in Bogotá geborene María Ospina Pizano von einer Frau, deren Hund einst ein trächtiges Stachelschwein riss. Das kaum überlebensfähige Stachelschweinbaby rettete die Frau aus dem Bauch der Mutter und zog es auf. Doch angesichts der Strafen, die die kolumbianische Regierung für die private Haltung solcher Wildtiere vorsieht, überantwortet sie das Jungtier nun einem sogenannten Wildtier- und Wildpflanzenversorgungs- und -begutachtungszentrum in Bogotá. Dort soll das junge Stachelschwein ausgewildert werden.

Es sind vier Geschichten, die nicht nur im Ausdruck und der Länge recht verschiedene sind. Sie alle verbinden sich zu einem mehr oder minder funktionierenden Reigen, da Pizano im letzten Teil des Romans das Zwiegespräch zwischen denen im ersten Teil eingeführten Hündinnen Kati und Mona wieder aufgreift, ehe es durch eine Adoption Katis zum Erliegen kommt.

Nezahualcóyotl und das indigene Erbe Kolumbiens

Wirklich rund oder stimmig ist das leider nicht wirklich, obschon Pizanos Debüt gleich mit einem Literaturpreis, nämlich dem Premio Sor Juana Inés de la cruz ausgezeichnet wurde und viele lobende Pressestimmen auf dem Buchrücken versammelt.

Kommend von der Forschung über Gewalt, Natur und Erinnerung in der zeitgenössischen kolumbianischen Kultur hat María Ospina Pizano an der Harvard University studiert – und diesen gelehrten Hintergrund merkt man Für kurze Zeit nur hier auch an.

So ist das Zitat, das dem von Peter Kultzen aus dem Spanischen übersetzten Buch den Titel gibt, eine Zeile des Herrschers und Dichters Nezahualcóyotl, der im 15. Jahrhundert im präkolumbischen Mesoamerika lebte. In seinen Zeilen beschwört er die Vergänglichkeit unseres Daseins auf der Erde. Damit liefert Pizano den wohl deutlichsten Hinweis, in welcher Tradition sich Maria Ospina Pizanos Text sich sieht.

Das kulturelle und indigene Erbe Südamerikas speist diesen Roman, nicht nur in vielen Zitaten. Vor allem der Gedanke des Animismus, als der Beseeltheit der ganzen Welt und damit auch der Tiere, spielt eine entscheidende Rolle in diesem Buch, das Tieren auf der Erde und in der Luft eine Perspektive gibt.

Dazu gesellen sich viele Gedanken und Theorien von Denker*innen und Autor*innen wie Ocean Vuong, Cristina Peri Rossi, Jaques Derrida oder Gabriela Mistral, die im Text aufgegriffen werden.

Der fehlende rote Erzählfaden

Doch leider ist die animistische Perspektive ebenso wie die ganze Erzählhaltung dieses Romans nicht überzeugend, da sich María Ospina Pizano mit erzählerischer Halbherzigkeit begnügt. Statt konsequent aus den Augen der Tiere auf die Welt zu blicken, ist es ein wenig überzeugendes Gemisch aus auktorialem Erzähler und Tierperspektive. Woher soll das Käferweibchen wissen, dass es hundert Kilometer zurückgelegt hat und sich nun in Bogotá befindet? Woher weiß die Hündin, dass es ein Bolero ist, der der Kehle ihrer neuen Besitzerin entströmt oder dass die Statue, die sie in Bogotá passiert, Simon Bolivar zeigt? Die profunde Kenntnis menschlicher Kulturbegriffe der Tiere bleibt ebenso unklar, wie das erzählerische Ziel María Ospina Pizanos.

Statt sich wirklich konsequent auf die tierische Perspektive eizulassen und daraus auch auf das zerstörerische Verhalten der menschlichen Spezies in puncto Vergangenheit und Gegenwart zu schauen, schwankt sie zwischen Tier und Mensch, zwischen indigenem Erbe und unterschiedlich überzeugenden Kapitel, denen zumindest für mich in der Gesamtschau einen überzeugenden roten Faden vermissen ließen, der dabei helfen würde, die einzelnen Episoden zusammenzuhalten.

Alles wird kurz angerissen, verfliegt dann aber wieder wie der über Manhattan kreisende Vogelschwarm. In ihrer Erzählhaltung und Qualität sind Pizanos Geschichten, deren Verbindung nicht über kleine gegenseitige Cameos der Tiere und Figuren in den anderen Geschichten hinausreicht, einfach zu disparat.

Eher Kurzgeschichten denn ein stimmiger Roman

Was hätte dieses Buch für Chancen geboten. Der Umgang mit dem indigenen Erbe in Kolumbien, das Miteinander von Tier und Mensch auf dem Planeten, das eher einem Gegeneinander gleicht, und die Veränderungen, denen dieses Miteinander unterliegt. Auch die Wanderungen der Tiere hätte ein spannender Ansatzpunkt werden könnten, ahmt doch der Mensch zunehmend das Wanderverhalten von Tieren nach, und das nicht nur im gezeigten Grenzland zwischen Süd- und Nordamerika. All das hätte hochinteressantes Erzählmaterial ergeben.

Aber leider blitzt all dies nur kurz auf. Durch die Unverbundenheit der Episoden hat Für kurze Zeit nur hier eher den Charakter von Kurzgeschichten, die kaum in faszinierende Tiefen vordingen wollen oder können. Dass es möglich wäre, das zeigt ja wie schon erzwähnt die Geschichte des Scharlachkardinals, die Pizanos Erzähltalent und die profunde Beschäftigung mit ihren Themen erahnen lässt. In der Ganzheit aller Geschichten ergibt sich aber leider trotz viel Potential kein überzeugender und stimmiger Roman.

Mir ist das leider zu wenig. Wie man überzeugender den Blickwinkel ändert und aus ungewohnter Perspektive erzählt, das hat Samantha Harvey zuletzt mit Umlaufbahnen bewiesen. Dahinter bleibt María Ospina Pizano in allen Belangen leider zurück.


  • María Ospina Pizano – Für kurze Zeit nur hier
  • Aus dem Spanischen von Peter Kultzen
  • ISBN 978-3-293-00622-5 (Unionsverlag)
  • 208 Seiten. Preis: 22,00 €
Diesen Beitrag teilen
0 0 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..

0 Comments
Newest
Oldest Most Voted
Inline Feedbacks
View all comments